Mutmach-Kino

Teresa Distelbergers Mutmach-Dokumentationen rücken Menschen in den Fokus, die Probleme erkennen und handeln. Im Interview erzählt sie uns von Momenten von sozialer Schönheit, von Anpackertum „made in Austria“ und wie sie, als „Cheerleaderin des Wandels“, Heldenhaftes sichtbar macht und feiert.

Sie haben durch Filme wie „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ und „Rettet das Dorf“ ein neues Kino-Genre in Österreich mitgeprägt: „Mutmach“-Dokumentationen. Wie kam es dazu?

Nach dem Studium und ersten Filmversuchen wollte ich erstmal raus aus der beobachtenden Rolle und mich selbst einbringen für die Art von Welt, in der ich leben wollte. In Mexiko durfte ich erfahren, wie es sich anfühlt, in einer matriarchalen Gesellschaft zu leben. Aber auch die Arbeit in einem ökologisch orientierten Unternehmen und in einem Waldkindergarten, haben mich damals geprägt. Zurück zum Film hat mich dann ein glücklicher Zufall geführt.

Regisseurin Nicole Scherg holte mich an Bord des Drehteams der Dokumentation „Das Leben ist keine Generalprobe“, über GEA-Gründer Heini Staudinger, wodurch ich die Geyerhalter-Filmproduktion kennenlernte.

Danach wollte Filmproduzent Michael Kitzberger, unbedingt einen ermutigenden Film mit inspirierenden Personen machen. Woraus „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ entstand: ein filmisches Gemeinschaftsprojekt verschiedener Regisseur*innen, dessen ‚Ziehmutter‘ ich einige Jahre sein durfte. Nachdem viele Menschen beim Thema Zukunft automatisch an Probleme denken, wollten wir auch Möglichkeiten aufzeigen: für mehr Partizipation, ökologische Lebensmittel, soziales Engagement oder alternatives Bauen.

In ihrem letzten Dokumentationsfilm „Rettet das Dorf“ stand die Abwanderungsthematik im ländlichen Raum im Vordergrund.

Auch hier haben wir die filmischen „Grundzutaten“ aufgegriffen, ein Problem aufzuzeigen und gleichzeitig auch Ansatzpunkte für Veränderung zu bieten. Umbrüche im ländlichen Raum und die Abwanderung zu thematisieren und gleichzeitig Menschen zu zeigen, die schon etwas anders machen.

Vor allem in den Publikumsdiskussionen habe ich gemerkt, dass es mir liegt, eine ermutigende Stimme in ein oft schon pessimistisches Diskursfeld miteinzubringen.

Was zeichnet Ihre Protagonist*innen besonders aus?

Wir suchen immer Menschen, die eine gewisse Selbstverständlichkeit ausstrahlen, in dem was sie tun. Man spürt es, wenn Menschen am richtigen Ort gelandet sind, wo sie ihre Fähigkeiten für etwas einsetzen, das für sie richtig ist, aber eben nicht aus einem Märtyrer-Gedanken heraus. Und das kommt in den Filmen dann als „geerdete Ermutigung“ rüber.

Viele Dinge sieht man auch nicht. Aber es gibt Menschen, die für das, was ihnen wichtig ist, bereit sind auch das mitzumachen, was nicht heroisch ist. Es wäre ein anderer Film, Menschen zu zeigen, die sich selbst als Held*innen betrachten. Unsere Protagonist*innen merken oft nicht, wie heldenhaft das ist, was sie tun. Dabei könnte ich manchmal über einzelne Personen einen ganzen Film machen.

Welche besonders einprägsame Momente aus den letzten Filmprojekten wirken bei Ihnen immer noch nach?

Eine Sache, die mich sehr beeindruckt hat, war die Geschichte von Fritz Pichler, dem Bürgermeister aus der Stanz (Steiermark). Er war einfach ein normaler Bürger und war nicht einverstanden mit der geplanten Gemeindezusammenlegung. In diesem Ort ist rund um dieses Thema ein gemeinsamer Drive entstanden. Was dazu führte, dass seine Bürgerliste zum ersten Mal bei der Wahl antrat und sofort die Mehrheit und den Bürgermeisterposten bekommen hat.

Das Team der Bürgerliste setzt tolle Sachen um: ein E-Ruf-Taxi und ein Mitfahrbankerl, weil der Ort öffentlich schlecht angebunden ist; einen Waldkindergarten; die Revitalisierung des Dorfladens.

Oft wirkt ja Politik weit weg und unerreichbar für normale Bürger*innen. Und an dem Beispiel wird klar: es kann auch ganz schön schnell gehen, wenn Entschlossenheit, Rückhalt eine Vision und der richtige Moment da sind.

Begegnen Sie in ihrer Arbeit auch Einstellungen, die sie herausfordern?

Ich bin sehr neugierig auf andere Lebensrealitäten und Menschen, die eine ganz andere Lebenseinstellung haben als ich. Ich lasse mich gern auf den Perspektivenwechsel ein. Bei einem Publikumsgespräch war ich da jedoch auch gefordert, da ergab sich ein Zwiegespräch mit einem jungen Mann, der in seiner Abwanderungsgegend einfach trotzdem keine „Zuagroaste“ wollte. Seine Haltung war: Wir wollen unter uns bleiben, auch wenn es weniger wird. Die Denkmuster dahinter – diese Bewahrungsgedanken – führen oft zu Ausschlussmechanismen. Egal ob die zugereiste Person aus einem anderen Dorf, Bundesland, Land oder Kontinent kommt, der Mechanismus ist derselbe.

Im Zusammenhang damit beschäftigt mich auch das Thema Grenzen. Wie aus der privilegierten Lage, heraus vorher schon hier gewesen zu sein, gesagt wird: Nein. Das trifft auch auf die nationale Politik zu. Mit dieser Haltung komme ich an meine Grenzen. Es macht mich sehr betroffen, wie es zu dieser Härte kommt, die keinen Raum für einfühlende Menschlichkeit zulässt. Gleichzeitig finde ich es toll, dass meine Heimatgemeinde Herzogenburg sich dank der NGO „Seebrücke“ als „Sicheren Hafen“ erklärt hat und von der Bundesregierung fordert, auf kommunaler Ebene geflüchtete Menschen aufnehmen zu können.

Greifen Sie das Thema Grenzen auch filmisch auf?

Ich war unlängst als Kamerafrau für SOS Balkanroute in Bosnien, um Kurzfilme und Social Media Clips zu produzieren. Die NGO arbeitet mit tollen, bosnischen Frauen zusammen, die es absolut Wert wären einen Film über sie zu machen.

Ich denke zum Beispiel an die Begegnung mit Dženeta, der Leiterin einer Hilfsorganisation in Tuzla. Sie versorgt Menschen, die in verlassenen Zugwagons auf ihrer Flucht pausieren. Aber nicht nur mit dem offensichtlich Lebensnotwendigem, wie Essen, Kleidung, medizinischer Versorgung, sondern auch mit Gesprächen auf Augenhöhe. Und mit Würde. Das ist ein Moment von sozialer Schönheit.

Themen, die sie aktuell berühren, haben also viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun?

Ich bin mir meiner Privilegien als weiße Europäerin bewusst. Ich habe das Glück zu Friedenszeiten in einem wohlhabenden, halbwegs sozial ausgeglichenen Land zu leben. Ich durfte von einer breiten Sozialpolitik profitieren, z.B. während meines Studiums. Es gibt viele Dinge, die in meinem Leben zusammengespielt haben, wodurch ich mich entfalten konnte.

Was für mich die Frage aufwirft, wie ich diese Privilegien nutze, um für noch mehr Menschen diese ‚Selbstverständlichkeiten‘ zu ermöglichen. Wobei es wichtig ist, die Rahmenbedingungen nicht aus den Augen zu verlieren. Neoliberale Politik führt dazu, dass immer mehr Menschen unter Druck kommen, was Neid und Ängste befeuert.

Wie nehmen Sie die gesellschaftliche Wirkung Ihrer Filme wahr?

Einen Film zu machen ist, wie einen Stein ins Wasser zu werfen. Der Film ist der Stein, aber das, worum es eigentlich geht, sind die Wellen. Das Filmthema berührt Menschen in unterschiedlicher Intensität: manche haben mitgewirkt, andere sehen den Film, lesen darüber oder bekommen von anderen darüber erzählt.

Wenn Menschen an einem Ort wie im Kino zusammenkommen und danach noch ein Gespräch stattfindet, hat das nochmal ein anderes Potential. Da können die Dorfbewohner*innen die Impulse aus dem Film direkt in den Austausch über ihren eigenen Ort mitnehmen.

Ich mag meinen Beitrag aber auch nicht überbewerten. Was ich machen kann ist, etwas zu nehmen, was da ist, es hervorzuheben und zu feiern, wodurch es sichtbar wird und auch andere inspirieren kann. Den Wandel machen die Leute selbst. Ich bin eher eine Botschafterin, oder Cheerleaderin des Wandels.

Versuchen Sie den gesellschaftlichen Wandel auch selbst zu leben?

Ich bin als Kind in einem Gemeinschaftswohnprojekt aufgewachsen und wollte auch als Erwachsene so leben. Ohne geerbtes Vermögen erschien es mir allerdings unrealistisch so ein Projekt zu gründen. Als ein Freund von mir ein Grundstück für ein Wohnprojekt in St. Andrä-Wördern fand, wollte ich mitmachen. Unter der Bedingung, dass ein ‚Vermögenspool‘ Teil der Finanzierung wird.

Der Vermögenspool ist eine sozial-juristische Innovation von meinem Vater, der eigentlich Rechtsanwalt ist, sich aber selbst auch als unverbesserlichen Weltverbesserer bezeichnet. Man kann es als Werkzeug nutzen, um Land frei zu kaufen, Energieanlangen zu bauen oder eben Wohnprojekte zu errichten.

Auf diese Art haben Anleger*innen sich schon mit ca. 5 Millionen Euro beteiligt am Wohnprojekt ‚Auenweide‘ die sich gerade im Bau befindet. Der Vermögenspool ermöglicht uns vergleichsweise niedrige Mieten und entschärft das Problem, dass wirklich ökologisches Wohnen momentan (noch) ein Luxus ist.

Ein künftiger Mitbewohner hat gesagt: „Ich finde den Vermögenspool so schööön“. Er hat das ausgesprochen, als spräche er über ein Bild. „Weil sich dadurch Menschen, mit unterschiedlichem finanziellem Hintergrund, auf Augenhöhe begegnen und auch so eine soziale Schönheit entsteht.“ Wenn Kapitalinteressen und der Wunsch Kapital aufzubauen zurückgestellt werden, kann viel ökologischer gebaut werden, wodurch das Leben in ökologischen Gebäuden einfach viel mehr Menschen zugänglich werden kann.

Haben Sie abschließend einen Filmtipp für unsere Leser*innen?

Egal welcher Film, gehen Sie ins Kino, sobald es möglich ist! Wenn die Kinos wieder offen sind, müssen wir zusammenhelfen, denn die nächste Devise lautet: Rettet das Kino!

Über Teresa Distelberger

Teresa Distelberger ©Maria Noisternig, marianoi.com

Teresa Distelberger ist Filmemacherin und Künstlerin. Mit Filmen wie „Rettet das Dorf“ und „Die Zukunft ist besser als ihr Ruf“ richtet sie den Fokus auf positive Zukunftsbilder und Geschichten. Privat ist sie Mitgründerin des alternativ finanzierten, sozial-ökologischen Wohnprojekts „Die Auenweide“ in St. Andrä-Wördern.

Quelle: Interview mit Teresa Distelberger am 28.4.2021
Artikel der Redaktion

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