Warnung: Ich werde Ihr Gehirn in der nächsten Stunde verändern!
Das waren Maren Urners erste Worte in einem ihrer zahlreichen Vorträge darüber, wie nachhaltiges Handeln in unseren Köpfen beginnt. Sei also gewarnt! Denn die Neurowissenschaftlerin entführt uns in unser Steinzeithirn.
Sämtliche Krisen dieser Welt basieren darauf, dass wir Menschen nicht gut genug kommunizieren und weil manche Funktionen unseres Steinzeithirns heutzutage nicht mehr ganz so brauchbar sind. Tatsächlich haben sich unsere Hirnfunktionen seit der Steinzeit nicht wesentlich verändert, erklärt Maren Urner mit einem Scan ihres Gehirns.
Es bedarf einer kurzen Vorstellung dieses Gehirns: Maren Urner ist Neurowissenschaftlerin und Professorin für Medienpsychologie an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Köln. Die Bestseller-Autorin und Gründerin des Magazins Perspective Daily geht der Frage nach, warum wir Krisen – allen voran die Klimakrise – so widersprüchlich behandeln. Denn obwohl wir wissen, dass die Klimakrise die größte Bedrohung der Menschheit ist, „schaffen“ wir jedes Jahr erneut einen Rekord an CO2-Emissionen. Warum verhalten wir uns so paradox?
Zuerst denken, dann reden
Jedes menschliche Gehirn unterscheidet sich in seiner Form und der Art, wie es arbeitet. Jede*r nimmt die Welt daher unterschiedlich wahr (schmecken, riechen, usw.) und interpretiert sie anders. Da wir unsere Hirne nicht einfach so tauschen können, um mal zu sehen wie andere die Welt erleben, bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Sicht der Dinge zu kommunizieren: Durch Sprechen, Mimik, Gestik, Schreiben, über Social Media, und so weiter. Und, im Kommunizieren sind wir (noch immer) ziemlich schlecht, provoziert Maren Urner bewusst.
Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten?
Ein Beispiel für „schlechte“ Kommunikation: Der Überhang an negativen Nachrichten. Wir nehmen dadurch die Welt als wesentlich schlechter wahr, als sie eigentlich ist. Warum fokussieren wir uns so gerne auf das Negative und berichten nicht viel mehr über Positives?
Hier kommt nun die Steinzeit ins Spiel: Steht ein Säbelzahntiger vor dir, bist du gut beraten, dich nicht auf die wunderschöne Graslandschaft oder die gute Luft zu konzentrieren, sondern all deine Sinne darauf zu richten, dich vor dem Säbelzahntiger zu schützen.
Heute kämpfen wir mit einem „digitalen Säbelzahntiger“, in Form einer Flut an negativen Nachrichten direkt auf unser Smartphone.
Fight – Flight – Freeze
Die Reaktion unseres Gehirns ist in beiden Situationen dieselbe: Angst und Unsicherheit. Wir wechseln in den Überlebensmodus. Bei Angst kennt unser Gehirn nur drei Reaktionen, hier am Beispiel der Klimakrise:
- Kampf (Klimaaktivist*innen kleben sich auf Straßen)
- Flucht (wir ignorieren das Problem und genießen das Weiter, wie bisher)
- Erstarren (Ohnmachtsgefühl – nicht wissen, was tun)
Schalten wir im Kampf gegen den „digitalen Säbelzahntiger“ in den Überlebensmodus, werden unsere höheren kognitiven Fähigkeiten – die, die uns so schlau machen – blockiert, unsere Hirntätigkeiten auf Basisfunktionen reduziert.
Gewohnheitstiere
Hinzu kommt, dass unser Steinzeithirn möglichst energieeffizient arbeiten will. Schließlich genossen Steinzeitmenschen nicht den Komfort zu wissen, wann die nächste Mahlzeit stattfindet. Tätigkeiten zu Gewohnheiten zu machen, macht unser Hirn einfach energieeffizienter.
Selbst Hilflosigkeit wird zur Gewohnheit, die uns lähmt, sodass wir nicht ins Handeln kommen. Wir hören ständig: Das Problem ist zu komplex oder wir schaffen es nicht mehr rechtzeitig. Mit dem traurigen Nebeneffekt, dass 56 Prozent der jungen Menschen der Meinung sind, die Menschheit sei dem Untergang geweiht und überzeugt sind, dass sie keine lebenswerte Zukunft mehr erwarten können.
Die Neurowissenschaftlerin spricht von einer globalen Hilflosigkeit, aus der wir rausmüssen, um unser paradoxes Verhalten gegenüber Krisen zu überwinden.
Wie kommen wir aus dieser Hilflosigkeit raus?
Die gute Nachricht: Unser Gehirn verändert sich ein Leben lang, in jedem Moment, mit jedem Gedanken. Bis ins hohe Alter können wir durch Lernen und neue Erfahrungen unser Gehirn „auf andere Gedanken“ bringen, neue Verhaltensweisen und Gewohnheiten entwickeln. Aber wie? Beispielsweise durch bessere Kommunikation!
Das Reden über Probleme schafft Probleme, das Reden über Lösungen schafft Lösungen.
Steve de Shazer, amerikanischer Psychotherapeut und Autor
„Neurowissenschaftlich macht es einen großen Unterschied, ob wir die Dinge problemorientiert oder lösungsorientiert betrachten“, erklärt Urner. Es bedeutet nicht, dass wir das Problem ignorieren. Im Gegenteil, wir wenden uns dem Problem zu, stellen uns jedoch andere Fragen: Nicht „Wer ist schuld?“, sondern „Wer kann was tun?“.
Maren Urner plädiert für ein „Dafür“ statt „Dagegen“. Bist du gegen etwas (zB. gegen Krieg), nimmst du automatisch eine Abwehrhaltung ein. Bist du für etwas (Frieden), wechselt deine Perspektive zu „wo soll es hingehen und wie kommen wir dahin?“. Der Blick richtet sich in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit.
Die Köpfe zusammenstecken
Ein „Dagegen“ kreiert automatisch Lagerdenken: Gut und Schlecht, Freund und Feind. Niemand möchte als schlechter Mensch (Klimasünder*in) angesehen werden.
Ein „Dafür“ kreiert eine andere Art des Gruppendenkens: Wir gehen auf die Suche nach gemeinsamen Nennern für ein gemeinsames Ziel (Klimaneutralität). Auf der Hirnebene schaffen wir Verbundenheit, auf der Verhaltensebene besseres Zuhören, mehr Vertrauen und die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.
Nachhaltiges Handeln ist Hirnworkout
Suchen wir nach Lösungen, die noch nicht da sind, zapfen wir unsere Vorstellungskraft an, die uns Menschen so besonders macht. Dabei finden kognitive Vorgänge statt, die dynamisches Denken fördern. Sich etwas vorzustellen, das noch nicht da ist, braucht allerdings Hirnschmalz, sprich Energie. Ähnlich wie beim Sport muss neues – nachhaltiges – Handeln trainiert werden, bis es zur neuen Gewohnheit wird. Vorteil: Wie beim Sport schaltet sich auch hier der Belohnungsmodus nach dem Training ein.
Geschichten sind Gehirnnahrung
„Unser Hirn liebt Geschichten“, erklärt Maren Urner. Um die eigene Hilflosigkeit in einer vermeintlich ausweglosen Situation (wie der Klimakrise) zu überwinden, müssen wir unser Gehirn mit Geschichten füttern, die unsere Selbstwirksamkeit greifbar machen. „Denn Selbstwirksamkeit ist die Gegenspielerin der Hilflosigkeit.“ Wir müssen davon hören, lesen oder sehen, wie wir unsere Leben gestalten und eine gänzlich nachhaltige Welt schaffen können.
Maren Urner nimmt hier Medien in die Verantwortung. Ansätze wie der Konstruktive Journalismus oder neue Formate für lösungsorientierte Nachrichten erfahren immer mehr Aufwind. Aber auch jedes einzelne Gehirn ist gefragt, um unser paradoxes Verhalten gegenüber großen Krisen zu überwinden.
Der erste Schritt ist, zu reflektieren, wie wir selbst Nachrichten verarbeiten und ob es einen Unterschied macht, wenn (nur) Negatives oder auch Positives und Lösungsvorschläge berichtet werden. Probiere es aus, Lesestoff und mehr Tipps findest du hier und weiter unten. Oder frag dein Lieblingsmedium nach Lösungen oder Positivbeispielen, wenn diese fehlen. So können wir unser Steinzeithirn mit seiner Liebe zum Negativen austricksen und erlernen dabei mehr Handlungsfähigkeit.
PS: Hat sich dein Gehirn nach dem Lesen dieses Artikels schon verändert?