Deutschland hat ein ‚Ministerium‘ mit klingendem Namen: das Ministerium für Glück und Wohlbefinden. Die unabhängige Initiative stellt das „Bewusstsein für das gute Leben“ in den Fokus. Wir trafen die Gründerin und Glücksministerin Gina Schöler zum Interview.
Was bedeutet Verglücklichung für dich konkret?
Es heißt wahrlich nicht, dass wir immer alle Honigkuchenpferde sein müssen. Gesellschaftspolitisch wird manchmal von ‚toxischer Positivität‘ gesprochen. Wenn ich von Verglücklichung spreche, bedeutet das daher nicht, dass alles immer wie am Schnürchen funktioniert und alle zwangsbeglückt werden.
Mir geht es darum, ein solides Grundgerüst an individuellen und sozialen Werten aufzubauen, die es uns leichter machen, ein gelingendes Leben zu führen. Verglücklichung bedeutet Rahmenbedingungen zu schaffen, um möglichst viele positive Emotionen zu erleben. Sei es in der Familie, im Bildungsbereich oder in Wirtschaft und Politik. Es geht auch um einen reflektierten und gesunden Umgang damit, wie es uns und der Welt geht.
Wie kam es zum Glücksministerium?
Ich kam vor 10 Jahren dazu wie die Jungfrau zum Kinde. Wir hatten im Masterstudium Kommunikationsdesign an der Hochschule Mannheim die Aufgabe erhalten, uns Wege zu überlegen, um mit den Methoden des Kommunikationsdesigns einen positiven Wertewandel in der Gesellschaft anzustoßen.
Damals war Bhutan mit dem Bruttonationalglück medial am Aufblühen. Wir merkten, dass unser „höher, schneller, weiter, mehr“ weder ökologisch noch sozial nachhaltig ist. Das war für mich ein Gamechanger. Gerade auf höchster politischer Ebene muss man sich die Frage stellen: wofür machen wir das alles? Und ich hoffe, die Antwort lautet: um Mensch und Natur das bestmögliche Leben zu gewährleisten.
So ist die provokante, politische Metapher des ‚Glücksministeriums‘ entstanden. In der westlichen Welt war hierzu noch nicht viel passiert. Aus Markensicht war es auch interessant, diese Lücke zu füllen. Das wurde dann ein Selbstläufer und hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Wenn man sich in der Welt umsieht, könnte man meinen, es sind schwere Zeiten für dich als Glücksministerin?
Momentan sind die Bedürfnisse nach Glück enorm. Es brennt an allen Ecken und Enden. Ich bin ein sehr empathischer Mensch. Ich muss aufpassen, dass ich abends nicht zu viel nachhause mitnehme. Denn durch das persönliche Thema sind ja alle Grenzen geöffnet.
Ich merke aber auch, dass das natürlich nicht alles meine Verantwortung sein darf. Ich ermutige zur Selbstverantwortung. Ich bin ja nicht in der Situation, dass ich den Zauberstab schwinge und die Probleme der Nation löse, ich bin Impulsgeberin und zeige Wege und Möglichkeiten auf, ich stelle Fragen, höre zu und ermutige, erste Schritte in Richtung Glück zu gehen.
Zu Beginn der Pandemie haben wir uns als Team gefragt: können wir jetzt überhaupt über Glück sprechen? Ist das nicht lapidar? Wir haben aber sehr schnell verstanden und auch die Rückmeldung aus der Community bekommen, dass wir gerade jetzt gebraucht werden, damit nicht alle den Kopf in den Sand stecken. Optimismus ist gerade Hochleistungssport. Es ist anstrengend die Fahnen hochzuhalten, aber ich tu es gerne.
Was sind die Basis-Zutaten deiner Glücks-Arbeit?
Wertschätzung und Dankbarkeit sind mein größtes Steckenpferd. Das zaubere ich auch gerne aus dem Hut, wenn es mir mal nicht gut geht. Es ist wichtig Wertschätzung weiterzugeben, z.B. an die Nachbarin, die Teamkollegin oder den Lebenspartner. Ihnen zu sagen, wie wichtig ihr Sein ist und was sie zum gelingenden Leben beitragen. Und das geht im trubeligen Alltag viel zu oft unter. Aus Sicht der Glücksforschung ist das ein ganz wichtiger Baustein.
Du arbeitest mit sehr kreativen Methoden. Funktioniert Kreatives auch bei weniger kreativen Geistern?
Laut Joseph Beuys ist ja jeder ein Künstler, also auch Lebenskünstler. Kreativität bedeutet ja nicht gleich schön malen zu können oder ein Instrument zu spielen. Kreatvität spiegeln sich im Denken und Handeln wider: Neues ausprobieren, neu verknüpfen, um die Ecke denken, anders machen… Mein Anspruch ist zudem auch nicht alle erreichen zu müssen. Ich öffne meinen Bauchladen und biete eben dieses Repertoire an Workshops, Veranstaltungen, Büchern und kreativen Methoden an. Mein Ziel ist, dass sich Menschen daraus bei Bedarf bedienen. Aber ich drücke es keinem auf. Damit es nachhaltig sein kann, braucht es eine Portion intrinsischer Motivation. Wo die Tür schon etwas geöffnet ist, klopfe ich gerne mal an. Aber wo alles verriegelt und verrammelt ist, sage ich mir: jede*r hat seine Zeit.
Aber grundsätzlich funktionieren kreative Ansätze auch in konservativen Veranstaltungsrahmen. Ich arbeite viel mit haptischen Objekten, habe keine Powerpoint-Präsentation und fordere gerne das innere Kind heraus. Das funktioniert – auch in starren Strukturen – besser als man denkt.
Kannst Du uns einige berufliche Glücksmomente schildern?
In den letzten 10 Jahren sind die verrücktesten Sachen passiert. Einmal ist eine 50-köpfige Delegation aus Thailand eigens gekommen, um die Arbeit unseres Glücksministeriums kennenzulernen. Ich hatte ihnen gesagt, dass wir keine echte politische Einrichtung sind, aber sie wollten uns kennenlernen. Ich hatte dafür eigens einen Saal im Schloss Mannheim gemietet, damit das Ganze auch repräsentativ ist. Das war eine tolle Veranstaltung. Andere Highlights waren die Zusammenarbeit mit dem Justizministerium oder die Einladung zur OECD Konferenz nach Paris.
Wirklich berührt haben mich aber vor allem ‚Mini-Momente‘, wo ich einen kleinen Dominostein anstoßen konnte. Wo mal ein Tränchen fließt, eine Erkenntnis plötzlich da ist, eine berufliche Veränderung passiert oder Menschen dann um die halbe Welt reisen, um ein Familienmitglied wiederzusehen.
Du hast eine ‚Faust‘-Regel für die tägliche Prise Glück entwickelt. Wie lautet sie?
- Der Daumen steht für Dankbarkeit. Das bedeutet, sich dessen bewusst zu werden, was da ist und nichts selbstverständlich zu nehmen.
- Der Zeigefinger steht für die Zeit und die Erinnerung gute Pausen zu machen, weniger Termine auszumachen und sich viel Stille und Ruhe zu gönnen.
- Der Mittelfinger steht für das Miteinander: in Beziehung und Austausch zu gehen, jemandem zu helfen, ein Kompliment oder sogar eine Liebeserklärung zu machen etc.
- Der Ringfinger bedeutet Reflexion und lädt zur Innenschau ein: dazu, die eigenen Gefühle und Bedürfnisse, den eigenen Gedankenstrudel zu beobachten, für sich den persönlichen roten Faden zu finden. Wodurch man sich selbst besser kennenlernt und in Verbindung mit sich kommt.
- Der kleine Finger steht für Komik. Für Humor und Optimismus auch in schwierigen Zeiten. Und für den Versuch, Leichtigkeit und Lebensfreude ins eigene Leben zu integrieren.
Wie kann man sich denn selbst verwöhnen?
Auf meinem PC gibt es den Ordner namens „Digitale Lobdusche“. Da speichere ich alle Screenshots mit netten Rückmeldungen, Kommentare, Feedbacks oder E-Mails und hole sie hervor, wenn die kleine Kritikerin in mir laut wird. Ich habe auch eine analoge Version davon, mit all den Zettelchen, die ich zugesteckt oder geschickt bekomme.
Neben mir steht ein Blumenstrauß, den mir eine liebe Freundin geschenkt hat. Den kaufe ich mir regelmäßig auch selbst. So etwas macht im Alltag viel aus.
Wie utopisch ist ein Glückministerium?
Island, Schottland, Neuseeland haben sich zu einer Allianz zusammengeschlossen, um „Wellbeing“ stärker in die Politik einzubringen. Und auch in Deutschland stellen wir diesbezüglich gerne die Frage: „[1] Was wäre wenn?“
Wir sind bislang größtenteils auf offene Ohren gestoßen, auch in der Politik. Natürlich gab es auch die eine oder andere kritische Stimme und Vorwürfe in Richtung „Zwangsbeglückung“, wenn unser Ansatz nicht verstanden wurde.
Es gibt weltweit viele, die realisiert haben, dass es auch bei politischen Entscheidungen um ganzheitliche Ansätze geht. Und vielleicht ist unsere Idee ja gar nicht so verrückt, vielleicht sind wir unserer Zeit einfach nur voraus (lacht).
Glück wird also bald ein politisches Thema werden?
Es ist noch nicht die breite Bewegung, aber zarte Wurzeln sprießen. Nicht nur in der Politik. Sehr stark auch im Bildungssystem und auch bei Unternehmen. Es ist überall ein absoluter Grundbaustein, dass Menschen Mensch sein dürfen, dass sie sich gesehen, wertgeschätzt und als Teil eines Systems fühlen. Glück, Wohlbefinden, ein gesundes Miteinander, Zufriedenheit bilden die Basis, das erkennen immer mehr. Es fängt an. Und ich bin sehr optimistisch.
Welchen abschließenden Glücks-Rat hast du für unsere Leser*innen parat?
Probiert etwas vermeintlich Verrücktes aus! Es braucht einiges an Mutproben und kleinen Herausforderungen, um darauf zu kommen, was einem wirklich guttut und zufrieden macht.
Und mir geht es genau darum, Menschen für diese Suche, diesen Prozess, der hinter einem gelingenden Leben steckt, zu ermutigen. Solche Prozesse können auch aufreibend und anstrengend sein. Ich sage immer, Glück hat auch Nebenwirkungen. Aber es lohnt sich. Und wenn man seine Mitmenschen auf diesem Weg mitnimmt, schweißt das unglaublich zusammen.