Die Immobilienkrise
der Feldlerche

Fliegende Feldlerche am Himmel
Feldlerche am Himmel

Der Kampf um Brachflächen ist durch die Ukrainekrise voll entflammt. In Österreich dürfen seit April 2022 zirka 9.000 ha Brachfläche wieder „voll“ landwirtschaftlich genutzt werden, Spritzmittel & Co inklusive. Pro und Contra wurden medial breit beleuchtet. Nur eine Perspektive fehlt: die der gefiederten Betroffenen. Wir laden die Feldlerche zum Gespräch.

(Um die Lesbarkeit des Textes zu verbessern, wurden einzelne Begriffe im Fließtext ins Menschliche übersetzt, Originaltext in Klammern kursiv)

Interviewerin: Wird die „Immobilienkrise“ der Feldlerchen medial nicht sehr aufgebauscht?

Feldlerche: Vielen Leuten (Mitwesen) ist nicht bewusst, wie sich die Krise mittlerweile zugespitzt hat. Wie alt bist du? Dieser Textabschnitt ist besonders wichtig und daher farblich hinterlegt. In diesem Fall in Grün.

Interviewerin: 42 Jahre.

Feldlerche: Dann weißt du, wovon ich spreche. In den letzten 20 Jahren ist jede zweite Feldlerche in Österreich verschwunden. Jede Zweite! Und warum? Wohnungen (Nistplätze), die irgendwie unseren Bedürfnissen entsprechen, sind hier in Österreich kaum noch zu finden. Aber auch die Regale in den Geschäften (Flächen mit ausreichend Insekten, Schnecken und Würmern) sind oft mehr als kläglich bestückt.

Ich bin ja jetzt nicht gerade der Luxushotel-Besucher (anspruchsvoller Baumhöhlenbrüter), eher mehr der Camper (Bodenbrüter) unter den Vögeln. Also recht genügsam. Ein bisschen Brachfläche, und dann passt es auch schon wieder für mich.

Interviewerin: Ist das nicht ein Understatement? Ihr seid ja schon auch irgendwie ‚speziell‘?

Ich verstehe wirklich nicht, was das Problem ist. Gut, ich brüte am Boden. Das war vielleicht nicht die schlauste Entscheidung der Evolutionsgeschichte, aber es war ja auch lange Zeit nicht absehbar, dass ihr mal Maschinen erfinden würdet. Jetzt ist es so und wir müssen uns irgendwie arrangieren.

Ich habe eben dieses Faible für Insekten, Schnecken und Würmer. Die gibt es auf Brachflächen zu Hauf. Und nur hier kann ich heute noch ungestört brüten.

Und ganz ehrlich: bin ich wirklich die Einzige, die von Brachflächen profitiert? Nein. Sie speichern viel Wasser, das brauchen wir schließlich alle. Sie speichern viel CO2: ist auch ein Vorteil in Zeiten der Klimakrise.

Und ich denke, ich brauche euch nicht zu erzählen, dass wir ohne fruchtbare Böden alle – egal ob Lerche oder Mensch – dumm aus der Wäsche schauen.

Interviewerin: Du hast unsere Interviewanfrage ohne Zögern angenommen. Aus welchem Grund?

Feldlerche: Ich beobachte die gesamte Situation jetzt schon eine ganze Weile mit zunehmendem Bauchweh, nicht nur wegen des Hungers. Und ich sehe, dass ihr selbst irgendwie zerrissen seid. Einerseits streut ihr mir Rosen, wählt mich zum Vogel des Jahres (2019). Und dann gab es ja auch euer Entgegenkommen, um unsere Immobilienkrise (Mangel an Brutplätzen) zu entschärfen.

Interviewerin: Meinst du die europaweite Regelung, dass 4 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen Brachflächen sein müssen?

Feldlerche: Ganz genau, die meine ich. Aber, ohne dich jetzt persönlich angreifen zu wollen, die Geschichte hat gezeigt, dass fromme Absichten schnell über Bord geworfen werden. So geschehen vor ein paar Monaten.

Wir kommen im April frisch aus Afrika zurück und beziehen eine Wohnung (Brutplatz auf Brachfläche), die wir letztes Jahr schon bezogen hatten. Wir legen also unsere Eier ab. Brüten, brüten, brüten. Die Kleinen schlüpfen. Und dann kommt plötzlich ein Riesenpflug angerückt. Ich muss Dir nicht sagen, was das für uns bedeutet hat.

Interviewerin: Vermutlich hattet ihr das Pech auf einer der „Biodiversitätsflächen“ zu brüten, die seit April wieder ‚voll‘ genutzt werden dürfen?

Feldlerche: Genau so war es. Das ist wirklich frustrierend. Wir wissen einfach nicht mehr, worauf wir uns noch verlassen können. Ihr sagt, ihr müsst eure eigene Ernährung sichern. Aber ehrlich gesagt: ich kann eure Sorgen nicht nachvollziehen.

Ihr werft jedes dritte Lebensmittel weg. 60 Prozent eures Getreides esst ihr nicht selbst, sondern verfüttert es an Tiere. Würdet ihr nur einen Teil davon selbst essen, könntet ihr uns und allen anderen Brachflächenbewohnenden gegenüber weit großzügiger sein.

Man kann jetzt nicht sagen, dass es eine Raketenwissenschaft ist, eure Ernährung zu sichern: weniger Essen in den Müll, mehr Getreide und Soja selbst essen und das Brachflächen-Gezanke könnte der Geschichte angehören.

Ich weiß schon, dass die ‚Weniger-Fleisch‘-Debatte mühsam ist. Ich ernähre mich selbst strikt saisonal und flexitarisch, esse während der Brutzeit mehr Fleisch (Insekten, Schnecken und Würmer), im Winter dann kaum. Ist alles eine Frage der Einstellung. Und letztlich auch des Überlebens.

Interviewerin: Was hilft Dir, um in Zeiten wie diesen, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und hoffnungsvoll zu bleiben?

Feldlerche: Ich will und kann mir keine Welt vorstellen, in der unser Gesang nicht mehr über euren Feldern tönt. Die von euch, die uns kennen und schätzen, sind ganz verrückt nach unserem Gesang. Der britische Komponist Vaughan Williams hat unseren Gesang sogar in menschliche Musik übersetzt – mit großem Erfolg. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich dieser Hommage an uns lausche. Das gibt mir Hoffnung.

Und es zeigt mir, dass viele von euch wirklich an uns hängen. Vielleicht auch, weil sie erkennen, dass wir voneinander abhängig sind. Was wärt ihr schließlich ohne die gratis Services (Anm. Ökosystem Dienstleistungen – siehe Box), die wir und unsere KollegInnen (Pflanzen, Tiere & Co), für Euch bereitstellen?


INFO: Als Ökosystem-Dienstleistungen wird der vielfältige Nutzen bezeichnet, den Menschen durch Ökosysteme oder auch einzelne Arten haben. Beispiele sind die Bestäubung von Obst und Gemüse durch Hummeln, Wildbienen und Schmetterlinge, die natürliche Reinigung des Wassers oder die Regulierung des Klimas. Aber auch Erholung und ästhetisches Vergnügen zählen dazu.


Interviewerin: Gibt es auch etwas Handfestes, was dich auf eine bessere Zukunft hoffen lässt?

Ja, wenn ich zum Beispiel eine Studie zur „Erholung der Agrarvogelbestände“ lese, ist das Balsam für meine Seele. Wissenschaftler*innen haben herausgefunden, wie sich unsere Bestände deutlich erholen, ja – wenn ihr es wollt – sogar annähernd verdoppeln könnten: Wir bräuchten dafür 10 Prozent Brachflächen und weniger Intensivkulturen, wie Raps und Mais. D.h. maximal so viel Mais auf den Feldern, wie um die Jahrtausendwende angebaut wurde. Das wäre ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Flügelschlag für uns.

Interviewerin: Möchtest du unseren Leser*innen noch etwas mitgeben?

Manchmal habe ich nachts einen komischen Traum: ich steige über einem Feld singend auf, du weißt schon, so hubschraubermäßig, zwitschernd steil nach oben. Dann sehe ich eine Mutter mit einem kleinen Jungen unter mir. Der Junge zeigt auf mich und sagt: „Mama, was ist das für eine komische Drohne, kann die zwitschern?“ Und dann wache ich immer auf. Das ist mein persönlicher Albtraum. Ich möchte nicht, dass es so weit kommt. Ich möchte nicht, dass wir uns noch weiter auseinanderleben. Schließlich haben wir jahrtausendelang auf Feldern gebrütet, die ihr mühevoll bestellt habt. Wir waren der Soundtrack eurer harten Arbeit, bis ihr während der industriellen Revolution immer mehr in euren Häusern und Fabriken verschwunden seid.

Ich finde, wir könnten an unsere alte Beziehung wieder anknüpfen. Und uns mit Haut und Feder für eine nachhaltige Agrarwende einsetzen: ihr werdet satt und wir singen weiter. Oder auf Aeronautisch: Höhenflug statt Sturzflug für uns alle.


 

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