10. Jänner 2023 um 8 Uhr Früh… während der Rush Hour am Praterstern, dem größten Kreisverkehr Österreichs: Vierzig Wissenschaftler*innen österreichischer Universitäten forderten mit Nachdruck wirksamen Klimaschutz von Österreichs Regierung. Sie solidarisieren sich dabei ausdrücklich mit der „Letzten Generation“ und deren friedlichen Protestaktionen und Forderungen. Nebenbei begannen die „Klimakleber*innen“ sich an den Zufahrtsstraßen des Kreisverkehrs festzukleben.
Mutieren Wissenschaftler*innen nun zu linken Aktivist*innen? Und Medien ebenso, wenn sie immer mehr über die ökologischen Krisen und über die Rechtfertigung zivilen Ungehorsams berichten? Was macht das mit dem Vertrauen in ihre Neutralität und Unvoreingenommenheit? Ist ihr Berufsethos in Gefahr? Wir haben ein paar Stimmen gesammelt, die Entwarnung geben und genau das Gegenteil vermuten lassen.
Sowohl Forschende als auch Medienschaffende stellen sich diese Frage am häufigsten selbst, wenn es um die öffentliche Wirkung ihrer Tätigkeiten und Aussagen geht. In den letzten Jahren entfachte sich eine intensive und spannende Diskussion über die Rolle der Wissenschaft und des Journalismus im gesellschaftlichen Wandel.
Die Scientists Rebellion-Bewegung spricht sich dafür aus, dass Wissenschaftler*innen in erster Linie ihre Rolle als Bürger*innen der Zivilgesellschaft wahrnehmen sollten. Aufgrund ihrer Expertise und ihrem privilegierten Zugang zu Wissen tragen sie sogar große gesellschaftliche Verantwortung. Angesichts der Dringlichkeit fordert die Bewegung, dass Forschende, neben der Wissensvermittlung, mit zivilgesellschaftlichen Aktionen auf die ökologischen Krisen aufmerksam machen müssen. Den Aktionen sei hier keine Grenze gesetzt, außer, dass sie friedlich sein sollen, wie beispielsweise ein Vortrag über Mobilität mitten auf einer stark befahrenen Straße.
Dass die Wissenschaft sich für gesellschaftlichen Wandel einsetzt, ist nicht neu. In den 50er Jahren machten Albert Einstein und andere auf die große Gefahr von Atomwaffen aufmerksam. In den 1960ern und – 70ern waren viele Wissenschaftler*innen starke Treiber bei den Protesten gegen den Vietnamkrieg. Das Frauenwahlrecht und der Ausbau besserer Sozialsysteme wären ohne Aktivist*innen aus der Wissenschaft vielleicht nicht Realität geworden. Ein Zitat, das Nobelpreisträgerin Marie Curie zugeschrieben wird, trifft es gut:
Ich beschäftige mich nicht mit dem, was getan worden ist. Mich interessiert, was getan werden muss.
Klimajournalismus ist kein Aktivismus… Punkt.
Journalist Andrew Freedman ernannte das Jahr 2022 zum Jahr, in dem „wir alle Klimareporter*innen werden“. Große englischsprachige Medienhäuser wie ABC News, CNN, die Washington Post oder die New York Times hatten bereits Klima-Reporter*innen „rekrutiert“.Viele weitere Medien erhöhten die Berichterstattung rund um ökologische Krisen, neue konstruktive Formate entwickeln sich, auch im deutschsprachigen Raum.
Dass Medien Lösungen aufzeigen, mehr von positiven Entwicklungen und Erfolgsgeschichten berichten, ist dennoch weiterhin etwas ungewöhnlich und auch ungewohnt – sowohl für Lesende, Zusehende, etc. als auch Medienschaffende. In Umfragen des ARD-Forschungsdiensts berichten Journalist*innen, sie hätten Angst, als zu unkritisch und aktivistisch wahrgenommen zu werden, oder zu wenig ernst genommen zu werden und hören diese Kritik auch aus den eigenen Reihen. Es entspricht nicht dem Mainstream der (überwiegend negativen) Berichterstattung, gilt jedoch als essentieller Bestandteil, um die ökologischen Krisen lösen zu können.
Christopher Schrader, Autor des Buchs „Über Klima sprechen“, schlägt Kritiker*innen mit den eigenen Waffen, indem er sich eines wichtigen Grundprinzips des guten Journalismus bedient, nämlich dass man nur objektiv und neutral berichten könne, wenn man nicht Teil des Problems ist. Was die globalen ökologischen Krisen angeht, sind wir alle mittendrin. Wir sind Verursachende und Betroffene zugleich. Um dem Grundprinzip treu zu bleiben, müssten Journalist*innen über Lösungen schreiben, denn nur so nehmen sie sich aus dem Problem heraus (Klimafakten.de)
Die Verfasser*innen des Klimakodex – einem Leitfaden für wirksame und adäquate Klimaberichterstattung – gehen einen Schritt weiter. Sie sagen, dass Berichterstattung über die ökologischen Krisen und Lösungsansätze schlicht und einfach kein Aktivismus sei… Punkt. Diese neue journalistische Ausrichtung sei notwendig. Sie weisen außerdem darauf hin, dass der Journalismus nur auf die Bedürfnisse der Medienkonsument*innen eingehe. Denn diese lechzen nach konstruktiven und lösungsorientierten Informationen, die ihnen Hoffnung und Orientierung geben.
Christopher Schrader sieht die Verantwortung der Journalist*innen in Bezug auf Aktivismus etwas anders. Er ist überzeugt, dass sie überhaupt nicht an journalistischer Glaubwürdigkeit verlieren, wenn sie aktivistischer agieren und berichten. Ganz im Gegenteil: Journalist*innen müssten sich an zivilgesellschaftlichen Prozessen beteiligen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit retten wollen. Denn diese sinkt seit einigen Jahren stetig.
Es besteht Handlungsbedarf …
… ein Sager, der bei den Politiker*innen sehr beliebt ist, wenn Probleme, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen, auf der Tagesordnung der Newsrooms stehen und sie sich äußern müssen. Doch wirklich Handeln tun sie sehr oft nicht.
Es mag zwar untypisch sein, dass Wissenschaftler*innen auf die Straße gehen und Medien plötzlich statt über den Stau bei Protesten zu berichten, die Forderungen der Protestierenden rechtfertigen. Aber die jahrzehntelange Passivität der Politik zwingt sie aus ihren Forschungslaboren und Newsrooms, sie fordert eine Sprache, die aufschreit.
Sich mit der Zivilgesellschaft für eine bessere Zukunft einsetzen? Das ist keine Gefahr für die Glaubwürdigkeit, sondern bitter notwendig um der untätigen Politik die Leviten zu lesen!