Bio bedeutet
Systemwandel

Werner Lampert Gebirsgwald

Zu Beginn war Bio noch ein theoretisches Konstrukt, das mit lebendigen Geschichten gefüttert werden musste, um die Leute davon zu begeistern. Es blieben wenige, die Bio als gemeinsamen Weg beschritten. Heute ist Bio DIE Möglichkeit, wie sich die Menschen in Zukunft ernähren können. Für mich gibt es keine Alternative. Bio muss sich aber weiterentwickeln und zum Synonym für nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion werden.

Werner Lampert setzt sich seit über 30 Jahren für biologische Lebensmittelproduktion ein und ist Initiator und Begleiter zahlreicher regionaler landwirtschaftlicher Projekte in Österreich. In der Natur, die ihn mehr fasziniert als alles andere, verteidigt er die Notwendigkeit einer flächendeckend regionalen Bio-Landwirtschaft und schreibt ihr eine große gesellschaftliche Verantwortung zu.

Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich?

Nachhaltigkeit ist überall zum Schlagwort geworden, sei es für den Traktorenhersteller oder im Spekulationsbusiness. Sie ist der einzige Weg, wie wir Menschen auf diesem Planeten noch eine Zukunft haben. In der Landwirtschaft geht es darum, in Kooperation mit der Natur zu arbeiten und sie nicht wie einen Feind zu bekämpfen.

Stichwort: Soziale und ökonomische Nachhaltigkeit. Ein ordentlicher Umgang miteinander und vernünftiges Wirtschaften gehören auch dazu. Zum Beispiel einen Familienbetrieb so zu führen, dass die Kinder ihn mit Begeisterung fortführen wollen.

Was ist uns Bio wert?

Das Leben. Wir müssen uns fragen „Können wir als Menschen weiter so leben, mit Lebensmittel umgehen, weiterhin diese Tierhaltung praktizieren und den Planeten ausnutzen?“. Bio steht für einen Systemwandel, der nicht in der Landwirtschaft endet.

Was muss an Bio kritisiert werden?

Vieles. Bio war immer eine gute Alternative zum konventionellen Landbau. Es begann zur Jahrhundertwende, als Rudolf Steiner die biodynamische Landwirtschaft als Zukunfts- und Lebensidee begründete. Später rückte das Organisch-biologische in den Mittelpunkt.
In den 1980-1990er-Jahren fanden immer mehr Landwirt*innen und Agrarbetriebe zu Bio als ökonomische Idee. Dabei gingen natürlich sehr viele Inhalte kaputt. Aber indem wir Bio mit Nachhaltigkeit verbinden, können wir wieder zum ursprünglichen ‚substanziellen‘ Bio zurückfinden.

Stichwort: Lebensmittelsouveränität in Zeiten multipler Krisen. Wie schaffen wir das?

Der Ukrainekrieg sowie der Klimawandel machen es deutlich: Wir brauchen eine Landwirtschaft, die die Menschen in ihrer Region ernährt. Ernährungssouveränität bedeutet, dass Menschen, dort wo sie wohnen mitbestimmen, wie ihre Lebensmittel erzeugt und verarbeitet werden, wie sie sich ernähren wollen. Wir befinden uns im Moment in einem Fanal für die regionale, nachhaltige biologische Landwirtschaft ist.

Ernährung wird immer teurer. Bisher war es so, dass die industrialisierte Landwirtschaft ohne Rücksicht auf Verluste ‚auf Teufel komm raus‘ Masse produziert hat. Die Schäden, die sie dabei anrichtet, muss die Allgemeinheit hinbiegen.

BSE ist ein gutes Beispiel. Rinder haben sich mit ihren genialen vierteiligen Mägen Millionen von Jahren ausschließlich von Pflanzen ernährt. Dann begann der Mensch in seiner Profitgier, sie ‚effektiver‘ zu füttern, mit Tiermehl. Die Folge war, dass Rinder wortwörtlich verrückt wurden. Hunderttausende Tiere mussten getötet und entsorgt werden. Dieser Skandal hat Milliarden gekostet. Bezahlt hat das die Allgemeinheit, nicht die Verursacher*innen.

Gesamt gesehen wären nachhaltig produzierte Lebensmittel günstiger, wenn die ökologischen und sozialen Folgekosten auf unsere Lebensmittelpreise aufgerechnet würden (Stichwort: True-Cost-Accounting).

Unabhängigkeit unseres Ernährungssystems versus Unabhängigkeit unseres Energiesystems, was ist wichtiger?

Deutschland, dessen gesamte Energieversorgung noch vor einem Jahr von nur einem einzigen Land abhängig war, sagt heute: Mit Gas hat das Land keine Zukunft, weder mit dem aus Russland noch dem aus dem Nahen Osten oder den USA. Deutschland braucht eine autarke Energieversorgung.

Lebensmittel sind aber noch viel wichtiger als Energie. Ohne gäbe es kein Leben auf dieser Erde. Hier ist allerdings noch keine Rede von Autarkie. Wir kaufen immer noch dort ein, wo es am billigsten ist und schiffen die Lebensmittel nach Europa.

Eine autarke Lebensmittelproduktion bedeutet, dass wir weit ressourcenschonender mit der Natur umgehen müssen als es die industrialisierte Landwirtschaft tut. Derzeit braucht die EU außerhalb Europas zusätzlich eine landwirtschaftliche Fläche, die so groß ist wie Deutschland allein für die Massentierhaltung. In Brasilien wird der Amazonas, unsere grüne Lunge, niedergebrannt, damit wir unsere Nutztiere füttern können.

Wird der Ukrainekrieg instrumentalisiert?

Kaum wurde in der Ukraine geschossen, sind die zarten Pflänzchen für eine nachhaltigere Landwirtschaft, die von der EU-Kommission gesetzt wurden, sofort wieder zertrampelt worden.

Die Agrarlobby ist der Meinung, wir müssen ‚voll‘ produzieren, um die Menschen ernähren zu können. Stattdessen sollte sie endlich anerkennen, welchen massiven Schaden die industrialisierte Landwirtschaft anrichtet. Die ‚Kapitalisierung‘ der Landwirtschaft empfinde ich als eine der größten Sünden, denn sie gefährdet die Ernährungssicherheit für zukünftige Generationen. Lebensmittel und Wohnen haben am Kapitalmarkt einfach nichts verloren.

Das Wort Verantwortung wird in der Landwirtschaft kaum diskutiert. Nirgendwo hätte es mehr Platz als dort. Unverständlich, angesichts dessen, dass auch die Vertreter*innen der Agrarlobby Kinder und Enkelkinder haben.

Die Verantwortungsethik besagt, dass wir ein genaues Bild brauchen von dem, was wir tun und welche Folgen unser Handeln hat. Mit dieser Einstellung würden wir den Schritt zu einem nachhaltigen und autarken Ernährungssystem schaffen, das qualitativ hochwertige Ernährung gewährleistet. Die Energiekrise wird uns lehren, dass das der nächste Schritt sein muss.

Wie sieht die ideale Landwirtschaft für dich aus?

Biologische Landwirtschaft, die immer mehr in Richtung regenerative Landwirtschaft geht, die Kohlenstoff wieder speichern kann, anstatt ihn zu emittieren. Das bedeutet mehr Humusaufbau, nachhaltige Forstwirtschaft, oder auch die Renaturierung von Mooren.

Würde die Land- und Forstwirtschaft jährlich 0,4 Prozent Humus in ihren Böden aufbauen, könnten diese Flächen theoretisch die Menge an CO2 aufnehmen, die derzeit jährlich in der Atmosphäre landet (4-Promille-Initiative der UN-Klimakonferenz 2015).  Moore fungieren als wichtige Kohlenstoffspeicher. In den letzten knapp 80-90 Jahren wurden fast alle Moorlandschaften entwässert und für die Landwirtschaft nutzbar gemacht. Das müssen wir rückgängig machen.

Hört man dir so zu, Humusaufbau, Renaturierung, das sind ja keine wahnsinnig schwierigen Unterfangen. Warum wird das nicht gemacht, wenn es so große Effekte hätte?

Wir müssten uns vom heutigen landwirtschaftlichen System verabschieden, Verantwortung übernehmen und ressourcenschonend arbeiten. Das ist kein leichtes Unterfangen. Die Landwirt*innen müssen umdenken, die Landwirtschaftsschulen völlig anders unterrichten, usw. Aus der derzeitigen Landwirtschaft wird viel Kapital geschlagen. Die vielen Milliarden für die Chemieindustrie würden zum Beispiel flöten gehen. Das Interesse an einem ‚Weiter wie bisher‘ ist dementsprechend groß.

Hat digitale Landwirtschaft Zukunft?

Die Probleme in der Landwirtschaft entstanden auch deshalb, weil Menschen den Bezug zur Natur immer mehr gebrochen haben. Fragst du Menschen, die ein intaktes Verhältnis mit ihrer natürlichen Umgebung haben, warum wir eigentlich alles zerstören, dann geben sie zur Antwort: Unsere Beziehung zur Natur ist kaputt gegangen.

Da zu überlegen, noch mehr Technologie einzusetzen, die den Menschen nochmals weiter von der Natur entfernt, ist der falsche Weg.

Die Digitalisierung ist durchaus verführerisch, aber ein weiteres „Wie kann die aktuelle Landwirtschaft gerettet werden, ohne irgendwas zu ändern?“ Sie bedeutet totale Abhängigkeit von der Industrie. Landwirt*innen sind dabei nur noch Hilfsarbeiter*innen, die für nichts anderes mehr taugen. Das bringt keine Ernährungssicherheit.

Worin können Konsument*innen noch vertrauen?

Als Konsument*in bist du in einer ganz einfachen Situation. Auch wenn nicht alles gut ist bei Bio, sich noch viel verändern und verbessern muss, bist du mit biologischen Lebensmitteln immer auf der richtigen Seite.

Zurück zum Anfang: Was hat sich verändert, seit deinen Anfängen vor mittlerweile einem halben Jahrhundert?

Bereits als 10-jähriger Bub hatte ich einen Gemüsegarten, Beerensträucher und Obstbäume, für die ich alleine verantwortlich war. Ich war fasziniert, dass ich keine Kunstdünger oder Spritzmittel einsetzen musste, und dennoch wunderbare Ernten hatte.

Ich entwickelte dadurch ein Urvertrauen in die Natur und ins Leben im Einklang mit der Natur. Die biologisch-dynamische Landwirtschaft und deren Verständnis von den Zusammenhängen und Netzwerken, die die Natur sich schafft, begleitet mich schon sehr lange.

Als junger Mann dachte ich natürlich, dass dieses Faszinosum alle anderen Menschen auch erfassen würde. Das ist leider nicht passiert, vermutlich können 50 Prozent der Menschen noch nichts mit Bio anfangen.

Wir haben also noch eine große Aufgabe. Bio ist nicht mehr eine Idee, mit der Bäuerinnen und Bauern arbeiten, sondern hat die Verpflichtung alle möglichen Schritte und Wege zu gehen, um die Menschheit zukünftig zu ernähren. Die konventionelle Landwirtschaft wird das nicht schaffen.

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Werner Lampert
Werner Lampert

(geboren 1946 in Vorarlberg/Österreich) zählt zu den Wegbereitern im Bereich nachhaltiger Produkte und deren Entwicklung in Europa. Der Biopionier beschäftigt sich seit den 1970er-Jahren intensiv mit biologischem Anbau. Mit Zurück zum Ursprung (Hofer) und Ja! Natürlich entwickelte er zwei der erfolgreichsten Bio-Marken im deutschen Sprachraum.

 

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Lambert.
    Alles recht und schön,aber ein Biobauer braucht einfach gerechte Preise um Wirtschaften zu können.
    Und wie man zur Zeit sieht,ist der Konsument nicht bereit dazu.
    Ihr unermüdliches einsetzen für Natur und Umwelt,aber ohne gerechte Preise wirds auf Dauer nicht gehen!
    Mfg.Herbert

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