True-Costs -
Kostenwahre Warenkosten

Weizenähren auf Eurogeldscheinen

Bio gerät seit Beginn des Ukraine-Kriegs immer mehr unter Druck. Aufgrund der Inflation und der steigenden Lebensmittelpreise gewinnt oft das billigere, konventionelle Produkt das Rennen in den Einkaufswagen. Manche behaupten, nachhaltige Landwirtschaft sei nicht krisensicher, weil sie zu teure Produkte und zu wenig Ertrag hervorbringt. Doch stimmt die Rechnung? „True-Cost-Accounting“ addiert die sozialen und Umweltkosten, die die Nahrungsmittelproduktion verursacht. Es bedarf einiger Korrekturen auf dem Kassazettel.

Biolebensmittel kosten oft mehr als konventionelle Lebensmittel, weil Biolandwirtschaft meist mehr Arbeitsaufwand für die Bäuerinnen und Bauern bedeutet und der Ertrag in der Regel geringer ist als in der konventionellen Landwirtschaft.

Folgekosten – gut versteckt

Was in dieser Rechnung fehlt, sind allerdings jene Kosten, die die Lebensmittelproduktion durch Umweltzerstörung und Gesundheitsschäden verursacht. Im Produktpreis scheinen diese „versteckten“ Kosten (auch „wahre“ oder „Folgekosten“ genannt) nicht auf.

Bezahlen müssen wir sie trotzdem: in Form von Steuern, Krankenkassenbeiträgen oder anderen Abgaben. Aber nicht alles davon geht auf unser eigenes Konto. Oft zahlt die Natur drauf, oder die Bodengesundheit. Nicht selten sind es auch Menschen im globalen Süden, die zum Handkuss kommen. Oder zukünftige Generationen. Nahrungsmittelproduzent*innen müssten die Preise für ihre Produkte deutlich erhöhen, wenn sie für den Schaden, den ihre Produktionsmethoden verursachen, selber zahlen müssten. Konventionelle Produkte wären dann viel teurer.

Beispiel – Folgekosten Landwirtschaft
Versprühen Landarbeiter*innen Pestizide auf einem Feld, belasten sie ihre Gesundheit und das Gesundheitssystem. Die Welternährungsorganisation FAO schätzt pro Landarbeiter*in 3.000 Euro innerhalb von 10 Jahren für gesundheitliche Folgekosten.

Die Pestizide landen im Grundwasser, die Kosten bei den Wasserwerken. Sie geben jährlich Milliarden von Euros für die Trinkwasseraufbereitung aus, um die Pestizidrückstände zu entfernen. Entstanden ist der Schaden aber eigentlich in der Landwirtschaft.

Die „Gemeinsame Agrarpolitik“ der EU fördert jährlich mit Milliarden an öffentlichen Geldern unsere Nahrungsmittelproduzent*innen. Die EU unterstützt derzeit noch Großteils nicht-nachhaltige Anbau-Methoden. Sie ist damit Mit-Verursacherin der Schäden und muss diese im Nachhinein mit noch mehr öffentlichen Geldern reparieren.

Eine Preiskorrektur ist notwendig: ‚True Cost Accounting‘

Die Vereinten Nationen, der „Sustainable Food Trust“ und immer mehr Unternehmen und Universitäten haben begonnen, die Folgekosten für bestimmte Lebensmittel zu ermitteln. Diese Kostenpunkte zu berechnen, ist nicht ganz trivial. Die Initiative „True Cost“ entwickelt Methoden und Standards, die es den Unternehmen erleichtern soll, ihre „wahren Kosten“ zu berechnen (siehe Leitfaden).

Die fehlenden Positionen am Kassazettel

  • Treibhausgase und Luftverschmutzung
  • Lebensmittelabfälle
  • Bodenabbau
  • Belastung der Gewässer
  • Insektensterben und Verlust der Artenvielfalt durch Einsatz von Chemie
  • Gesundheitskosten (z.B. durch Antibiotikaresistenzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes, Karies, Unterernährung oder Übergewicht)
  • Erhöhtes Krebsrisiko durch Nitrat im Trinkwasser
  • Hoher Wasserverbrauch in wasserarmen Regionen (z.B. bei Obst und Gemüse), etc.

Wieviel müssten Lebensmittel wirklich kosten?

Forschende der Universität Augsburg haben die Folgekosten berechnet, die durch Treibhausgasemissionen, Stickstoffbelastung und Energieverbrauch zusätzlich entstehen und haben diese auf die deutschen Handelspreise aus dem Jahr 2016 aufgeschlagen.

Der Stickstoffeintrag aus Düngemitteln fällt am schwersten ins Gewicht, dann der ressourcenintensive Futtermittelanbau, sowie der Stoffwechsel und die Tierhaltung.

© Universität Augsburg

Konventionelle Tierprodukte müssten laut ihren Berechnungen dreimal so teuer sein! Und das obwohl in dieser Rechnung immer noch Faktoren unberücksichtigt bleiben (z.B. Saisonalität und Regionalität, Pestizidrückstände, Verlust der Bodenqualität).  Bei pflanzlichen Bio-Produkten beträgt der Preisaufschlag hingegen nur 6 Prozent. Fairerweise muss gesagt werden:  Da Bio-Produkte generell teurer sind, sind natürlich auch die Aufschläge geringer. Aber dennoch, berücksichtigen wir alle Kosten, kommen uns als Gesellschaft Bio-Produkte um einiges günstiger als konventionelle.

Rechenaufgabe
Nimm deinen letzten Kassabeleg in die Hand. Wähle 6 Produkte für jede der im Diagramm abgebildeten Kategorien und berechne die Aufschläge in Prozent aus dem Diagramm. Addiere sie zum bezahlten Betrag. Würde sich deine Kaufentscheidung ändern?

Das ‚Einmaleins‘ der Wirtschaftswissenschaften

Der Preis eines Guts ergibt sich aus dessen Angebot und Nachfrage. Je günstiger ein Gut angeboten wird, desto mehr wird davon nachgefragt und verkauft.

Über 70 Prozent der Menschen entscheiden sich beim Einkauf für das billigere Angebot. Diese Realität steht dem True-Cost-Ansatz aber nicht entgegen. Um die Produktion in Richtung nachhaltige Anbaumethoden zu lenken, wäre die Bepreisung der sozialen und ökologischen Schäden in der Produktion, ein geniales Steuerinstrument. Außerdem ist die Spekulation mit Lebensmitteln an der Börse und die damit verbundenen Preisschwankungen zu hinterfragen.

Einige Banken machen es bereits vor: Sie investieren gezielt in ökologisch und sozial wirtschaftende Unternehmen, darunter auch Biolandwirt*innen. Soziale und ökologische Kosten werden in die Bilanz der Unternehmen aufgenommen, aber auch in die Bewertung der Kreditwürdigkeit miteinbezogen.

Kostenwahrheit – Wie kann’s gehen?

Angenommen, die EU gestaltet das Agrar-Fördersystem nach dem Motto „Wer Umweltschäden verursacht, muss dafür bezahlen. Wer sie reduziert, wird dafür entlohnt.“

Steuern auf CO2-Emissionen, auf die Ausbringung von Stickstoff sind denkbar, und das am Beginn der Wertschöpfungskette. Landwirt*innen, Düngemittel- und Saatguterzeuger*innen, Energielieferant*innen und Verarbeiter*innen tragen die Kosten für ihre Umweltzerstörung. Konsumierende und die Gesamtgesellschaft werden nicht belastet.

Die Steuereinnahmen würden direkt an die Produzent*innen zurückgegeben: Je nachhaltiger sie wirtschaften desto höher ihr Einkommen aus Subventionen. Die EU würde gezielt jene zukunftsträchtigen Anbaumethoden finanzieren, die weniger Folgekosten verursachen.

Beispiel – zukunftsträchtige Bewirtschaftung
Agroforstsysteme sind Flächen, die sowohl forst- als auch landwirtschaftlich genutzt werden: Man kombiniert Bäume mit Kulturpflanzen wie Weizen. Anderswo wird Waldfläche gleichzeitig als Tierweide genutzt. Agroforstsysteme steigern u. a. die Biodiversität, den Bodenschutz und die Kohlenstoffbindung, verbessern Tierwohl und schaffen mehrere Standbeine für landwirtschaftliche Betriebe.

Für importierte Produkte, die nicht den „wahren“ Preis haben, könnte eine „Ausgleichsabgabe“ beim Import in die EU bezahlt werden, damit heimische Bäuerinnen und Bauern wettbewerbsfähig bleiben. Bei einem der Kostenpunkte, nämlich den Treibhausgasemissionen, wird ab 2023 durch die Carbon Border Tax schrittweise der Weg in Richtung Kostenwahrheit begonnen.

Durch True-Cost-Accounting würden nachhaltig wirtschaftende Betriebe wesentlich gestärkt. Für andere Betriebe wäre es ein Anreiz, ebenfalls auf Nachhaltigkeit zu setzen.

Beispiel Irland
In der irischen Region „The Burren“ vereinen Landwirt*innen Bewirtschaftung und Erhalt ihres Gras- und Heidelands. Die traditionell extensive Weidetierhaltung bleibt für Bäuerinnen und Bauern attraktiv, da Maßnahmen zum Schutz der Landschaft und für gutes Wassermanagement teilfinanziert werden. Für die erfolgreiche Umsetzung – d.h. für jedes sichtbare Ergebnis in der Natur – erhalten sie ebenso Geld. Seit Beginn des Förderprogramms konnten sie etwa die Bodenerosion verringern oder Wasserressourcen geschützt werden.

Beispiel UK
Das Vereinigten Königreich setzt mit seinem „post-Brexit“ Agrarfördersystem auf mehr Naturschutz. Landwirt*innen erhalten Zahlungen für Bodenaufbau, Reduktion von Pestiziden, Aufforstung, usw. Obwohl das neue Fördersystem auch kritisiert wird, ist es ein Schritt in die richtige Richtung. Die EU kann davon lernen.

True-Pricing – Ist eine Preiskorrektur nach oben sozial vertretbar?

Dass Lebensmittel für die ärmere Bevölkerung leistbar bleiben müssen, steht außer Frage. Die Gesamtbilanz des „True-Pricing“ fällt positiv aus. Wäre Kostenwahrheit eine geopolitische Realität, müssten wir als Gesellschaft insgesamt weniger Geld für unsere Ernährung aufbringen.

Nachhaltige Produktion würde durch die richtigen Subventionen leistbar, in Folge auch deren Produkte. Die Preise für Bioprodukte und konventionelle Produkte würden sich weiter annähern. Die Nachfrage nach Bioprodukten und pflanzlichen Produkten würde steigen. Da Fleisch inklusive der versteckten Kosten um einiges teurer wäre, ginge der Fleischkonsum zurück. Bei einem Umschwung auf vorwiegend pflanzliche Nahrungsmittel, würden wir immense Mengen an Treibhausgasen sparen.

Wegen der derzeitigen Umweltbelastung durch die Landwirtschaft, entstand ein gesellschaftlicher Zwist zwischen Landwirt*innen als Klimasünder*innen und umweltbewussten Konsument*innen. Dieser könnte entschärft werden. Für die richtige Kaufentscheidung könnten Lebensmittel zum Beispiel eine Kennzeichnung erhalten, die Art und Schwere der Umweltschäden aufzeigt.

Es ist besser, Umweltschäden von vornherein zu vermeiden als im Nachhinein die Schäden aufzuräumen und zu bezahlen. Denn nicht selten sind es Schäden an Ökosystemen, die Jahrhunderte zur Regeneration brauchen.

Setzt man also wirklich alles auf eine Rechnung, wird eines sonnenklar: Nicht die nachhaltigen Güter sind zu teuer, sondern konventionelle zu billig!

Johanna Lehner
Johanna Lehner

Johanna Lehner, BSc, ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken.“ und seit 2020 Podcasterin beim Wissenschaftspodcast 5MinutenClimateChance.


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