Umweltfreundliches Gemüse aus der Retorte?

Tomatenpflanzen ohne Blätter wachsen aus Behältern wo Gemüsebau Steiner draufsteht
Gemüse aus der Retorte

Moderne Treibhäuser, die den Massenmarkt versorgen, produzieren immer weniger natürlich. Umso wichtiger ist, dass es mit der biologischen Arbeitsweise eine Alternative für bewusste Konsumenten gibt.

Wie oft habe ich das schon gehört:

„Ein fruchtbarer Boden ist die Grundlage allen Lebens.“
„Ohne Erde keine Zukunft“

Gemüsegärtner von heute können darüber nur lachen! Sie brauchen schon lange keine Erde mehr, um reichlich Gurken, Tomaten, Paprika usw. zu ernten. Die Pflanzen wachsen in einem sterilen Medium wie z. B. Steinwolle, hängen am Tropf des Bewässerungscomputers, der ihnen genau die benötigte Menge Kunstdünger gibt, und schädliche Insekten werden mit Nützlingen in Schach gehalten. Pestizide werden in modernen Treibhäusern kaum noch gebraucht. Deswegen behaupten viele konventionelle Gemüsegärtner keck, dass ihre Ware „eigentlich biologisch“ ist und nur weil die Pflanzen nicht im Boden wachsen, bekämen sie keine Bio-Zertifizierung.

Diese Behauptung ist vollkommen falsch, denn selbst wenn die Gärtner gar nicht spritzen, ist ihre Ware noch lange nicht bio, da sie Mineraldünger geben. Der ist sehr energieintensiv in der Herstellung und der Hauptgrund, wieso die konventionelle Landwirtschaft (einschließlich Gemüsebau) eine vergleichsweise schlechte Klimabilanz hat.

Interessanterweise ist auch nicht richtig, dass Bio-Pflanzen in der Erde wachsen müssen! Die EU-Bioverordnung verbietet den erdelosen Anbau nicht eindeutig. Schweden, Finnland und Dänemark betrachten die erdelose biologische Landwirtschaft mit „natürlichen“ Substraten als zulässig, berichtete der europäische Biodachverband IFOAM EU im Jahr 2012. „Im Gewächshaus werden Tomaten lediglich in Substrat-Containern oder -Säcken kultiviert, die über eine Nährstofflösung gedüngt werden – sie werden als Bio-Tomaten vermarktet“, kritisiert der deutsche Bioverband Naturland.

In Österreich gibt es „einige wenige Heidelbeer- und Zitronenproduzenten“, die ohne Erde, aber dennoch offiziell biologisch wirtschaften, teilte mir Bio-Austria mit. Die wurden biozertifiziert, bevor das Gesundheitsministerium (!) mit einem Erlass (!) klar geregelt hat, dass Substratkultur grundsätzlich nicht biologisch ist. Nur Jungpflanzen, Kräuter, Chicoree und Zierpflanzen müssen nicht unbedingt im Boden wachsen und bleiben trotzdem „bio“. Für importierte Bio-Produkte gilt der Erlass aber nicht.

Das EU-Bio erweist sich einmal mehr als halbherziger Kompromiss. Wer mehr will, muss auf zusätzliche Gütesiegel achten. Alle Bio-Anbauverbände, die etwas auf sich halten, verlangen den Anbau im Boden. Die Details und Ausnahmeregelungen unterscheiden sich allerdings.

Was ist aber so schlecht am Gärtnern ohne Erde?

Ohne Kontakt zum Boden können keine Düngemittel oder Schadstoffe ins Erdreich gelangen. Durch einen geschlossenen Kreislauf kann Wasser gespart werden. Nach der Saison kann alles leicht desinfiziert werden, sodass kaum Pflanzenschutzmittel gebraucht werden. Biogärtner müssen hingegen bei Bedarf die ganze Erde stundenlang mit heißem Wasserdampf abspritzen, was relativ viel Energie kostet. Zwar ist auch die Steinwolle, die die „modernen“ Gärtner verwenden, energieintensiv in der Herstellung, aber diese ist kein Muss; in einem großen bayrischen Glashaus, das ich besichtigt habe, werden Tomaten- und Paprikapflanzen auf Kokosfasern gezogen.

Aus Sicht des Umweltschutzes spricht meines Erachtens kaum etwas gegen die technisierte Lebensmittelproduktion ohne Erde. Wenn man auch noch die Pflanzen „einsparen“ könnte, sodass die Früchte direkt im „Reagenzglas“ wachsen, wäre das noch effizienter und umweltfreundlicher.

Aber wollen wir Gemüse aus der Retorte essen?

Ich bin froh, dass es auch noch halbwegs natürlich produzierte Lebensmittel zu kaufen gibt. Gesundheitliche Nebenwirkungen durch den Anbau in Steinwolle oder Kokosfasern halte ich zwar nicht für wahrscheinlich, aber auch nicht für ausgeschlossen. Der Mensch ist noch viel zu komplex für die Simulationen der Wissenschaftler. Das heißt, wir lernen nach wie vor nur durch Versuch und Irrtum. Margarine galt lange als unschädlich oder sogar gesünder als Butter, dann bemerkte man plötzlich die Wirkungen der Transfette, die beim Härten des Öls entstanden (bis die Hersteller daraufhin die Verfahren änderten). Daher halte ich es für rational gut begründbar, jene Nahrung zu bevorzugen, für die der menschliche Körper seit Jahrmillionen ausgelegt ist: solche, die „ganz normal“ im Boden gewachsen ist. Und das sollte das Mindeste sein, was sich der Konsument von Bio-Produkten erwarten darf!


Über den Autor Mario Sedlak
1975 in Wien geboren, 2000 Abschluss des Studiums der Technischen Mathematik an der TU Wien, seit 2008 Fachexperte in der Stromwirtschaft

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