Klimawandel in Österreich – Worauf müssen wir uns gefasst machen?

Gestikulierende Frau an Computer

Global haben wir eine Erwärmung von 1,1 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit, in Österreich bereits 2,3 Grad. Wer glaubt, dass das keine Auswirkungen hat, ignoriert die Zeichen der Natur. Die renommierte Klimaexpertin Prof. Helga Kromp-Kolb erklärt, welche Veränderungen Österreich zu schaffen machen und hat klare Maßnehmen, wie wir Österreich auf Kurs im Kampf gegen die Klimakrise bringen.

Frau Helga Kromp-Kolb, vor fast 15 Jahren brachten Sie mit Kollegen das „Schwarzbuch Klimawandel“ heraus. Schon damals fragten Sie „Wie viel Zeit bleibt uns noch?“. Hätten Sie es für möglich gehalten, dass fast 15 Jahre später so viel mehr CO2 in der Atmosphäre sein würde?

Wahrscheinlich schon. Aber nicht, dass Österreich weiter so viel beiträgt. Ich hatte erwartet, dass sich in Österreich etwas verändert, aber dass global zu ambitioniert gewesen wäre. Denn wir mussten Entwicklungsländern noch die Möglichkeit geben ihren Lebensstandard zu verbessern, das war uns glaube ich schon klar.

Bei einer Fridays for Future-Aktion hielten Sie eine Unterrichtsstunde für das „streikende Klassenzimmer“. Darin erklärten Sie, dass wir in Österreich bereits eine 2,3 °C Erwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit haben. In der kleinen Eiszeit hingegen lag die Temperatur lediglich um 0,5 Grad unter dem Durchschnitt. Worauf fußen diese Erkenntnisse?

Die 2,3°C wurden von der ZAMG (Zentralanstalt für Meteorologie) publiziert, und basieren auf Messungen – gemittelt über die Stationen Österreichs. Die Daten aus der Vergangenheit sind die unsichereren, denn sie werden indirekt aus verschiedenen Quellen, wie z.B. Baumringen oder Sedimenten geschlossen. Deshalb wird eine Spanne angegeben, die Temperaturen lagen damals 0,5 bis 0,8 Grad unter dem Durchschnitt.

Wie kann es sein, dass wir global nur eine Erwärmung von 1,1°C haben, in Österreich aber 2,3°C?

Zwei Drittel der Erdoberfläche sind Wasser. Wasser absorbiert wesentlich mehr Energie, bevor es sich um 1 Grad erwärmt, als Land – einerseits durch die höhere Wärmekapazität, andererseits durch die Verdunstung von Wasser, was Wärme und Energie bindet. Und eben diese Energie schlägt sich dann nicht im Temperaturanstieg nieder.

Das heißt, die Ozeane erwärmen sich langsamer als das Land, wodurch das globale Mittel geringer ausfällt, als nur an Land. Österreich ist aber ein Binnen- und Gebirgsland. Daher spüren wir die Dämpfung der Ozeane nicht so stark. Im Gebirge wird durch den Rückgang der Schneedeckendauer weniger Wärme reflektiert. Oder, weil wir weniger lange eine Schneedecke haben, wird mehr Sonnenstrahlung absorbiert (die sog. Eis-Albedo-Rückkoppelung). Es gibt noch eine Reihe von anderen Gründen, aber das sind die zwei ausschlaggebendsten.

Was bedeutet diese Erwärmung für Österreich oder den ganzen Alpenraum?

Das wirkt sich in vielfacher Hinsicht aus. Wir erlebten das in den letzten Sommern sehr deutlich. Durch Wärme und Trockenheit fand der Borkenkäfer sehr günstige Bedingungen vor und traf außerdem auf geschwächte Bäume, die nicht genügend Wasser zur Verfügung hatten.

Wir hatten in Vorarlberg, nicht gerade ein regenarmes Bundesland, die Problematik, dass nicht genug Futter für die Tiere vorhanden war. Futter musste zugekauft werden, weil die Wiesen nicht gut genug wuchsen. Am Bodensee senkte sich der Wasserspiegel in einem Ausmaß ab, dass die Stege nicht mehr bis zum Wasser reichten. Stürme fegten in Südösterreich. Dass wir im Winter immer wieder ein Schneeproblem haben, ist auch nichts Neues. Und dann tauen natürlich auch die alpinen Permafrostböden zum Teil auf. Die 2,3 Grad wirken sich schon in allen Bereichen, die mit der Natur in Verbindung stehen, ganz sichtbar aus – Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Tourismus. Aber auch darüber hinaus; Wasserknappheit tritt in bestimmten Phasen auf. Österreich ist trotz allem noch ein mit Wasser gesegnetes Land, aber auch wir spüren, dass hier Veränderungen eintreten. Es wird zunehmend sichtbar und zunehmend für jeden spürbar, dass sich etwas ändert.

Sie haben gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern ein Maßnahmenpaket für die österreichische Politik verfasst. Was sind die wichtigsten Stellschrauben in diesem Plan?

Die wesentliche Aussage ist, dass wir in allen Bereichen etwas tun müssen! Wenn wir unseren Beitrag zur Erreichung des Pariser Klimaziels leisten wollen, haben wir nicht die Wahl, ob wir im Verkehrsbereich oder im Gebäudebereich etwas tun wollen, sondern wir müssen in allen Bereichen handeln und zwar ziemlich viel.

Das Maßnahmenpaket umfasst 9 Themenbereichen, die gleichermaßen wichtig sind. Überragend oder grundlegend ist der Punkt, den wir „Wegweisende Pariser Klimazielorientierung“ genannt haben. Dieser enthält die Herausforderung, dass bei jeder Entscheidung die Ziele des Pariser Klimaabkommens mitbedacht werden. In allen Köpfen aller Entscheidungsträger der Wirtschaft und Politik muss das drinnen sein. Das ist wahrscheinlich das Wesentlichste.

Bei den Maßnahmen ist die klimagerechte und sozialgerechte Steuerreform etwas ganz Zentrales. Alle Ökonomen versichern, dass das die treffsicherste Methode ist, um Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Eine weitere sind hocheffiziente Energiedienstleistungen. Wie schaffen wir es, dass wir mit weniger Energie die selben Leistungen, beziehungsweise die Leistungen, die wir brauchen, bekommen.

Dann geht es ganz stark auch um den Umbau zur Kreislaufwirtschaft. Dass die Produkte langlebiger, reparierbar und recyclebar sind.

Die Digitalisierung, die von so vielen sehr intensiv betrieben wird, birgt ein ungeheures Potential die Effizienz zu steigern, aber leider auch noch mehr Ressourcen zu verlangen. Die Entwicklungen muss daher gelenkt werden. Wie das konkret aussieht, muss auch noch stark diskutiert werden. Die EU ist überzeugt, dass die Digitalisierung für den Klimawandel ein ganz wesentlicher Punkt ist, und das ist auch in Ordnung, aber eben kein Wildwuchs von Digitalisierung.

Dann gibt es noch den Punkt der klimaschutzorientierten Raumplanung, die ganz entscheidend für die Mobilität ist und für die Art der Mobilität, die notwendig ist.

Und den adäquaten Ausbau der erneuerbaren Energien. Adäquat deshalb, weil wir nicht der Meinung sind, dass es darum geht so viele erneuerbare Energien wie möglich auszubauen, sondern so viel wie notwendig. Nicht jeden Fluss verbauen, nicht jedes Ackerfeld mit Photovoltaik zupflastern, sondern wirklich schauen, wo brauchen wir Energie und wie viel brauchen wir tatsächlich.

Ein Thema ist die naturverträgliche Kohlenstoffspeicherung, um die Treibhausgas-Emissionen auf Netto-Null bringen zu können. Was können wir in Pflanzen, im Boden und vor allem im Wald speichern. Leider könnte der Wald als Speicher in dem Ausmaß, wie ursprünglich geplant und gedacht, durch Borkenkäfer und Sturmschäden nicht mehr dienen.

Und dann gibt es noch den Bereich Bildung und Forschung. Der ist in unserem Papier noch nicht ausgeführt, wir überlegen ihn nachzureichen.

Wissenschaftler waren mit Warnungen und auch gesellschaftspolitisch bisher eher zurückhaltend. Dieses Jahr scheint sich daran etwas geändert zu haben, warum?

Ich weiß nicht, ob ich mich wirklich zurückgehalten habe. Wir haben versucht weniger zu warnen und mehr Hilfe anzubieten, um bewusst zu machen, dass sich etwas ändern muss, ohne gleich zu drohen. Denn Menschen werden viel leichter von einem positiven Ziel, wo sie hinwollen, bewegt, als von dem, was droht, wenn sie nichts tun. Ich versuche das immer zu kombinieren. Ein positives Ziel alleine genügt nicht, es muss schon klar sein, dass es so wie jetzt nicht weitergeht ohne dramatische Konsequenzen. Ich versuche das zu verbinden.

Aber ja, die Wissenschaft ist im letzten Jahr wesentlich deutlicher geworden. Das hängt mit der Fridays for Future Bewegung zusammen. Die Bewegung wurde zunächst angegriffen: Dürfen denn Schüler überhaupt auf die Straße gehen? Die Scientists for Future Stellungnahme gab eine Antwort, die 27.000 Wissenschaftler unterschrieben. Diese große Zahl hätte ich nie erwartet. Das hat in der Wissenschaft ein verstärktes Bewusstsein geschaffen. Dann sind Leute wie Gottfried Kirchengast (Professor am Wegener Center, Universität Graz) oder Sigrid Stagl (Professorin an der Wirtschaftsuniversität Wien) wesentlich aktiver geworden und haben auch andere mitgezogen. Das führt auch dazu, dass sich das Climate Change Center Austria verstärkt in der Rolle sieht, auf Veränderungen aktiv hinzuweisen und durchaus auch zu warnen. Das ist nicht nur in Österreich so, sondern auch in Deutschland und in der Schweiz, aber auch international. Es gibt immer mehr internationale Aufrufe, wie die Berichte des Weltklimarats zu Landnutzungsänderungen und zur Veränderung der Ozeane und der Kryosphäre. Auch die Biologen beteiligen sich mit ihrem Bericht zum Zustand der Artenvielfalt (IPBES-Bericht) Es sind sozusagen sukzessive unterschiedliche Wissenschaftlergruppen angesprochen worden, das ist eine erfreuliche Entwicklung.

Was raten Sie jedem einzelnen zu tun, dem Klimaschutz wichtig ist?

Erstens gibt es viele Bereiche, wo jeder Emissionen einsparen kann, von der Ernährung über die Mobilität bis zum Wohnen. Was ich ihm rate, hängt sehr von der jeweiligen Person ab. Wenn jemand schon kein Auto mehr hat und sich vegetarisch oder vegan ernährt, brauche ich ihm in diesen Bereichen nicht viel erzählen.

Zweitens muss man auch den Entscheidungsträgern in der Politik und in der Wirtschaft signalisieren, dass einem Klimaschutz wichtig ist. Zum Beispiel durch meine Konsumentscheidung – was kaufe ich und was kaufe ich eben nicht – und das nicht nur still und leise, sondern dass ich das Verkaufspersonal darauf hinweise, dass ich den Knoblauch aus China nicht kaufe, weil er auch bei uns wächst. Oder dass ich etwas nicht kaufe, weil es keine entsprechende Energieeffizienz hat oder nicht reparierbar ist. Denn unser einzelner Kauf oder Nichtkauf wird vielleicht nichts verändern, aber wenn wir unsere Gründe tatsächlich ansprechen, dann geht das die Hierarchie hinauf bis an die Entscheidungsträger.

Bei der Politik haben wir die Lenkungsmöglichkeit über Wahlen. Wir können uns die Klimaprogramme der wahlwerbenden Parteien ansehen und in unsere Entscheidung einbeziehen. Wahlen sind jedoch nicht häufig genug, um sie als einziges Instrument nützen zu können. Weitere Schritte sind daher Leserbriefe oder direkte Briefe an Minister zu schreiben. Viele können sich dazu nicht aufraffen, aber auf die Straße zu gehen am Freitag – das kann man schon! Unterstützen Sie die Klimastreiks der jungen Leute mit. Oder tun Sie etwas im eigenen Gemeinderat. Es geht darum, den politischen Entscheidungsträgern zu zeigen, dass wir bereit sind, Veränderungen mitzutragen und sie auch einfordern.

Es braucht eine Doppelstrategie, wie überall: Im eigenen Bereich umsetzen, was geht. Und gleichzeitig fordern, dass die Rahmenbedingungen so geändert werden, dass noch mehr geht.


Über Em. Univ.-Prof. Dr. Helga Kromp-Kolb

Lächelnde Frau mit grauem HaarHelga Kromp-Kolb war als Meteorologin an der Universität Wien, der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik und an der Universität für Bodenkultur tätig. Neben ihrer Tätigkeit als Universitätsprofessorin für Meteorologie und Klimatologie initiierte und leitete sie bis 2018 das Zentrum für Globalen Wandel und Nachhaltigkeit der BOKU (mit dem Schwerpunkt „gesellschaftliche Transformation“, „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, „Paradigmenwechsels in der Wissenschaft“).

Sie war maßgeblich an der Gründung des Climate Change Centers Austria (das ist eine Dachorganisation klimaforschender Institutionen Österreichs) sowie der Allianz Nachhaltige Universitäten in Österreich beteiligt. Sie ist Mitinitiatorin des ersten Österreichischen Sachstandsberichts Klimawandel 2014 (AAR14) und des Projektes UniNEtZ zur Verankerung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO an den Universitäten.

Sie ist Mitglied wissenschaftlicher Beratungsgremien und hat zahlreiche Publikationen veröffentlicht und Preise erhalten: Unter anderem bekam sie 2005 den Preis der WissenschaftsjournalistInnen Österreichs und 2013 das Große Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich.

Sie unterhält eine rege Vortragstätigkeit im In- und Ausland und setzt sich laufend intensiv für Fragen rund um den Klimawandel und eine Transformation der Gesellschaft für ein nachhaltige Welt und ein Leben innerhalb der ökologischen Grenzen ein.

Im Herbst 2018 ist ihr Buch „Plus 2 Grad – Warum wir uns für die Rettung der Welt einwärmen sollten“ erschienen.


Quelle: Interview mit Helga Kromp-Kolb am 28.11.2019
Artikel der Redaktion

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