Was weiß schon
die Wissenschaft?

Bücherstapel

Anno 2019: Die AfD zweifelt an der Aussage der deutschen Bundesregierung, dass 97 Prozent der Wissenschaftler*innen davon überzeugt seien, dass der Klimawandel vom Menschen gemacht ist. Abgeordnete der AfD leugnen regelmäßig den menschengemachten Klimawandel und sind überzeugt, dass der von der Regierung kommunizierte wissenschaftliche Konsens „in vielerlei Hinsicht falsch“ sei!

Neben allen Fehlschlüssen der AfD, dürfte sie jedoch verstanden haben, dass wissenschaftlicher Konsens – also Einigkeit unter Wissenschaflter*innen – der beste Gradmesser dafür ist, dass wir etwas wissen!

Wirklich etwas wissen? Ist das überhaupt möglich? Du kennst bestimmt das berühmte Zitat, das auf Sokrates zurückgehen soll: Ich weiß, dass ich nichts weiß. Wie können wir mit absoluter Sicherheit sagen, dass das, was wir sehen und hören auch tatsächlich das ist, was wirklich IST? Können wir nicht! Die Wissenschaft spricht daher nie von unanfechtbaren Erkenntnissen. Wie schafft Wissenschaft also Wissen? Eine Basis-Lektion in Wissenschaftspraxis.

Die Forschung definiert „Wissen“ auch als all die Behauptungen,

  1. die wir auf Basis von Beobachtungen und Logik als richtig erachten und
  2. trotz entsprechender Anstrengungen nicht widerlegen konnten.

Sie setzt dabei auf empirische Forschung, sprich, sie führt systematisch Experimente und Studien durch, erfasst Unmengen an Daten und wertet sie aus. So kann sie eine Hypothese bekräftigen – oder widerlegen.

Am Beginn jeder Forschungsarbeit steht die Hypothese…

… eine wissenschaftliche Behauptung bzw. ein Erklärungsansatz, die unsere Forschungsfrage beantworten soll. Der Wissenschaftsphilosoph Karl Popper hat gefordert, dass jede Hypothese stets so formuliert wird, dass sie „falsifizierbar“, also widerlegbar ist. Nur so können Forschende andere Erklärungen ausschließen.

Die Aussage „Alle Schwäne sind weiß“ ist falsifizierbar: wird ein schwarzer Schwan gesichtet, ist die Aussage widerlegt. Die Aussage „Es gibt schwarze Schwäne“ kann lediglich bestätigt werden, indem ein schwarzer Schwan entdeckt wird, aber nicht widerlegt werden, weil wir nie sicher sein können, alle Schwäne gesehen zu haben. Der zweite Satz wäre somit für eine wissenschaftliche Studie als Hypothese nicht brauchbar.

Von Hypothesen zur Theorie

Wissenschaftliche Experimente und Studien sind somit bewusst so angelegt, dass Forschende die Hypothese widerlegen können. Hält die Hypothese den Überprüfungen von mehreren Forschenden stand, wird immer wahrscheinlicher, dass sie stimmt. Weitere Hypothesen werden entwickelt, die auf denselben Erklärungsansätzen aufbauen. Lassen sich diese ebenfalls durch Experimente stützen, kann wissenschaftlicher Konsens entstehen. Wissenschaftliche Behauptungen werden zu allgemein anerkannten Theorien.

Beispiele für anerkannte Theorien
Die Erde ist rund. Sie dreht sich um die Sonne. Nichts bewegt sich schneller als Licht. Der Treibhauseffekt führt zu Klimaerwärmung. 

Wissens-Updates

Dennoch wurden Theorien auch schon verworfen, eben weil wissenschaftliche Behauptungen immer wieder mit den neuesten Messmethoden und Forschungsansätzen überprüft werden.

Beispiele
Die Erde galt lange als Scheibe, bis wir entdeckten, dass sie rund ist. Beliebte medizinische Behandlungen stellten sich schon als unwirksam und sogar gefährlich heraus. Auch Newtons Gravitationstheorie wurde durch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie abgelöst – gilt aber immer noch als ausreichende Beschreibung in den meisten Anwendungen der Mechanik.

Am Beispiel der berühmten IPCC-Klimaberichte kannst du sehen, wie wir durch die Wissenschaft lernen: 100 bis 250 Expert*innen geben alle paar Jahre ein mehrere tausend Seiten langes Update zum aktuellen Wissensstand über den Klimawandel heraus. Damit der Bericht auch wirklich akkurat ist, sind tausende weitere Forschende für Detailfragen, als Review Editors und Beobachtungsgremien involviert.

Achtung vor Pseudowissen!

Widerlegte Theorien sind idealer Nährboden für Pseudowissenschaften. Sie bedienen sich sogenannter Immunisierungsstrategien: Jeder auftauchende Widerspruch, wird selbstbewusst mit einer selbstgebastelten Erklärung gerechtfertigt. Gegenargumente werden mit fadenscheinigen Begründungen ignoriert – oft unterstützt durch fragliche Quellen.

Marc-Uwe Kling, Autor der „Känguru-Chroniken“ umreißt das Problem auf humorvolle Art: In seinem aktuellen Film „Die Känguru-Verschwörung“ entwerfen seine Protagonist*innen kurzer Hand die Theorie der Würfel-Erde (die Erde ist keine Kugel, sondern ein Würfel). Schließlich sind Landkarten viereckig und die großen Wasserfälle liegen genau an den Würfelkanten. Gegen Widersprüche demonstriert das Känguru die Immunisierungsstrategie:

Warum hat man davon noch nie etwas gelesen? – Die Presse schreibt nicht darüber, weil sie gekauft ist.Was ist mit Bildern von der kugelförmigen Erde? – Die CIA zwingt alle Astronaut*innen einen speziellen Weitwinkel zu verwenden, mit dem die Würfelform aus dem All nicht erkennbar ist.
Jeder Widerspruch ist zwecklos.

Glaube ist nicht Wissen

Wichtig zu unterscheiden ist auch „Wissen“ und „Glaube“.  Die AfD glaubt nicht an den menschengemachten Klimawandel. Doch der Klimawandel ist keine Glaubensfrage, sondern eine Wissensfrage! Oder wie Astrophysiker Neil deGrasse Tyson zu sagen pflegt: Wissenschaft ist wahr, ob du dran glaubst oder nicht.

Menschen, die an einen Gott glauben, haben die tiefe Überzeugung, dass es einen Gott gibt. Sie können dies weder bestätigen, noch widerlegen, sondern vertrauen auf dessen Existenz. Das ist die beeindruckende Grundlage von Religion. Dennoch müssen wir hier anerkennen, dass wir nicht wissen, sondern glauben.

Stelle doch mal deine eigenen Überzeugungen – dein Wissen – auf den Prüfstand!
Für einige weitverbreitete Überzeugungen gibt es keine wissenschaftlich belegbaren Hinweise. Suche aktiv nach Widersprüchen! Bist du bereit, dich eines „Besseren belehren“ zu lassen? Entdeckst du eigene Immunisierungsstrategien? Unten ein paar Vorschläge zum Selbsttest mit empfohlenen Quellen.

Dürfen wir der Wissenschaft glauben?

Woher wissen wir also, dass das heutige Wissen Qualität hat? Bevor eine wissenschaftliche Publikation veröffentlicht wird, durchläuft sie in der Regel ein sogenanntes Peer-Review Verfahren: Unbeteiligte Wissenschaftler*innen prüfen die Arbeit anhand der Gütekriterien der Wissenschaft:

Ist die Methode nachvollziehbar? Misst sie wirklich das, was sie messen soll? Ist sie reproduzierbar, das heißt, kann das Experiment beliebig wiederholt werden? Wahren die Forschenden die Objektivität – angefangen bei der Forschungsfrage, der Wahl der Methodik bis zum Interpretieren der Ergebnisse?

Peer-Reviews sind eine Absicherung, um bestmöglich nur valide Ergebnisse an die Öffentlichkeit zu bringen. In manchen Fällen werden Forschungsergebnisse veröffentlicht, bevor sie geprüft wurden, um sie schon früher für Diskussionen der Fachleute zur Verfügung zu stellen. Dies war z.B. während der Corona-Pandemie der Fall.

Trotzdem ist das Wissenschaftssystem an sich kritisierbar und verbesserungsfähig. Dessen sind sich Wissenschaftstreibende durchaus bewusst. Häufige Kritikpunkte sind: Die große Macht etablierter Wissenschaftsmagazine, mangelhafte Peer-Review Verfahren einiger kleinerer Wissenschaftszeitschriften, der beschränkte und teure Zugang zu Publikationen, Forschungsergebnisse, die nicht reproduzierbar sind (Replikationskrise). Die Ansicht, dass nur wer viel publiziert und zitiert wird, als wissenschaftlich erfolgreich gilt, bringt falsche Anreize für Wissenschaftler*innen. In Einzelfällen wurden leider sogar experimentelle Ergebnisse gefälscht.

Wissenschaftlicher Konsens ist dennoch das beste Indiz dafür, dass wir „richtig liegen“. Es ist das „beste“ Wissen, das wir haben und wer in die Welt des Wissens eintaucht, wird belohnt mit neuen spannenden Erkenntnissen über diese Welt.

Interessanterweise musste die Bundesregierung ihre eigene Behauptung von 97 Prozent Einigkeit unter den Klimawissenschaftler*innen tastsächlich korrigieren. Es sind bereits 99 Prozent der Expert*innen vom menschengemachten Klimawandel überzeugt. Es deutet aktuell nichts darauf hin, dass diese Annahme nicht stimmt (Bundestag, Süddeutsche Zeitung).

Die rasante Erderhitzung der letzten 70-80 Jahre ist nicht nur einer Person aufgefallen, sondern unzählige Wissenschaftstreibende auf der ganzen Welt bestätigen die menschengemachten Treibhausgase als Hauptursache. Der US-Geologe James Powell untersuchte mehrmals dazu den wissenschaftlichen Konsens. Bereits 2012 publizierte er, dass von 33.700 Publikationen nur 34 nicht vom menschengemachten Klimawandel überzeugt sind. Weitere Studien bestätigten immer wieder die hohe Übereinstimmung unter den Wissenschaftler*innen.


Lukas Weymann
Lukas Weymann

Dr. Lukas Weymann ist Projektleiter im Competence Center Neue Technologien am Fraunhofer-Institut für System und Innovationsforschung ISI. Er engagiert sich in verschiedenen Wissenschaftskommunikationsprojekten, unter anderem beim Podcast 5mcc – 5MinutenClimateChance, der 2020 mit dem österreichischen Umweltjournalismus-Preis  und dem Austrian SDG-Award ausgezeichnet wurde.

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Medienquellen: Die Zeit – Panik vor dem Piks, Pharmazeutische Zeitung – Kein Zusammenhang zwischen Autismus und Impfungen
Peer-Reviewed Veröffentlichungen: The MMR Vaccine and Autism

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