Schlüsselfiguren der Ernährungssouveränität

Menschen verschiedener Ethnien stehen nebeneinander

Im Rahmen der Terra Madre Konferenz im September 2019 in Turin kamen bei mehreren Diskussionsveranstaltungen indigene Köche zu Wort. Bei manchen Europäern löst das Wort „indigen“ in Zusammenhang mit Kochen erstmals Fragezeichen aus. Wie wichtig die Aktivitäten von „Jungle Chefs“ oder „Sioux Chefs“, wie sie sich nennen, aber sein können wird im Zusammenhang mit Klimawandel und Ernährungssouveränität klar.

Die ersten, die die Konsequenzen des Klimawandels tragen, sind Bauern, Fischer und alle, die landwirtschaftliche Produkte herstellen. Köche als Verarbeiter dieser Produkte können eine entscheidende Rolle als Meinungsmacher und Vorbilder spielen, wenn sie sich ihrer Verantwortung bewusst sind und klug handeln. Wir haben inspirierende Beispiele aus aller Welt gefunden.

Am Anfang war nur die Idee, weniger Gepäck im Dschungel mit zu schleppen

… aber schon bald erkannte Charles Toto, Initiator der „Jungle Chefs“ in Papua, Indonesien, dass sein Angebot von frisch zubereitetem Essen mitten im indonesischen Dschungel nicht nur eine Gepäckserleichterung für die Expeditionen und Filmteams bedeutete. Es war ein Weg zurück zu seiner Herkunft, zu den Zutaten der Ureinwohner, zu ihrem Wissen und ihren Zubereitungsmethoden.

Als junger Koch konnte Toto beobachten, dass Expeditionsteilnehmer sich in der Wildnis wochenlang von Instant- und Konservenfutter ernährten. Das empfand er schon wegen des Gepäcks als Wahnsinn, aber auch gesundheitlich und kulinarisch widerstrebte ihm der Gedanke. Warum, dachte er, sorgen wir nicht für diese Reisegruppen, indem wir ihnen frische, gesunde Mahlzeiten auf ihrem Weg anbieten? Als gelernter Hotelkoch war der erste Gedanke eigenes Fleisch mitzubringen, aber schon bald wusste er es besser: Das Essen aus dem Wald ist hygienischer, sauberer und biologischer. Der Wald ist ein Markt, in dem Papuas einkaufen ohne dafür Geld auszugeben.

Toto gedieh in seiner kulinarischen Nische und lernte inmitten der Strapazen diverser Trekking-Touren durch weitgehend unerforschte Orte ständig etwas Neues. Als sein Geschäft florierte und sein Ruf sich ausbreitete, baute Toto ein Netzwerk von gleichgesinnten Köchen auf. Im Jahr 2008 gründet er die Jungle Chef Community, die Dutzende Küchenchefs aus ganz Papua vereint, die sich auf die Zubereitung von Mahlzeiten mit Zutaten aus den Wäldern spezialisiert haben.

Bei seiner Rede in Turin erklärte Charles Toto: „Wir schulen unsere Mitglieder darin, lokale Kochzutaten zu finden und traditionelle Gerichte aus Papua zuzubereiten. Die Suche und Jagd vor Ort wird allgemein als nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen akzeptiert und senkt die Kosten und den ökologischen Fußabdruck. In unserer Jungle Chef Community verbreiten wir auch das Wissen über alte Praktiken, Werte und Kulturen, die Gefahr laufen langsam zu sterben, da die jüngeren Generationen von Papua einen moderneren Lebensstil pflegen. Der Schlüssel ist es, in der Lage zu sein zu erhalten und kreativ zu nutzen, was die Natur uns zu dieser Zeit und an diesem Ort bietet.“

Mit seinem Beitrag macht Toto auf die Ernährungssouveränität seines Landes, genauso wie auf den Umweltschutz aufmerksam. Ein ehrgeiziger Infrastrukturentwicklungsplan der Regierung bringt das Projekt der „Jungle Chefs“ aber zunehmend unter Druck. Der damit einhergehende Verkauf vieler Sagopalm-Farmen führt nicht nur zu Landverlust, sondern auch zum Verlust eines traditionellen Grundnahrungsmittels der Bevölkerung Papuas. Eine zusätzliche Bedrohung geht von quadratkilometergroßen Rodungen für Palmölplantagen aus. All diesen Herausforderungen stellt sich Charles Toto, denn die Wälder Papuas sind reich an natürlichen Ressourcen und mit seiner Kochgemeinschaft zeigt er diese auf, erhält Wissen, Kultur und Tradition für nachkommende Generationen.

Echte amerikanische Küche ist indianisch – eigentlich logisch.

Blick auf Umzug mit bunt geschmückten Indianern
© dlewisnash pixabay

Sean Sherman, genannt Sioux-Chef, erforschte nach Jahren der Nichtbeachtung seine Herkunft und die Traditionen seiner Vorfahren. In seiner klassischen Kochausbildung lernte er alle Küchen dieser Welt kennen – von asiatisch über französisch bis zypriotisch. Aber niemand in Amerika achtete darauf, was einst die Ureinwohner von der Ost- zur Westküste pflanzten, jagten, nutzten und aßen. Warum auch? Die Geschichte des modernen zivilisierten Amerikas ist, wie vielerorts, eine Geschichte der Ausrottung und Umerziehung. Europäische Siedler brachten ihre eigene Kultur und Nahrungsmittel. Die Verdrängung der Ureinwohner und die Landnahme veränderte die Tier- und Pflanzenwelt bis hin zur Ausrottung vieler Arten. Die Ureinwohner passten sich entweder an und wurden Teil der modernen Gesellschaft oder verschwanden in kleinen Reservaten. Und mit ihnen verschwand das Wissen um die ursprünglichen Lebensmittel und ihrer traditionellen Verwendung.

Sherman betrieb ausgiebig Grundlagenforschung zur Geschichte und zu den Nahrungsmittelsystemen. Dazu sammelte er Kenntnisse über die amerikanische Ureinwohnerkultur:

  • Geschichte und Migration der Ureinwohner
  • Nutzung und Ernte von Wildnahrung
  • Landbewirtschaftung
  • Salz- und Zuckerherstellung
  • Jagd und Fischfang
  • Konservierung von Nahrungsmitteln
  • elementare Kochtechniken

Sein Ziel war es ein umfassendes Verständnis für die amerikanische Küche zu erlangen und es in die heutige Welt zu bringen. Im Jahr 2014 eröffnete Sean Sherman sein Catering- und Bildungsunternehmen „The Sioux Chef“ in der Region Minneapolis / Saint Paul. In Zusammenarbeit mit der Little Earth Community, die sich der indianischen Tradition und Kultur annimmt, half er 2015 bei der Entwicklung und Eröffnung des Tatanka Food Trucks, der native Lebensmittel aus den Regionen Dakota und Minnesota direkt zur lokalen Bevölkerung bringt. Shermans Vision von modernen indigenen Lebensmitteln wurde in zahlreichen Artikeln und Radioshows national und international gezeigt – von Manhattan bis Mailand. Aber er will diese Lebensmittel nicht exportieren oder woanders hinbringen, er will sein Wissen von „autochthoner“ Ernährung bei Veranstaltungen des berühmten Culinary Institute of America bis zu den Vereinten Nationen weitergeben. Für Sean Sherman bedeutet es ein Zurückkehren zu den Anfängen.

Sein Sioux Chef Team ist unermüdlich dabei den Zugang zu einheimischen Lebensmitteln für möglichst viele Menschen und Communities zu erleichtern und sie weiterzubilden. Shermans Ziel ist es, Bewusstsein für die Ureinwohner Amerikas und ihre Nahrungsmittel zu schaffen, die sie einst genährt haben. Dazu müssen die Schichten von kolonialen Lebensmitteln, wie Zucker, industrielles Fleisch, verarbeitetes Getreide, die im Laufe der Jahrhunderte einheimische Ernährung überzogen haben, wieder zu entfernen. Es bedeutet, einen Weg zu finden, die Traditionen der Ureinwohner im Kontext moderner urbaner Restaurants zu leben.

Europa hat einen relativ intakten Schatz

In der österreichischen und in vielen europäischen Küchen sind zahlreiche „indigene“ Nahrungsmittel und Traditionen erhalten geblieben. Vielleicht weil wir das Glück hatten, dass man bei uns keine Ureinwohner vertrieben und ihr Land enteignet hat.

Nicht immer sind wir uns dieses Schatzes der „autochthonen“ Lebensmittel und ihrer Verarbeitung bewusst und achten darauf. Auch an uns gehen die Industrialisierung der Landwirtschaft und die globale Vereinheitlichung der Rohstoffe nicht spurlos vorüber. Auch in Österreich schwinden Pflanzen und Tiere in rasender Geschwindigkeit – aber noch ist es nicht zu spät. Die besten Köche Österreichs haben das längst erkannt und setzen sich für unsere indigenen Zutaten und das Wissen ein. Der Verein „Koch-Campus“ wurde von 7 österreichischen Spitzenköchen gegründet, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Vielfalt der heimischen Nutztiere und Pflanzen zu erhalten und die kulinarischen Traditionen damit weiterzuentwickeln und ebenso zu erhalten.

Interessante Verkostungen und „Chef’s Tables“ fördern den Dialog zwischen landwirtschaftlichen Produzenten, die alte Traditionssorten und –rassen erhalten oder neu kultivieren und den Köchen sowie letztendlich den Konsumenten. Ziel ist es eine zeitgemäße autochthone österreichische Küche zu zeigen und zu definieren, mit Zutaten, die Boden und Klima in Österreich hergeben und die hierzulande Tradition haben. Eine Küche, die sich nicht auf Zubereitungsarten oder Klischees reduziert, sondern die Zutat als solche in den Mittelpunkt stellt.

Portrait einer Frau mit kurzem schwarzen Haar und runder BrilleÜber die Autorin

Birgit Farnleitner, Master in Gastrosophy und Kommunikationsexpertin ist seit 2014 in der Werner Lampert BeratungsgmbH in leitender Funktion tätig. Sie besuchte den Lehrgang Werbung und Verkauf an der WU Wien und absolvierte später an der Paris Lodron Universität den interdisziplinären Masterstudiengang Gastrosophische Wissenschaften. In ihrer Masterthesis beschäftigte sie sich mit Nachhaltigkeit und Ethik in der Lebensmittelproduktion. Dieses Themenfeld prägt seither ihr berufliches und privates Leben maßgeblich. Sie ist Teil des Redaktionsteam des Online-Magazins „Nachhaltigkeit. Neu denken.“

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