Eine Wolke stirbt nie, so heißt die Doku, die das Leben des im Januar verstorbenen buddhistischen Mönches Thich Nhat Than, nachzeichnet. Er hat nicht nur den Vietnamkrieg überlebt, den „engagierten Buddhismus“ ins Leben gerufen und über 100 Bücher verfasst, sondern wurde auch von Martin Luther King höchst persönlich für den Friedensnobelpreis nominiert. Wir folgen der Wolke, für einen Moment.
Ein Bild von einem Buddha
Angefangen hatte alles mit einem Bild: dem Bild einer Buddha-Statue, abgebildet auf einem Zeitungscover. Als der junge Thich Nhat Than dieses Bild sah, zog in die Ruhe im Gesicht dieses Buddhas magisch in den Bann. Ein Bann, der ihn bis zum Ende seines Lebens nicht mehr losließ. Mit 16 Jahren wurde er Mönch. Er tauchte ein in die Tiefen der Zen Meditation und hütete nebenbei Büffel.
Turbulenter hätten die Zeiten in seiner Heimat damals nicht sein können. Er erlebte alles in seinen jungen Jahren, von Kolonialherrschaft, Krieg, Einmärschen fremder Mächte bis hin zur großen Hungersnot. Halt fand er trotz all des Getöses im Studium alter buddhistischer Texte. Dabei wurde ihm klar, dass der Buddhismus immer wieder zu friedlichen Wenden in der Geschichte beigetragen hatte und genau diesen Schatz wollte er wieder erwecken.
Buddhismus, bitte abstauben!
Nachdem der Buddhismus in dieser Zeit zunehmend verstaubt in einer Ecke der vietnamesischen Gesellschaft verharrt hatte, machte sich Thich Nhat Than an dessen Rundum-Erneuerung. Er wollte das verstaubte Image aufpolieren und den Buddhismus wieder in eine gelebte Tradition des Friedens verwandeln.
Ihm war klar, dass Mönche den Menschen in Zeiten von großen Krisen mehr bieten mussten als Lieder und Gebete. Deshalb wählte er als junger Mann für sich den Namen Nhat Than, was ‚Handlung‘ bedeutet.
Die Wunder der Atmung
Während des Vietnamkriegs schlugen außerhalb der Meditationshallen Bomben ein. Es fiel ihm schwer, das Ausmaß an Gewalt und Krieg zu verarbeiten und er meditierte intensiv gegen seine Wut und Trauer. Als er dabei die Praxis des achtsamen Atmens in einem alten Text entdeckte, war das für ihn der Schlüssel, um sein Leid zu überwinden.
Basierend darauf entwickelte er eine Gehmeditation, die achtsames Atmen mit jedem Schritt verbindet. Diese Art der Meditation und weitere Methoden, die bei der Bewältigung schmerzvoller Gefühle helfen, wurden zentrale Herzstücke seiner Lehre.
Der Gewalt im Außen trotzen
Während der Krieg in Vietnam tobte, gründete er mit Gleichgesinnten eine friedliche Gemeinschaft in den Bergen Vietnams. Der Name, den sie wählten, war ein Spiegel dieser Zeit: Puang Boi, fragile Palmblätter. Sie wollten der Gewalt und Verzweiflung im Außen trotzen, den Buddhismus wiederbeleben und auf die nächste Stufe heben. Einige Jahre später erreichte der Krieg aber auch ihr Refugium in den Bergen und zwang sie zur Flucht.
Studium in Amerika
1961 ging Thich Nhat Than noch während des Kriegs in die USA, um in Princeton und an der Columbia Universität zu studieren und zu lehren. Er vertiefte dort seine Meditation und lernte die Möglichkeit des wahren Friedens kennen: die Freiheit von Hass, Angst und Sorge. Im Herzen des gegenwärtigen Moments. Für ihn waren das die ersten zarten Blüten des Erwachens.
Aktivismus für den Frieden
Nach dem Krieg wurde er nach Vietnam zurückgerufen, um dort die Friedensbewegung anzuführen. Er gründete eine Universität, einen Verlag und eine buddhistische Zeitung. Die Friedensgedichte, die er schrieb, wurden in den Liedern bekannter vietnamesischen Sänger*innen aufgegriffen.
Er war auch Mitbegründer einer Bewegung, die in zerstörten ländlichen Gebieten den Wiederaufbau aktiv vorantrieben, Gemeinschaften gründeten, Landwirtschaft betrieben und sich um Waisenkinder kümmerten.
Interbeing – die Königsklasse des Mitgefühls
In den 60er Jahren gründete er als spirituelle Widerstandsbewegung einen neuen buddhistischen Orden: den ‚Order of interbeing‘. Interbeing beschreibt die Verbundenheit mit allen und allem anderen, was ist. Diese Verbundenheit zu spüren und gleichzeitig das Loslassen zu üben, stand für Thich Nhat Than immer stark im Fokus seiner Achtsamkeitstrainings. Wobei das Loslassen von allen Ideologien geübt wurde, auch von buddhistischen Ideologien.
1982 gründete er im südlichen Frankreich das mittlerweile weltweit bekannte, buddhistische Meditationszentrum „Plum Village“. Hier werden auch heute noch Retreats und Seminare angeboten, um seine Achtsamkeitspraktiken zu erlernen.
Eine Wolke stirbt nie
Am 22.1.22 ist Thich Nhat Than verstorben. Tausende von Mönchen und Wegbegleiter*innen nahmen an der Beisetzung im vietnamesischen Hue und der leuchtend gelb-roten Prozession teil.
Die Dokumentation „A cloud never dies“ (online frei verfügbar) zeichnet seinen eindrucksvollen Lebensweg berührend nach. Prädikat: sehenswert.
Was ist Achtsamkeit? (Erklärung von Thich Nhat Than)
Achtsamkeit heißt, sich dessen bewusst zu sein, was passiert. Jeder ist in der Lage, achtsam zu sein. Achtsamkeit meint immer die Achtsamkeit über etwas. Wenn du wütend bist, und du weißt, dass du wütend bist, ist es die Achtsamkeit gegenüber der Wut. In diesem Moment achtsam zu sein, macht den Moment sicherer und weniger gefährlich.
Man kann achtsam gegenüber der Wut, der Trauer, der Freude, dem Trinken, dem Gehen, dem Atmen, dem Kochen sein. Achtsamkeit kann im Alltag in jedem Moment praktiziert werden. Dadurch kultiviert man die Energie der Achtsamkeit.
Und diese Energie kann wieder die Energie der Konzentration hervorlocken. Wenn du achtsam bist, z.B. beim Betrachten einer Blume, dann kannst du dich voll darauf konzentrieren. Solange du willst. Und wenn du sehr achtsam bist, entdeckst du bei einer Berührung von Dingen ihr Inneres. Ohne Achtsamkeit gibt es keine Konzentration und keine Einblicke in Inneres.
Wenn du Lust hast, mehr über und von Thich Nhat Than zu lesen, gibt es hier eine Übersicht zu Büchern, die auch auf Deutsch erschienen sind.