Only bad news
is good news?

Stapel aus Tageszeitungen

Die 3 K’s des Jahres 2022: Krieg, Klimakatastrophe, Korruption!
(Letzteres gilt zumindest für Österreich.)

Der Journalismus leistet Unglaubliches, um uns faktenbasiert und verlässlich über die Weltgeschehnisse zu informieren. Überwiegend sind es jedoch negative Nachrichten, die tagtäglich auf uns hereinprasseln! Ist unsere Welt wirklich so schlecht? Und tut uns Nachrichtenkonsum noch gut?

Ausschließlich Missstände aufzudecken ist deutlich einfacher als zusätzlich Lösungswege zu beschreiben. Und trotzdem machen viele Journalist*innen genau das:

In der festen Überzeugung, so am meisten Betroffenheit und Aufmerksamkeit auszulösen, beschreiben sie jede Krise so drastisch wie möglich. … Doch je drastischer und negativer ein Problem beschrieben wird, umso weniger setzen wir uns dafür ein, dass es gelöst wird. … Und so glauben, Nachricht für Nachricht, immer weniger Menschen daran, dass sie einen Einfluss auf Politik und Gesellschaft haben.

Die Journalistin und Autorin Ronja von Wurmb-Seibel verschreibt sich dem Konstruktiven Journalismus, der eine andere Art der Berichterstattung forciert (Mehr dazu unter Journalistische Geschichten, die Mut machen!).

Das altbekannte Credo „Only bad news is good news“ ist ihrer Meinung nach überholt. Wir haben in ihrem Bestseller Wie wir die Welt sehen geblättert, um zu verstehen, wie Medien überhaupt funktionieren, wie dieses Credo entstand und was eine journalistische Geschichte „gut“ macht?

Der tägliche Fehlerbericht

… so bezeichnet Ronja von Wurmb-Seibel die Nachrichten, die meist nach den sogenannten Nachrichtenfaktoren ausgewählt werden. Ein Ereignis schafft es somit in die Medien, wenn es

  • in der Nähe (geographisch und kulturell) passiert
  • ungewöhnlich oder noch nie dagewesen ist,  
  • konfliktgeladen ist,
  • weitreichende Konsequenzen hat
  • oder Berühmtheiten betrifft.

Die Journalistin stellt in Frage, ob es dem Journalismus anhand dieser Auswahlkriterien tatsächlich gelingt, die wichtigen Ereignisse von unwichtigen herauszufiltern und ob es immer nützliche Informationen sind, die uns die Weltgeschehnisse auch gut erklären. Denn manche wichtigen Entwicklungen gehen dadurch spurlos an den Newsredaktionen vorüber.

Verzerrtes Weltbild

Die Folge ist, dass wir die Realität sehr einseitig sehen. Von fernen Ländern, zum Beispiel, bekommen wir nur die schlimmsten Ereignisse wie Krieg, Naturkatastrophen, Anschläge mit. Laut der Psychologin Jodie Jackson unterscheidet unser Gehirn kaum, ob wir ein Ereignis über die Medien erfahren oder im echten Leben miterlebt haben. In unseren Köpfen entsteht ein verzerrtes Bild von diesen Ländern und dortigen Lebensrealitäten. Dass dort auch Anderes passiert, wird vergessen.

Wir nehmen dadurch viele globale Entwicklungen schlechter wahr, als uns Statistiken zeigen würden. Viele unserer Entscheidungen basieren darauf (Wahlverhalten, welchen Beruf wähle ich?) – auch die Maßnahmen von Entscheidungstragenden, die häufig dementsprechend ungeeigneten sind, um ein Problem zu lösen.

Probiere es selbst aus
Todesfälle durch Naturkatastrophen, Selbstmordraten, in Armut lebende Menschen. Sind diese in den letzten Jahrzehnten gesunken oder gestiegen? Die schwedische Organisation gapminder.org versucht mit ihren kurzen Fragebögen unser Weltbild zu korrigieren, indem sie die Daten und Fakten dazu aufzeigt.

We need a hero! Do we?

Auch Nachrichten sind Geschichten! Sowohl in der Literatur, im Film als auch im Journalismus ist die sogenannte Held*innenreise ein beliebtes und weit verbreitetes Instrument für gutes Geschichtenerzählen.

Die Held*innereise in Kürze
Eine Einzelperson, die zuerst nichts von ihren besonderen Fähigkeiten weiß, wird mit einem Problem konfrontiert. Sie macht sich gestärkt durch einen Mentor auf die Reise, um dieses Problem zu lösen. Auf dem Weg findet die Person Gefährtinnen, mit deren Hilfe sie mehrere Hindernisse überwindet. Am Ende muss sich die Person jedoch alleine dem Feind stellen, den sie am Ende auch – meist in einem Kampf – besiegt. Unsere Heldin geht als neue, gestärkte und gewandelte Person hervor und gibt ihre Erfahrung und Weisheiten an ihre Mitmenschen weiter.

Beispiel aus der Literatur: Harry Potter vs. Voldemort
Beispiel aus den Medien: Greta Thunberg vs. Donald Trump

Die Doppelmoral der Held*innengeschichte

Diese Erzählmethode vermittelt uns den Eindruck, dass es in der Verantwortung einzelner Personen liegt, die großen Probleme unsere Zeit zu lösen (z.B. Klimakrise). Wir anderen können maximal passive Beobachtende sein.

Große Probleme werden jedoch immer dadurch gelöst, dass sehr viele Leute viele kleine Schritte setzen. Es braucht gesellschaftliche Teilhabe, Kooperation, Protest, soziale Bewegungen, usw. Hören wir, dass hunderte Menschen gemeinsam ein Problem lösen, ist es keine Herkulesaufgabe eines „Übermenschen“ mehr. Wir erfahren, dass eigenes Engagement in einer Gruppe erstens wirksam und zweitens machbar ist. Es braucht auch nicht immer einen Kampf oder Konflikt, damit wir Dinge zum Besseren ändern können.

Es gibt noch ein Problem mit dem Held*innenprinzip. Das Rampenlicht auf Einzelpersonen lässt weitere Teilhabende in der Dunkelheit verschwinden. Autorin von Wurmb-Seibel nennt als prominentes Beispiel die Berichterstattung über Donald Trump: Nicht nur das eigentliche Thema (z.B. Migration), sondern auch das wachsende rechte Milieu, das die Jahre zuvor von vielen Politiker*innen genährt wurde, gingen Großteils unter.

Hinzu kommt das Gruppen-Paradox in uns. Hören wir vom Schicksal Einzelner (z.B. die Fluchtgeschichte einer Mutter mit ihren Kindern), stellen wir leichter eine emotionale Verbindung her. Einer bestimmten Person in Not wird eher geholfen als einer ganzen Gruppe in Not (Flüchtlingswelle). Je mehr Personen von einer Katastrophe betroffen sind, desto schwerer ist es für uns Empathie zu empfinden und zu helfen. Diese „Unfähigkeit“ können wir beim Nachrichtenlesen mitbedenken.

Die Aufregerproduktionsmaschine

… so nennt Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl die Nachrichten. Denn gerne werden in der Berichterstattung zwei möglichst gegensätzliche Meinungen oder provokante Aussagen herausgepickt, die Held*innen und Anti-Held*innen „gegeneinander antreten“ lassen.

Konfliktreiche Berichterstattung gewinnt Leser*innen, Follower*innen, usw. – mit großem Erfolg. Die Folge: Ein polarisierter gesellschaftlicher Schwarz-Weiß- Diskurs mit festgefahrenen Meinungen. Die meisten gesellschaftspolitischen Themen sind allerdings zu komplex und brauchen eine differenzierte Diskussion – viele Graustufen.

Falsche Balance

Journalist*innen haben in der Regel den Anspruch, ausgewogen über ein Thema zu berichten und es von mehreren Seiten zu beleuchten. Weil der Journalismus aber gerne polarisiert, erhalten manche Seiten leider immer wieder zu viel Aufmerksamkeit.  

Die Meinung von Klimakrisenskeptiker*innen wurde immer wieder den Aussagen der Klimawissenschaftler*innen gegenübergestellt. (Nature). Wir bekommen den Eindruck, dass die Gruppe der Skeptiker*innen 1) ähnlich groß ist und 2) daher deren Meinung ähnlich viel Gehalt hat, wie die Aussage der zigtausenden Wissenschaftler*innen, die vor der Klimakrise warnen. Der Unterschied: Die Meinung der Skeptiker*innen ist schlichtweg falsch, es fehlt völlig an wissenschaftlicher Substanz.

Cranky Uncle alias John Cook, Klimakommunikationsforscher der Monash University verbildlicht False Balance so:

Man spricht von einer „False Balance“, einer falschen Ausgewogenheit in der Berichterstattung, die unbedingt vermieden werden muss. Der Journalist Jonathan Foster rät dazu:

Wenn jemand sagt, dass es regnet, und ein anderer, dass es trocken ist, ist es nicht Ihre Aufgabe, beide zu zitieren. Es ist Ihre Aufgabe, aus dem Fenster zu schauen um herauszufinden, was wahr ist.

zitiert in Wie wir die Welt sehen

Der Fokus auf kurzfristige Ereignisse

… es braucht länger einen Krieg zu beenden, als ihn zu beginnen.

Ronja von Wurm-Seibel in ihrem Buch Wie wir die Welt sehen.

Negative Ereignisse, die es in die Medien schaffen, passieren oft in einem kurzen, tragischen Moment (Naturkatastrophe, Einfall Russlands in die Ukraine) – eine sichere Schlagzeile.

Positive Veränderung passiert jedoch nicht an einzelnen Tagen. Sie wird erst aus Statistiken oder Langzeitbeobachtungen ersichtlich und sorgt meist für weniger Aufruhr, schafft es deshalb weniger oft in die Medien.

Breaking News – Nachrichten, an denen wir zerbrechen?

Eine breit angelegte Studie der Oxford University zeigt, dass immer mehr Menschen Nachrichten aktiv vermeiden (38 Prozent der Befragten 2022, 2017 waren es noch 29 Prozent). Ihre Gründe dafür sind unter anderem, dass Nachrichtenkonsum ihre Stimmung drückt (über ein Drittel der Vermeidenden) oder auch das Gefühl der Machtlosigkeit hervorruft (16 Prozent der Vermeidenden).

Nachrichtenkonsum kann sogar „prätraumatische Belastung“ auslösen: Wir entwickeln Stress und Angstzustände schon bevor schlimme Ereignisse eintreten oder auch wenn wir diese höchstwahrscheinlich nie erleben (Wirtschaftskrisen, Terroranschläge, Erkrankung). Es macht relativ wenig Unterschied, ob wir uns Ereignisse nur vorstellen oder sie tatsächlich erleben. Wir verzweifeln, stumpfen ab, fühlen uns hilflos gegenüber nicht änderbaren Situationen.

Eine gut informierte Gesellschaft ist essentiell für positive Entwicklung und die Lösung von Problemen. Wie könnte aber Journalismus aussehen, der für uns die relevanten Geschehnisse herausfiltert und uns dazu einlädt, weiterzulesen, -zuhören, -zuschauen und uns zu engagieren? Kein Wellness-Journalismus, aber Journalismus der Mut macht? Lies jetzt: Journalistische Geschichten, die Mut machen!


Johanna Lehner
Johanna Lehner

hat Ronja von Wurmb-Seibels Workshop zu Konstruktivem Journalismus besucht und kann ihren Bestseller Wie wir die Welt sehen wärmstens empfehlen.

Johanna Lehner, BSc, ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und seit 3 Jahren Podcasterin beim Wissenschaftspodcast 5MinutenClimateChance.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert