Forschung Neu:
Innere Dimension der Nachhaltigkeit

Die deutsch-schwedische Wissenschaftlerin Christine Wamsler leistet in der Nachhaltigkeitsforschung Pionierarbeit. Sie ergründet die „innere Dimension“ der Nachhaltigkeit und erforscht, inwiefern unsere individuellen und kollektiven Einstellungen und Werthaltungen zu den Krisen unserer Zeit beitragen. Und, inwieweit unsere menschlichen, innere Qualitäten, wie Achtsamkeit, ein probates Gegenmittel darstellen können.


Wie bist Du beim Thema Achtsamkeit gelandet?

Nach jahrelanger Tätigkeit im Bereich der Nachhaltigkeit ist mir mehr und mehr bewusst geworden, dass wir etwas Entscheidendes vernachlässigt haben. Der Fokus der Nachhaltigkeitsarbeit liegt auf äußeren Aspekten und Veränderungen: Technologie, Politik, gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen. Dementsprechend sehen wir auch den Klimawandel als ein externes, technisches Problem, und diese Sichtweise steuert die Art unserer Maßnahmen.

Mittlerweile erkennen wir, dass der Klimawandel Ausdruck einer inneren Krise ist. Einer Krise der Beziehungen und eine Krise der mangelnden Verbundenheit: mit uns selbst, anderen, und der Natur.

Das Thema Achtsamkeit war für mich die Eintrittspforte in dieses neue Forschungsgebiet. Ich hatte mich schon seit Jahren damit ausgiebig beschäftigt. Es ist aber nur ein Teil von etwas Größerem: Dem dringenden Bedarf, sich der Frage zu stellen, wie wir – unsere Gedanken, Gefühle, Identität und Werte – mit der Klimakrise in Verbindung stehen.

Nachhaltigkeitsforscherin Christine Wamsler

Welche Rolle spielt unsere innere Haltung in der Klimakrise?

Wir sind sowohl äußerlich also auch innerlich immer stärker vom Klimawandel betroffen. Wenn ich politische Entscheidungsträger frage, wie sie die Verbindung zwischen Klimawandel und unserer Geisteshaltung sehen, erwähnen sie als erstes die zunehmende Klimaangst, vor allem unter jungen Menschen. Das ist aber nur ein kleiner Teil der komplexen Zusammenhänge.

Ein zweiter wichtiger Aspekt ist, dass unser Geist, die Art und Weise wie unser Geist operiert, oft ein Hindernis für nachhaltige Lösungen darstellt. Kognitive Verzerrungen führen uns zu fehlerhaftem Wahrnehmen, Erinnern, Denken und Urteilen. Auch unsere Tendenz zur Polarisierung, oder die Art und Weise, wie unser Geist mit Bedrohungen umgeht, ist wenig hilfreich, wenn es um den Umgang mit der Klimakrise geht. Unser fight-flight-freeze Mechanismus ist auf kurzfristige, nicht langanhaltende Bedrohungen und Stress durch Klimaangst und Klimaauswirkungen angelegt.

Der dritte, und vielleicht wichtigste Aspekt ist, dass die dominante innere Haltung in unserer industrialisierten Welt eine Grundursache der Klimakrise darstellt. Vor allem dadurch, dass wir uns von uns selbst und der Welt abgekoppelt haben: von unseren Gedanken und Gefühlen, unseren Körperempfindungen, unseren Mitmenschen, zukünftigen Generationen, und der Natur.

Wir sehen uns als unabhängige Individuen. Wir fühlen uns nicht als Teil der Natur, nicht verknüpft mit dem Wohlbefinden anderer und unserer Umwelt. Dies führt zu weitreichenden sozialen und ökologischen Problemen.

Dies ist Ausdruck eines mechanistischen Weltbildes, welches in unserer heutigen Gesellschaft und Kultur vorherrscht. Dadurch wird unsere innere – individuelle und kollektive – Haltung zur Ursache der Klimakrise.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die genannten drei Faktoren negativ beeinflussen, was schließlich zu einem Teufelskreis führt, und somit einer immer grösser werdenden Zerstörung des Gemeinwohls und der Umwelt.

Wie überwinden wir diese Isolation, in die wir uns begeben haben?

Als Individuen können wir uns zum Beispiel in Achtsamkeit und Mitgefühl üben, diese Haltung in unsere Alltagsaktivitäten einbetten, und dadurch die Verbindung zu uns selbst (unseren Gedanken, Emotionen, Körperempfindungen, inneren Werten), zu anderen und zur Natur wieder herstellen.

Wenn wir die Klimakrise als eine Krise der mangelnden Verbundenheit, sozusagen als „Beziehungskrise“ verstehen, erkennen wir die Bedeutung von inneren Qualitäten, wie Achtsamkeit und Mitgefühl, für die Bewältigung der Klimakrise.

Achtsamkeitstraining kann dazu beitragen, dass wir besser mit Klimaangst, Vorurteilen oder Fragen der Polarisierung umgehen können. Es kann unsere Fähigkeiten der Wahrnehmung, des Zuhörens und Kommunizierens fördern, und unsere inhärenten Werte stärken.  

Es entlarvt aber auch verinnerlichte und vererbte Verhaltensmuster: zum Beispiel, dass die individuellen und gesellschaftlichen Vorstellungen, nach welchen wir heute leben und welche in unseren institutionellen und politischen Strukturen Ausdruck finden, von Bildern wie Individualismus, Wirtschaftswachstum und Konsum getrieben sind. Wir werden uns der Zusammenhänge zwischen dem Einzelnen, der Gesellschaft und der Systeme in welchen wir leben bewusster.

Wenn wir diese Verflechtungen erkennen, können wir unsere eigene Rolle und Handlungsfähigkeit besser erkennen. Es macht deutlich, dass unser persönliches Handeln relevant ist und dass wir die Grundursachen der aktuellen Krisen durch unser tägliches Handeln bewusst angehen können. Es gibt uns die Motivation und den Mut, zu handeln.

Was braucht es, um Einstellungen ‚nachhaltig‘ zu verändern?

Es benötigt eine tiefgreifende Umorientierung, weg von einer einseitigen Orientierung auf die externe Akkumulation von Dingen und Wissen, zu einer Wertschätzung innerer, persönlicher Entwicklung, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene.

Durch meine Arbeit habe ich fünf Gruppen sogenannter transformativer innerer Qualitäten identifiziert: Bewusstheit, Verbundenheit, Einsicht, Sinn und Handlungsfähigkeit. Wenn wir also Qualitäten wie Selbstreflexion, Einfühlungsvermögen, Perspektivenwechsel, Dankbarkeit, Werteorientierung, Hoffnung und Mut nähren, beeinflusst das unsere Beziehungen, unsere Überzeugungen und Weltanschauungen. Ein Wertewandel und höheres Engagement, nicht nur auf persönlicher, sondern auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene gehen damit oft Hand in Hand.

Meine wissenschaftlichen Studien haben gezeigt, dass Schulungen in Achtsamkeit und Mitgefühl, transformative Qualitäten und Fähigkeiten positiv beeinflussen können. Gleichzeitig ist dieser Zusammenhang nicht simpel, direkt oder automatisch, und es benötigt mehr Forschung, um diesbezügliche Praktiken und Schulungen für Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln und anzupassen.

Warum ist es wichtig Mitgefühl zu trainieren?

Mitgefühl ist wesentlich, um unsere Verbindung und Verbundenheit mit anderen und der Umwelt zu erfahren. Die meisten Achtsamkeits-Programme schulen auch implizit oder explizit unser Mitgefühl.

Sowohl Achtsamkeit als auch Mitgefühl werden mittlerweile auch an Universitäten gelehrt. In meinem Kurs „Nachhaltigkeit und innere Transformation“ behandeln wir das Thema sowohl theoretisch als auch praktisch. Die Studierenden haben die Möglichkeit verschiedene Methoden kennenzulernen und durch eigenes Üben sich selbst als Wissenslabor zu erkennen und zu erforschen. In diesem Zusammenhang arbeite ich zum Beispiel mit Philippe Goldin, einem amerikanischen Neurowissenschaftler zusammen.

Wie erreicht Achtsamkeit Entscheidungsträger*innen der Nachhaltigkeit?

Die Inner-Green-Deal-Initiative hat mit dem Kurs „Beyond“ ein groß angelegtes Programm zur Förderung des Klimaschutzes ins Leben gerufen, das sich an Mitarbeitende des Europäischen Parlaments, aber auch an internationale Organisationen und den privaten Sektor richtet. Das Programm kombiniert Achtsamkeits- und Mitgefühlstraining mit kognitiven und verhaltenswissenschaftlichen Methoden und Systemtheorie.

Wir haben die Wirkweise dieses Programms wissenschaftlich untersucht und festgestellt, dass diese Art von Maßnahmen die Verbundenheit zwischen Menschen und Natur positiv beeinflussen und Engagement fördern kann. Es gibt gleichzeitig aber noch viele offene Fragen bezüglich der genauen Zusammenhänge und Einflussfaktoren.

Des Weiteren bietet IASS Potsdam beispielsweise seit einigen Jahren auf den jährlichen UN Klimakonferenzen einen Reflexions- und Dialograum an, in dem Delegierte der Konferenz einander in Formaten begegnen können, die ganz explizit die Kultivierung eines achtsamen und mitfühlenden Miteinander ins Zentrum rücken. Wir beforschen diese Formate gemeinsam und hören von vielen Teilnehmenden, dass sie diese als deutlich sinnvoller und effektiver erleben als andere etablierte wissenschaftliche und politische Kommunikationsformate.

Achtsamkeit könnte unsere Welt also nachhaltiger machen?

Insgesamt kann ich durch meine Forschung festhalten, dass Achtsamkeit- und Mitgefühl Faktoren sind, welche unsere Beziehung zu uns selbst, anderen und der Natur positiv beeinflussen können. Das bedeutet aber nicht, dass diese zwangsläufig und schnell zu einem sozialeren und umweltfreundlicheren Handeln führen. Es gibt Studien über Langzeitmeditierende, die zeigen, dass dies pro-soziale, pro-ökologische Einstellungen und Verhaltensweisen stärken. Hier gibt es also ein großes Potenzial.

In unserem neuen ‚Reconnection‘ Bericht, welchen ich zusammen mit der ‚Mindfulness Initiative‘ verfasst habe, zeigen wir die vielschichtigen Verbindungen zwischen Achtsamkeit, Klimawandel und Nachhaltigkeit im Detail auf. Aber es gibt noch viel, was wir nicht wissen.

Wichtig ist hier, dass sowohl ein reiner Fokus auf externen Faktoren, also auch ein ausschließlicher Fokus auf inneren Faktoren jeweils alleine nicht hilfreich oder ausreichend ist. Es geht also um die richtige Kombination und Integration beider Ansätze.

Was konntest du mit deiner Forschung bisher erreichen?

Die beiden letzten Berichte des Weltklimarates erkennen zum ersten Mal explizit die Bedeutung der inneren Dimension der Nachhaltigkeit an. Sie benennen die Notwendigkeit integrativerer Ansätze, welche innere und äußere Dimensionen vereinigen, und erwähnen sogar Meditation als eine Möglichkeit, nachhaltigen Wandel zu unterstützen. Sie nehmen dabei mehrfach Bezug auf meine Forschungsarbeiten. Das ist sehr ermutigend. Auf Grundlage meiner Forschung wurden auch bereits mehrere neue Ausbildungen und Initiativen ins Leben gerufen, auch in Österreich.

Wie erreicht man Menschen, die dem Thema Achtsamkeit skeptisch begegnen?

Achtsamkeit ist für mich eine Lebenseinstellung, eine Art zu Leben und in Beziehung zu mir und meiner Umwelt zu treten. Es gibt viele verschiedene Methoden und Ansätze, welche dies fördern können. In meinem Kurs beginne ich oft mit Übungen, welche uns helfen, unsere innersten Werte und Ängste bewusst zu machen. Ich frage nach Eigenschaften, welche die Studierenden bei anderen Menschen wertschätzen und selbst auch gerne weiterentwickeln würden. Typische Antworten sind Mitgefühl, Herzlichkeit, Präsenz, Authentizität und Integrität. Ängste, welche die meisten kennen, sind das Gefühl nicht gut genug zu sein, lächerlich gemacht zu werden, alleine oder ausgeschlossen zu sein.

Solche Einstiegsübungen machen bewusst, dass wir gemeinsame Ängste und Werte teilen. Sie lassen uns unsere Gemeinsamkeit und Verbundenheit erfahren und fühlen, und unser Verständnis für andere wachsen.

Unsere Ängste und Werte haben viel mit dem eigenen Nachhaltigkeitsengagement zu tun. Oft sind es Ängste, die uns nicht handeln lassen, und unreflektierte, von außen auferlegte Werte, treiben unsere Motivation und unser Handeln. Wenn wir es schaffen, aus unserem Autopiloten auszubrechen, entsteht eine mentale Freiheit, eine Freiheit, welche es uns erlaubt bewusstere Entscheidungen zu treffen, welche im Einklang mit unseren innersten Werten sind.

Reflexion scheint ein Schlüsselwort der Achtsamkeit zu sein?

Eine der Hauptursachen für den Klimawandel ist, dass wir bei allem, was wir tun, Muster nachleben, die uns die Gesellschaft vorgibt. Es ist hilfreich, über diese „-ismen“ zu reflektieren, z.B. Konsumismus, Sexismus etc. Diese „-ismen“ müssen wir erkennen und angehen.

Wenn man negative Muster erkennt, braucht man trotzdem oft die Unterstützung von anderen, um vom Wissen ins Tun zu kommen. Und dieses ‚Tun‘, auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist, ist entscheidend für unser nachhaltiges Engagement. Es bringt uns Stück für Stück dazu, größere, wirkungsvollere Veränderungen anzustreben.

Stehen Achtsamkeit und Systemwandel in Konkurrenz zueinander?

Nein. Die Schlüsselbotschaft lautet: es geht um ein Sowohl-als-auch. Es geht darum, externe und interne Ansätze richtig miteinander zu kombinieren und zu integrieren. Die Betonung von Achtsamkeit ist keine Kritik an den aktuellen Klimamaßnahmen, sondern weist auf einen blinden Fleck hin. Der Systemwandel ist kein Widerspruch zur Achtsamkeit. Nur ein integrativerer Umgang mit Nachhaltigkeit und Klimawandel hat auf lange Sicht Chancen, wirklich transformativ zu sein.


Christine Wamsler
Christine Wamsler

Die deutsch-schwedische Wissenschaftlerin forscht an der Universität Lund in Schweden zum Thema „Innere Dimensionen der Nachhaltigkeit“.

 

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