Der „Steinzeit-Sager“ des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz klingt noch immer in unseren Ohren. Und zeigt auf, was Menschen umtreibt, die Angst vor ZUVIEL Nachhaltigkeit haben. Es geht ihnen vor allem um den Verlust von materiellen Werten und Wohlstand.
Fakt ist: Wir können und wollen nicht zurück in die Steinzeit. Wir könnten aber Nützliches aus unserer frühen Geschichte lernen. Denn nicht alles ist schlecht, was einfach ist. Wir haben einige revival-taugliche Facetten der Steinzeit für dich zusammengestellt.
1. Ohne Abfälle leben
In internationalen Design-Kreisen wird immer wieder anklagend geraunt: „Waste is a design flaw“ (zu Deutsch: Abfall ist ein Fehler im Design). Diesen Fehler kannte Steinzeit-Design definitiv noch nicht. Unsere Vorfahren waren – wenn auch unfreiwillig – Zero-Waste Held*innen. Die Venus von Willendorf war natürlich in kein stylisch geschäumtes Plastik-Konvolut gewickelt, maximal ein kleines Stückchen Leder. Schmuck und Werkzeug gab es ausschließlich unverpackt.
Heute tragen nahezu alle Produkte diesen „Fehler im Design“. Vor allem die Produkte unseres täglichen Bedarfs. Einmal gekocht, schon ist der Mistkübel wieder voll.
Wohingegen das Leben eines Steinzeitmenschen zur Gänze kompostierbar war, egal ob Kleidung, Behältnisse für Nahrungsmittel, Werkzeug etc. oder das „Interieur“ der Behausungen. Und selbst große Festgelage hinterließen keine bleibenden Spuren (… Knochen zählen hier nicht). Mangels Alternativen kochte man höchst regional, biologisch und meist gänzlich ohne Transportwege.
Zurück zu unserem heutigen Design-Fehler: als „Quoten-Kaiser“ recyclen wir in Österreich 1/3 des Plastikmüll-Berges. Die restlichen 2/3 können noch in 500 Jahren als langlebige Artefakte unserer ‚Fehlerkultur‘ auf Deponien bestaunt werden. Wenn sie nicht in der Müllverbrennungsanlage „thermisch entsorgt“ und dadurch als Problem räumlich in die Atmosphäre verlagert werden. Die EU will diesem ‚Fehler‘ einen Riegel vorschieben: und zumindest die Hälfte des Berges muss bis 2025 in Recyclingkreisläufe wandern.
2. Das Prinzip der Nähe
Alles, was zum Leben wirklich wichtig war, musste in der Steinzeit irgendwo in der Nähe verfügbar sein. Nur die wenigsten Güter (wie Feuerstein-Rohlinge oder Salz) hatten damals überhaupt eine Lieferkette auf dem Buckel. Ötzi – seines Zeichens nicht nur Promi-Eisleiche, sondern auch früher Transporteur von Spezialgütern, kann ein Lied von den Gefahren singen, die diese frühen Lieferketten mit sich brachten.
Je näher, umso besser also. Die Vorzüge des Prinzips der Nähe werden uns nicht erst seit Beginn der Pandemie immer wieder unsanft um die Ohren geklatscht. Wir wissen jetzt, dass es weder krisensicher noch weitsichtig ist, Medikamente / Kleidung / IT nur noch im fernen Ausland herzustellen. Und die Chip-Krise legt einen weiteren Finger in die Wunde der großen Abhängigkeit.
Bei unseren heutigen Bedürfnissen fällt es freilich schwer, sich ganz aus globalen Abhängigkeiten herauszuwinden. In einigen Bereichen ginge es aber doch leichter als gedacht, zum Beispiel beim Essen. Es ist heute keine Hexerei sich vielseitig, genussvoll und gesund authentisch regional zu ernähren. Auch moderne „Höhlen“ brauchen keine unnötig langen Transportwege. Es scheitert weder an regionalem Baumaterial (Lehm, Stroh, Holz), noch an entsprechenden ausgefeilten Bautechniken. In der Schweiz wird zudem auf Hochtouren an CO2-speicherndem Recycling-Beton geforscht.
Die Pariser Bürgermeisterin hat in Puncto „Nähe“ für Aufsehen gesorgt, als sie die „15-Minuten-Stadt“ als neues Ziel präsentierte. Alles, was man so im Alltag braucht (Lebensmittel, Geschäfte, Schulen, Büros, Ärzte, Naherholung, Kino, Theater etc.), muss in Zukunft in 15 Minuten erreichbar sein. Schummeln mit dem Auto ist nicht vorgesehen (Paris soll ja schließlich auch autofrei werden…): es geht um 15 Minuten zu Fuß, per Rad oder Öffis.
Die gute Nachricht lautet also: Nähe ist für Überlebensnotwendiges (wie Essen oder ein Dach über dem Kopf etc.) kein Problem. Die schlechte Nachricht: wer kann schon ohne Handy leben? Smartphones, Tablets, Plasma-Bildschirme & Co. sind und bleiben leider Teil von langen Lieferketten.
3. Im Moment leben
Unsere Vorfahren lebten definitiv im Moment. Bot sich eine günstige (Jagd-)Gelegenheit, musste sie tagesaktuell ergriffen werden. Spontanität war alles. Ablenkungen zur geistigen Zerstreuung waren hingegen eher rar gesät. Und es gab keinerlei Möglichkeit sein Leben in die Zukunft zu verschieben. Gut über den Winter zu kommen, war das kühnste Mittelfrist-Ziel der eigenen Lebenslogistik. Alles, was man auf die Zukunft einzahlen konnte, waren soziale Beziehungen und die Verbundenheit zur Gruppe. Von jeglichem Für-später-Schnickschnack, wie Sparbüchern oder Altersvorsorge, war man meilenweit entfernt.
Heute leben wir im anderen Extrem. Permanent abgelenkt, drehen sich unsere Sorgen rund ums Absichern, Horten, Anhäufen für eine Zukunft, die vielleicht in der Form nie kommt. Aber wenn, wäre sie meist mehr als ausfinanziert. Berührende Interviews mit Sterbenden bringen vor allem ein Motiv der „Reue“ ans Licht: Was sie definitiv anders machen würden? Nicht mehr so viel sparen. Bill Perkins zeigt in seinem Buch „Die with zero“ (Stirb mit nichts) auf, warum wir heute zu viel auf die hohe Kante legen. Und findet etliche Beispiele dafür, was uns in jungen Jahren an Lebensfreude dadurch entgeht.
Reden wir nicht länger über Verzicht
Die Zurück-in-die-Steinzeit-Debatte ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man Zukunft durch Schwarz-Weiß-Malerei verhindern bzw. verzögern kann. Berstend vor Wohlstand lassen wir uns von gefühlt möglichen Mangelerscheinungen erdrücken.
Um diese Angst-Dynamik zu beenden und konstruktiver auf Veränderungen zuzugehen, könnten wir üben, uns vorzustellen, was auf der anderen Seite der Bilanz auftaucht: die schwarzen Zahlen unserer Zukunftsbilanz. Das, was es in einer nachhaltigen Welt zu gewinnen gibt.
Mit Hingabe zur Draufgabe
Damit sind aber nicht noch besser gepufferte Sparkonten oder der Überfluss des Überflusses gemeint. Es geht um echte Gewinne für die Menschheit: wie unbezahlbar saubere Luft. Oder Flüsse und Seen, in denen man überall schwimmen kann. Ein weiterer Hauptgewinn: gesundes, nahrhaftes Essen, über das sich auch Bienen, Hummeln und Schmetterlinge freuen. Oder auch eine Geräuschkulisse, in der Vögel wieder lauter zwitschern, als der Verkehr brummt.
Aber auch eine neue Art der Verbundenheit, die entstehen kann, wenn wir Hamsterräder durchbrechen und mehr Raum und Zeit für Soziales schaffen. Und als Draufgabe gibt es das Gefühl dazu, unseren Nachfahren keinen ausgelaugten Schrott-Planeten, sondern eine lebendige Erde zu hinterlassen.