"Gebrauchsanweisung"
für die Klimakrise

Der aktuell veröffentlichte IPCC-Bericht stellt der Menschheit ein vernichtendes Zeugnis aus. Deutlicher als je zuvor zeigt er uns, dass die Klimakatastrophe bald nicht mehr abzuwenden ist. Mit jedem Zehntel-Grad Erwärmung sind immer mehr Menschen den Risiken ausgeliefert und verwundbarer gegenüber den verheerenden Auswirkungen. Diese Tatsachen lassen viele bitter verzweifeln. Doch jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, wäre erst recht eine Katastrophe. Werfen wir doch einen genaueren Blick in den Klimabericht. Er präsentiert uns nämlich Unmengen an Möglichkeiten, um aus der Misere wieder herauszukommen.

Der sechste IPCC-Bericht – Wissen aus der ganzen Welt

Der 1988 gegründete Weltklimarat (engl. Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) trägt für seinen Sachstandsbericht die Erkenntnisse von tausenden Wissenschaftler*innen aus allen Ecken der Welt zusammen. Im soeben erschienenen zweiten Teilbericht geht es um die Klimawandelfolgen und -risiken, Anpassungsmöglichkeiten und die Verwundbarkeit von Ökosystemen und Menschengruppen gegenüber dem Klimawandel. Er gibt Entscheidungsträger*innen eine Orientierung, wo angesetzt werden muss, wo der Hut brennt und wie gute Entscheidungen getroffen werden.

Die drei Protagonist*innen: Mensch – Ökosysteme – Klima

Menschen, Ökosysteme und Klima beeinflussen sich gegenseitig und stehen in ständigem Austausch. Der Mensch versursacht durch Treibhausgasemissionen die Erderwärmung und beutet Ökosysteme aus, sodass diese immer mehr die Fähigkeit verlieren unsere Lebensgrundlage zu sichern. Der Klimawandel setzt Ökosysteme und die Menschen zusätzlich unter Stress. Sie gelangen an ihre Grenzen der Anpassungsfähigkeit.
Die Autor*innen des IPCC-Berichts drehen den Spieß aber auch um. Dieses Zusammenspiel bietet viele Handlungsmöglichkeiten um uns fit für die Zukunft zu machen, sprich für eine klimaresiliente Entwicklung: Gestaltet der Mensch seine Systeme nachhaltig (z.B. das Wirtschaftssystem), beschränkt er damit die Klimaerwärmung auf ein Minimum – im besten Fall auf 1,5°C. Ökosysteme können sich diesem Ausmaß der Erwärmung – zwar nicht ohne Verluste, aber dennoch – anpassen. Schützt und „repariert“ der Mensch die Ökosysteme, können diese die wichtigen Funktionen für den Menschen weiterhin ausführen. Schon befinden wir uns in einer Aufwärtsspirale.

Wie könnte diese Aufwärtsspirale aussehen?

Hier eine kleine Auswahl an vielversprechenden Maßnahmen, die von der Wissenschaft auf ihre Wirksamkeit und Machbarkeit überprüft wurden:

1. Gutes Wassermanagement stabilisiert nicht nur die Ökosysteme, sondern steigert den Ernteertrag. Dazu zählen Wasserspeicherung, Maßnahmen zum Erhalt der Bodenfeuchte oder effiziente Bewässerung. Dämme oder Frühwarnsysteme schützen bei akuten Hochwasserereignissen. Die Renaturierung von Flüssen und Feuchtgebieten vermindert langfristig das Hochwasserrisiko für viele Menschen.

2. Klimafitte Wälder kommen nicht nur im wärmeren Klima besser zurecht, sondern schützen die Böden vor Erosion. Sie stabilisieren den Wasserhaushalt, dienen als nachwachsende Energieträger und als Baumaterial. Zudem sind sie auch noch effiziente CO2-Speicher.

3. Erweitern wir Naturschutzgebiete und verbinden sie durch natürliche Korridore, über die Tiere und Pflanzen in kühlere Gebiete ausweichen können, schützen wir viele Arten vor dem Aussterben. Dies trägt wiederum zur Ernährungssicherheit bei.

4. Bei zukunftsträchtigen Energiesystemen mit erneuerbaren Energieträgern funktioniert die Energieversorgung dezentral. Energie soll dort produziert werden, wo sie genutzt wird. Dies macht einzelne Regionen unabhängiger und stabiler gegenüber sozialen Krisen und politische Konflikte können entschärft werden. Mit dem Ukraine-Krieg wurde dieses Thema brisanter denn je.

5. Millionen Bewohner*innen von niedrig gelegenen Küstenregionen müssen wegen des Meeresspiegelanstiegs in andere Gebiete übersiedeln. Es ist eine globale Verantwortung, die Existenz von Klimaflüchtlingen zu sichern und ihnen andernorts eine Zukunft zu bieten, dies beugt auch sozialen Konflikten vor.

6. Stadtbegrünung ist wohl das bekannteste Beispiel für die Mehrfacheffekte einer Maßnahme. Stadtgrün kühlt im Sommer die Stadt. Es vermindert körperlichen Hitzestress und Hitzetote und wirkt positiv auf das psychische Wohlbefinden. Bäume und Grünflächen können Stürme und die Risiken bei Starkregenereignissen schwächen. Städtische Landwirtschaft garantiert Lebensmittelverfügbarkeit.

Wie Anpassung gelingt – ein paar Grundzutaten

Allen voran muss die Politik gewillt sein, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen: Gesetze, Finanzierung, Bewusstseinsbildung und Einbindung der Gesellschaft in die Prozesse. Am besten funktioniert ein Mix aus kleinen und großen Maßnahmen. Es braucht die Beteiligung lokaler Communities bis hin zu globalen „Commitments“ und Umsetzungsplänen. Gemeinsame (Klima)Ziele und Visionen steigern dabei deren Wirksamkeit. Kollaborieren die Interessensgruppen aus den verschiedenen Ebenen der Gesellschaft, erweitert dies insgesamt den Handlungsspielraum. Dazu zählt „Co-Learning“ lokal wie auch global, Lösungsfindung unter Beteiligung von Betroffenen oder auch Capacity-Building, also „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Die Wissenschaft sagt, dass inklusive Prozesse, die auf Gleichbehandlung und Gerechtigkeit setzen, am effektivsten sind. Wir müssen Nachteile oder Ungleichheiten minimieren, mit denen Menschen aufgrund ihres Genders, der Ethnie, des Alters, des Wohnorts, des Einkommens oder einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung konfrontiert sind.

Die globale Gemeinschaft muss anerkennen, dass manche Regionen viel stärker vom Klimawandel betroffen sind als andere. Öffentliche Institutionen und die Staatengemeinschaft müssen daher Auffangnetze und Unterstützung für besonders vulnerable Gruppen garantieren.

Die Bündelung und Verbreitung von Wissen sowohl der Forschung als auch der lokalen und indigenen Bevölkerung machen Maßnahmen effektiver. Um Fehlanpassung zu vermeiden, müssen wir die Wirkung aller Maßnahmen regelmäßig überprüfen: Gibt es negative Effekte für vulnerable Gruppen? Wo muss korrigiert werden und wo braucht es zusätzliches Handeln?

Klimafitte Zukunft

Gut durchdachte Anpassungsstrategien sind der Schlüssel, um mit den neuen klimatischen Bedingungen in Zukunft zurecht zu kommen. Es gibt Aufholbedarf. Vieles ist schon geplant, aber noch zu wenig umgesetzt. Das Bewusstsein für Klimaschutz steigt jedoch, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Politik. Klimaservices und Entscheidungshilfen werden häufiger genutzt. Zahlreiche Pilotprojekte sind bereits im Gange und viele Maßnahmen auf lokaler Ebene etabliert.

Langfristig brauchen wir eine „Klimaresiliente Entwicklung“. Sie vereint Anpassungsmaßnahmen an die Klimaerwärmung mit deren Eindämmung. Es geht darum Strukturen umzukrempeln, um eine dauerhaft nachhaltige Entwicklung zu garantieren. Dies betrifft das Leben am Land, im Ozean, die ländliche, wie städtische Infrastruktur, die Energieversorgung, die Industrie und die Gesellschaft.

Ziel ist die Gesundheit der Menschen, der Ökosysteme und des Planeten.

Je wärmer es auf der Erde wird, desto weniger wirken die Anpassungsmaßnahmen. Daher sollten wir alles daransetzen, die Erwärmung auf 1,5°C zu beschränken. Mehr wird der dritte Teil des IPCC-Reports zeigen, der noch 2022 veröffentlicht werden soll.

Die Fakten rund um den Klimawandel sind oft schwer zu verdauen. Wenn wir uns jedoch der Risiken in Bezug auf die Klimaerwärmung bewusst sind, können wir intelligent und vorausschauend dagegen ankämpfen. Die jahrzehntelange Klimaforschung können wir nutzen, um gute Lösungen in die Tat umzusetzen. Der Weltklimabericht ist definitiv eine Pflichtlektüre.

Johanna Lehner
Johanna Lehner

Studiert Geographie an der Universität Wien und ist Podcasterin beim Wissenschaftspodcast 5MinutenClimateChance. Sie verschreibt sich der Klimawandelkommunikation, die vor allem leicht verständlich, problem- und lösungsorientiert sein soll und wo das Credo „only bad news are good news“ keinen Platz hat.


Quellen

  • Deutsche IPCC-Koordinierungsstelle – de-IPCC. “Hauptaussagen_AR6-WGII.” n.d.
  • Accessed March 22, 2022. https://www.de-ipcc.de/index.php.
  • “IPCC — Intergovernmental Panel on Climate Change.” n.d. Accessed March 22, 2022. https://www.ipcc.ch/.
  • Langsdorf, Stefanie, Sina Löschke, Vincent Möller, and Andrew Okem. 2022. “Climate Change 2022 Impacts, Adaptation and Vulnerability Working Group II Contribution to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.” www.ipcc.ch.
  • Zuge, Im. n.d. “Vereinbarungen für die Übersetzung englischer Fachbegriffe aus den Klimawissenschaften ins Deutsche.” Accessed March 22, 2022. https://www.ipcc.ch/site/assets/

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