Schmeckt der Begriff Nachhaltigkeit wie ein Butterbrot vom Vortag? Können wir überhaupt für Fische sprechen, wenn wir selbst keine sind? Und wie weit müssen wir in die Zukunft vorausschauen, wenn wir kommenden Generationen ein gutes Leben erhalten wollen? Beim ersten Nachhaltigkeitsforum in Langenlois in Niederösterreich im Oktober 2016 liefen die Köpfe heiß. Auf Einladung des Biopioniers und Nachhaltigkeitsexperten Werner Lampert, und moderiert vom Philosophen Konrad Paul Liessmann, diskutierten 13 Expertinnen und Experten aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften über die Chancen und Grenzen von Nachhaltigkeit.
Teilnehmerliste
1) Was meinen wir überhaupt, wenn wir von Nachhaltigkeit sprechen?
Die Wurzeln des Nachhaltigkeitsbegriffs reichen in die Forstwirtschaft des 18. Jahrhunderts zurück. Ist dieser heute noch brauchbar oder bereits „ausgelutscht“, wie es der Soziologe Harald Welzer provokant ausdrückte? In der Diskussion zeigte sich das ganze Meinungsspektrum – vom Bewahren eines bewährten Begriffs über dessen Neudeutung bis hin zu alternativen Namen wie Gerechtigkeit oder Zukunftsfähigkeit. Dass nachhaltig schon heute nicht gleich nachhaltig ist, veranschaulichte die Biologin und Schriftstellerin Andrea Grill am Beispiel unterschiedlicher Sprachen. So verweist das deutsche „Nachhaltigkeit“ auf das Halten, das französische „Resilience“ auf Spannkraft und Elastizität. Das italienische „Durevolezza“ und das holländische „Duresamheit“ betonen den Aspekt der Dauer. Der englische Begriff „Sustainability“ wird zuerst mit Zukunftsfähigkeit übersetzt und erst an zweiter Stelle mit Nachhaltigkeit.
2) Ist der Blick auf unsere Kinder und Enkel ausreichend?
Nachhaltigkeit ist grundsätzlich immer auf die Zukunft ausgerichtet. Vereinfacht gesagt: Wir wollen als Menschen so handeln, dass unsere Kinder und Enkel noch eine lebenswerte Umwelt vorfinden. Aber ist das ausreichend? Müsste man nicht viel weiter vorausschauen und in der Dimension von Erdzeitaltern denken? Die Literaturwissenschafterin Eva Horn griff das derzeit heißdiskutierte „Anthropozän“ als das erste durch den Menschen geprägte geologische Erdzeitalter auf. Ihre Forderung: Da der Mensch das Lebenssystem auf der Erde verändere, sei er auch langfristig für den sich ändernden Zustand des Planeten verantwortlich. Anders der Politologe Claus Leggewie: Aus seiner Erfahrung sind konkrete Maßnahmen – beispielsweise zum Klimaschutz – nur durchsetzbar, wenn wir die nächsten ein bis zwei Generationen adressieren.
3) Was passiert, wenn die Chinesen sich Zweitautos zulegen?
Dies berührte ein weiteres fundamentales Thema: Solidarität. Viele Schwellenländer gehen soeben den Schritt in die Mittelklasse. Eine wünschenswerte Entwicklung, die aber auch an Grenzen stößt.
„Wir haben heute in unseren Breitengraden 1,5 Pkw pro Einwohner, in China ist es erst 1 Pkw. Wenn alle so eine Verkehrsdichte haben wie wir, kollabiert der Planet“, erklärte die Theologin Ingeborg Gabriel.
Um Menschen in anderen Teilen der Erde den Aufstieg zu ermöglichen, müssten die industrialisierten Länder etwas von ihrem Wohlstand abgeben. Doch das wäre schwer durchzusetzen. Der Journalist Wolf Lotter mahnte Alternativen zu Verboten ein, um zu Nachhaltigkeit zu motivieren. Positive Erfahrungen schilderte der Biopionier Werner Lampert aus seiner Arbeit mit landwirtschaftlichen Produzenten.
„Wenn sich die Menschen mit Nachhaltigkeit beschäftigen, begreifen sie: Ich kann den Tieren nichts verfüttern, was ich den Menschen wegnehme. Ab dem Zeitpunkt ist Solidarität vorhanden.“
4) Müssen wir wieder lernen, uns und andere zu spüren?
Die Bereitschaft zur Solidarität hängt wesentlich mit dem persönlichen Fühlen und Erfahren zusammen.
„Nur wenn ich etwas fühle, erfahre und glaube, dann lebe ich es“, betonte etwa Andrea Grill.
Der Mediziner Henning Elsner sieht die Lebendigkeit und das Fühlen als Defizite unserer Gesellschaft. Seine Überzeugung: Wir brauchen einen Kohärenzsinn, mit dem wir uns im großen Ganzen verorten können, um – verbunden mit den Kreisläufen der Natur – der Erde teilhaftig zu leben. Dies lasse uns die Welt wieder so wahrnehmen, „dass wir das, was um uns herum geschieht, ausreichend verstehen und auch beeinflussen können“. In eine ähnliche Kerbe schlug der Philosoph Andreas Weber mit seiner Forderung nach einer neuen Lebendigkeit, die an der Innenerfahrung der Menschen ankopple. Ein Beispiel seien ökologischen Allmenden: In ihnen werde Wirtschaften für den Einzelnen identitätsstiftend, woraus eine Teilhabe am großen Ganzen entstehe.
5) Nachhaltigkeit und Kapitalismus – kann das überhaupt zusammengehen?
Aber sind nachhaltiges Handeln und ein kapitalistisches Wirtschaftssystem nicht Widersprüche per se? Ja, sagte der Ökonom Mathias Binswanger. Für ihn funktioniert dieses System nur, wenn das Wachstum weitergeht. Ein nachhaltiges Verhalten über Preise zu steuern, sei nicht möglich:
„Man wüsste klar, wo man hinmuss. Aber es lassen sich derzeit keine Preise durchsetzen, die das bewirken würden.“
Der Historiker Philipp Blom verwies darauf, was Europa großgemacht habe – ein Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruhe. Und ironischerweise bringe uns genau dieses Prinzip jetzt an den Abgrund:
„Die, die wenig haben, wollen mehr. Und die, die viel haben, wollen ihre Privilegien behalten. Um wirklich etwas zu verändern, brauche es ein tieferes Umdenken.“
Und damit das passiert, ist aus Sicht von Blom noch mehr Leidensdruck erforderlich.
6) Wie lassen sich Menschen erreichen und bewegen?
Am Ende bestimmte der praktische Rahmen den Nachhaltigkeitsdiskurs: Wie lässt sich Teilhabe bewirken, welche Prozesse eignen sich für die Mobilisierung von Menschen? Für den Rechtsphilosophen Peter Strasser spüren die Menschen, dass etwas nicht mehr stimme, wenn die Ungleichheit zu groß werde. Der Journalist Wolf Lotter ortete gar eine „Unkultur der Unaufrichtigkeit“, die sich etwa in der VW-Krise gezeigt habe. Auch der Ökonom Mathias Binswanger appellierte, zu sehen, dass die Leute unzufrieden sind.
„Dauernd werden Versprechungen gemacht und nicht erfüllt. Wir müssen uns mehr damit beschäftigen, was die Menschen unzufrieden macht.“
Die Anforderung ist daher, eine Plattform für ihre Bedürfnisse zu bieten und wieder Zutrauen zum System zu schaffen. Als positives Beispiel für einen politisch-partizipativen Prozess präsentierte der Soziologe Harald Welzer die von ihm mitbegründete „Initiative Offene Gesellschaft“ in Deutschland, die großen Zuspruch erfährt.
Gastgeber Werner Lampert zog seinen Schluss aus der Diskussion beim Nachhaltigkeitsforum Langenlois:
„Was notwendig ist, um eine Bewegung zu schaffen und um wirklich weiterzukommen, ist eine neue Form des Diskurses. Wir müssen lernen, miteinander anders zu sprechen, einander anzunehmen. Nur übers Annehmen werden wir die Menschen erreichen können.“
Erstes Nachhaltigkeitsforum Langenlois: Die Teilnehmerrunde
- Mathias Binswanger, Ökonom, St. Gallen (Schweiz)
- Philipp Blom, Schriftsteller und Historiker, Wien (Österreich)
- Henning Elsner, Mediziner und Psychosomatiker, Lahnstein (Deutschland)
- Ingeborg Gabriel, Theologin, Wien (Österreich)
- Andrea Grill, Biologin und Schriftstellerin, Wien (Österreich)
- Eva Horn, Literaturwissenschafterin, Wien (Österreich)
- Werner Lampert, Nachhaltigkeitsexperte und Biopionier, Wien (Österreich)
- Claus Leggewie, Politologe, Essen (Deutschland)
- Konrad Paul Liessmann, Philosoph, Wien (Österreich)
- Wolf Lotter, Journalist und Autor, Köngen (Deutschland)
- Peter Strasser, Rechtsphilosoph, Graz (Österreich)
- Andreas Weber, Biologe, Philosoph und Schriftsteller, Berlin (Deutschland)
Super geschriebener Blog! Als Steuerberater finde ich, dass Nachhaltigkeit ein wichtiges Thema ist über das man sich Gedanken machen sollte! Beste Grüße!