Lebensmittelverschwendung

Lebensmittelverschwendung

Wir lecken uns die Lippen, grummeln wohlig, spüren eine angenehme Wärme im Bauch. Weil wir es lieben gut zu essen. Genuss stimuliert unser Gehirn und versorgt uns mit Glückhormonen. Und trotzdem hat diese Liebesbeziehung zwischen uns und unserem Essen eine bizarre Kehrseite: ein Drittel der weltweit angebauten Lebensmittel landet nicht auf dem Teller, sondern im Müll.

Dieses Drama entfaltet sich oft so heimlich, still und leise verborgen in unseren Küchen oder im Hinterhof der Gasthäuser und Supermärkte, wodurch ihm nicht leicht auf die Schliche zu kommen ist. Mit diesem Schwerpunkt nehmen wir einen Scheinwerfer in die Hand und leuchten sie aus: die verborgenen Ecken, wo Lebensmittel im großen Stil auf der Strecke bleiben. Und schauen uns um, nach Andersmachern und Menschen die querdenken. Natürlich knüpfen wir uns auch die Liste an Lösungen vor, die uns jetzt schon – zahlreich – bereitstehen.

Denn wir retten nur, was wir wertschätzen

Durch Kampagnen, Filme und Medienschwerpunkte in den letzten Jahren dämmert vielen, dass das Thema Lebensmittelretten womöglich auf unserer kollektiven ToDo Liste immer weiter nach oben wandert. Durch etliche Dokumentationen und Kinofilme, wie Erwin Wagenhofers Film „We feed the world“ oder Valentin Thurns Film „Taste the waste„, wurde unsere bildliche Vorstellung davon, in welchen Dimensionen sich das Drama der Lebensmittelverschwendung abspielt, womöglich bereits geprägt. In der Rubrik ‚Wissenswertes‘ stecken wir die Dimensionen des Problems nochmal ab und decken den Tisch mit reichlich Argumentationsfutter für angehende Lebensmittelretter. Dass es viele Menschen braucht, die sich für das Thema stark machen, wird immer deutlicher. Obwohl Hoffnungsschimmer stetig zunehmen – das große Umdenken ist (noch) nicht in Sicht.


„Es ist sinnlos, Lebensmittel wegzuwerfen – sowohl wirtschaftlich, ökologisch als auch ethisch“.

Achim Steiner, Exekutivdirektor des UN-Umweltprogramms

Darum holen wir Pioniere, die durch einen sehr bewussten Umgang mit Lebensmitteln gegen den Strom schwimmen, auf die Bühne unseres Schwerpunkts. Blicken zum Beispiel in den Kochtopf von Bio-Haubenkoch und Regional-Koch-Revolutionär Jeremias Riezler. Er erzählt uns, wie er gegen den gastronomischen Mainstream der Buffet- und Steak-Kultur kreativ, saisonal und biologisch ankocht. Er fühlt sich als Gastronom mitverantwortlich, dass nicht nur Filets in der Pfanne landen, sondern nach dem Motto „nose-to-tail“ möglichst alle Teile eines Tieres verarbeitet werden. Womit er auch seine Gäste gerne herausfordert:

„Das braucht Durchhaltevermögen und Aufklärung“ stellt Bio-Haubenkoch Jeremias Riezler fest. Mehr Respekt fordert er auch gegenüber unserem Gemüse. Den daran mangele es soweit das Auge reicht.

Dem Thema Nose-to-tail gehen wir auch mit einem weiteren Beitrag des Schwerpunkts genauer auf den Grund. Und fragen uns, welche Haltung, welches Wissen oder auch welche Anreize es bräuchte, um Rezepte zu exotisch klingenden Fleischteilen aus Omas Rezeptebuch auszugraben, oder neue kreative ‚nose-to-tail‘ Rezepte auszuprobieren.

Alles eine Frage des Überblicks

Wie gerne würden wir uns doch selbst aus der Verantwortung entlassen, und uns darauf ausreden, dass die Verschwendung von Lebensmitteln im großen Stil durch anbautechnische, logistische oder sonstige Fehlleistungen entsteht, die wenig bis gar nichts mit uns persönlich zu tun haben. Die Fakten sprechen aber eine andere Sprache. Der Großteil der weggeworfenen Lebensmittel wird – in unserer Obhut – zu Abfall. Egal ob wir uns gerade als Koch, Kühlschrankbefüller oder Gasthausbesucher betätigen, wir können uns nicht heimlich aus der Verantwortung davonschleichen.

Das wird auch im Gespräch mit Gudrun Obersteiner, Expertin für Abfallwirtschaft an der BOKU, Wien, deutlich. Sie blickt mit uns in die Abgründe der heimischen Kühlschränke und Biotonnen. Und räumt mit gängigen Mythen auf: Lebensmittel gehören in den Kühlschrank und auch Tomaten und Äpfel verlieren ihren Geschmack dort nachweislich nicht.

Gudrun ObersteinerGudrun Obersteiner hat viele Ideen dazu, wie wir unsere Alltagskultur ändern und unseren Umgang mit Lebensmitteln auf achtsamere Beine stellen könnten: alles eine Frage des Durchblicks. Und keine wirklich große Kunst.

Sie resümiert: wollen wir das Problem systematisch am Schlawittchen packen, kann sich niemand aus der Verantwortung stehlen. Weder Konsument, Handel, Gastronomie oder Landwirt. Alle müssen an einem Strang ziehen, um die großen Lecks der Lebensmittelverschwendung gemeinsam zu schließen.

Lecks schließen, aber wie?

Das muss nicht mühsam und schwerfällig sein. Es darf auch leichtfüßige und kreative Lösungen geben.  Darum widmen wir diesen ‚Rettungsankern‘ von Lebensmitteln einen eigenen Beitrag. Überlegen dabei, ob „Nachernten“ auch bei uns ein neuer Trend werden könnte. Entdecken, dass wir viel ‚mehr‘ von einer Pflanze essen könnten, als uns oft bewusst ist. Tollkühne Verwerter machen dabei auch vor Kohlrabiblatt-Chips und Bananenschalen-Ragout nicht Halt. Wir stellen aber auch Wegweiser auf, die dabei helfen können Essen niederschwellig und unaufwändig an andere Esser weiter zu geben.

Der erste Schritt

Und zum Schluss nominieren wir Sie mit diesem Schwerpunkt für einen neuen Titel: den Titel des Kühlschrank-Managers. Dieser Job bringt einiges an Verantwortung mit sich, aber auch die Boni können sich sehen lassen. Nehmen Sie die Wahl an?

Schließlich öffnen wir alle täglich das Tor, das über Verderb oder Heil entscheidet: die Kühlschranktür.

  • Bestücken wir unseren Kühlschrank bewusst genug?
  • Haben wir genug Überblick, um rechtzeitig zu entdecken, wenn ein Lebensmittel altersschwach wird?
  • Sind wir bereit unsere Kochpläne spontan umzuwerfen, um ein ebensolches Lebensmittel doch noch im Kochtopf landen zu lassen?
  • Ziehen wir in lässiger Routine ein Restekochbuch aus dem Regal?
  • Oder schütteln uns locker 3 verschiedene Arten aus dem Ärmel, um Obst und Gemüse haltbar zu machen?

Egal womit wir anfangen: Lebensmittelretten führt nachweislich zu einer win-win-win Situation. Es lohnt sich für Ihre Geldbörse, für Klima und Umwelt und bringt – zu Ende gedacht – sogar eine große Portion mehr Gerechtigkeit in unsere vernetzte Welt.

Wenn Sie für sich einen speziellen Weg entdeckt haben, um Lebensmittel vor der Tonne zu bewahren: teilen Sie ihn mit uns –  schreiben Sie einen kurzen Kommentar zu ihrer Idee!


Portrait einer rothaarigen hübsche FrauÜber die Autorin

Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).

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