Die Zukunftsalchemisten Julia Buchebner und Stefan Stockinger sind überzeugt: Nachhaltigkeit kommt von innen. Es geht nicht nur darum, CO2 zu reduzieren und Ressourcen zu schonen, sondern auch um einen menschlichen Entwicklungsschritt, der sich sehen lassen kann.
Eure gemeinsame Organisation heißt ‚die Zukunftsalchemisten‘. Was hat es mit Zukunftsalchemie auf sich?
Stefan Stockinger: Die Alchemie beschäftigte sich nicht nur mit dem Herstellen von Gold. Sie beschreibt auch die Symbiose von Wissenschaft und Spiritualität. Den „Stein der Weisen“ konnte damals nur finden, wer auch sich selbst gefunden hatte. Sie hatte also eine äußere und eine innere Komponente. Für die Zukunft wünschen wir uns genau diese Verbindung von Innen und Außen, von Wissenschaft und Spiritualität, von Herz und Verstand.
Was ist Euer ‚Schatz‘ ? Wozu wollt ihr anregen?
Julia Buchebner: Alchemie ist die Kunst der Verwandlung. Mit der Zukunftsalchemie wollen wir die Verwandlung hin zu einer lebenswerten, zukunftsfähigen, fairen, achtsamen, liebevollen Welt fördern. Auf dem Weg dorthin müssen wir auch innere Komponenten, das menschliche Sein, mitnehmen. Diese innere Transformation, einen tiefen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft anzuregen, ist unser Ziel.
Wo stehen wir in Sachen Zukunftsalchemie gerade? Suchen wir noch Zutaten oder schmieden wir schon Gold?
Stefan Stockinger: Vor der Pandemie hatte ich die Hoffnung, dass ein gesellschaftlicher Durchbruch kurz bevorsteht. Fridays for Future hatte globale Probleme aufgezeigt. Achtsamkeit wurde in Unternehmen immer stärker nachgefragt. Durch die Pandemie hat sich der Fokus verschoben, was sich so anfühlt, als wären wir eine Stufe heruntergestiegen. Unlängst hat jemand zu uns gesagt: „Ihr seid 10 Jahre zu früh dran, mit dem, was ihr tut.“ Trotzdem ist es schön zu sehen, wie viele Menschen sich schon mit diesem inneren Wandel beschäftigen.
Julia Buchebner: Auf individueller Ebene ist in der Pandemiezeit schon auch eine Art „Aufwachen im Kleinen“ passiert. Man hat erlebt, was Lebensqualität wirklich ausmacht. Fragen rund um Sinnstiftung und echten Wohlstand wurden greifbar.
Ihr habt gemeinsam als Kolleg*innen und Paar das Buch ‚Innen wachsen, außen wirken‘ geschrieben. Worum geht es in Eurem Buch?
Julia Buchebner: Es geht um die innere Dimension der Nachhaltigkeit. Wir arbeiten beide seit vielen Jahren im Nachhaltigkeitsbereich und beobachten, dass der Fokus fast immer auf äußeren Faktoren liegt: technologischen Innovationen, besseren Daten und Gesetzen etc. Und das ist alles natürlich sehr wichtig.
Aus unserer Sicht wird dabei jedoch oft vergessen, dass innere Faktoren darüber entscheiden, ob wir diese äußeren Maßnahmen überhaupt mittragen. Dabei geht es um Werte, Emotionen und Weltbilder. Sie entscheiden, durch welchen Filter wir die Welt sehen und interpretieren. Und letztlich, wie wir uns darin verhalten.
Im Buch beschreiben wir, welche mentalen, emotionalen, und spirituellen Aspekte eine nachhaltige Entwicklung hemmen bzw. fördern, wo Transformation ansetzen kann und welche Möglichkeiten sich uns dadurch eröffnen.
Was hemmt Nachhaltigkeit?
Julia Buchebner: Ich glaube, ein wichtiger Grund für Nicht-Nachhaltigkeit ist, dass wir diesen inneren Zugang, die Verbindung zu uns selbst, verloren haben. Wir sind innerlich erodiert, weil es in unserer Welt nur um Äußerlichkeiten geht. Es geht darum, was ich besitze, was ich kann, wie ich aussehe. Es geht um Errungenschaften, Erfolg und Äußerlichkeiten. Die Anbindung an innere Quellen des Glücks ist verloren gegangen, als wäre dieser Zugang gekappt.
Die Suche nach Glück rein im Außen hält die ganze Konsum-Maschinerie aufrecht. Wenn ich mich innen nicht spüre, mir innerlich keinen Wert gebe und in mir dieses Glück nicht finde, kompensiere ich diese Leere im Außen.
Was auch bedeutet, dass persönliches und planetares Wohlergehen sehr schön Hand in Hand gehen können, wenn man erkennt, dass man durch die Verbindung zu sich selbst unabhängiger vom ressourcenintensiven Konsum und Verbrauch wird.
Brauchen wir diesen inneren Wandel? Oder gibt es auch eine Abkürzung zur Nachhaltigkeit?
Stefan Stockinger: Wenn gefragt wird, wozu wir die innere Dimension der Nachhaltigkeit brauchen, stelle ich oft die Gegenfrage: Angenommen wir vergessen auf diese innere Dimension. Angenommen wir schaffen es, alles im Außen so zu verändern, dass wir ‚am Papier‘ nachhaltig geworden sind, in dem wir uns nur auf CO2, Ressourcen, Technologien, Gesetze etc. konzentrieren. Ist es dann die Welt, in der wir leben wollen?
Ich glaube nicht. Nachhaltigkeit bedeutet für mich auch, dass wir einen menschlichen Entwicklungsschritt hinbekommen haben. Dass wir nach unseren authentischen Werten leben, mitfühlend sind, klarer sind mit unseren Emotionen, freier entscheiden können, unsere Potenziale leben, tiefes Lebensglück empfinden. Oder in den Worten von Otto Scharmer (Begründer der Theorie U): dass wir unser Ego-Weltbild in ein Eco-Weltbild (ökologisches Weltbild) verwandeln.
Bitte vervollständigt diesen Satz. Ich hätte nie gedacht, dass unser Buch…
Stefan Stockinger: …einen einfachen Viehbauern zum Weinen gebracht hat, weil er sich im Inhalt so sehr wiederfand. Aber es hat mich auch sehr gefreut, dass uns eine Psychotherapeutin rückmeldete, wir hätten den emotionalen Hintergrund der Nachhaltigkeit wunderbar beschrieben.
Julia, was hättest Du nie für möglich gehalten?
Julia Buchebner: Ich hätte nie gedacht, dass unser Buchtitel in unserem Leben als Paar Programm werden würde. Allein durch das gemeinsame Schreiben am Buch sind wir innerlich gewachsen, was nicht immer konfliktfrei war (lacht). Was mich abseits davon sehr gefreut hat: dass mehrere Firmenchefs unser Buch als Weihnachtsgeschenk für ihre gesamte Belegschaft gekauft haben.
Was hat Dich auf Deinem Weg inspiriert?
Julia Buchebner: Das Pioniers of Change-Netzwerk hat mich immer sehr inspiriert. Es hat mich in meinen Mit-Zwanzigern beflügelt zu erleben, dass es Menschen gibt, die diese Verbindung von innen und außen leben. Über dieses Netzwerk haben Stefan und ich uns auch kennengelernt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es diese Bewegung gibt.
Ihr seid als Zukunftsalchemisten auch praktisch unterwegs. Inwiefern?
Julia Buchebner: Damit die innere Dimension der Nachhaltigkeit nicht im Philosophischen stecken bleibt, wollen wir sie auch praktisch vermitteln – das machen wir etwa durch Workshops, Vorträge, Seminare oder unsere Change Maker Retreats. In unserem Erlebnisvortrag ‚Zurück aus 2040‘ versuchen wir unterhaltsam und hoffnungsvoll als ‚Zeitreisende‘ mutmachende Zukunftsgeschichten zu erzählen. Außerdem erarbeiten wir gemeinsam mit Organisationen ‚Skills4future‘ und trainieren transformative Zukunftskompetenzen.
Stefan Stockinger: Wenn wir dabei von „Mindsets“ sprechen, geht es uns aber um eine tiefere Ebene als nur den Verstand. Es geht um eine neue Haltung dem Leben gegenüber. Wir wollen, dass die Menschen wieder ins Spüren kommen. Nur so kann Nachhaltigkeit von innen heraus gelingen.
Im Weltgeschehen geht es aktuell drunter und drüber. Was gibt Euch im Alltag Stabilität und Zuversicht?
Julia Buchebner: Für mich ist die Frage nach dem ‚Wofür?‘ zentral, das heißt, den eigenen Daseinsgrund zu kennen. Ich bin hier, um diesen Bewusstseinswandel mitzugestalten, das Neue mit in die Welt zu bringen und die Menschen an ihre Liebe zur Welt, zum Leben zu erinnern. Wenn ich meditiere, spüre ich diese tiefe Motivation in jeder Zelle und das trägt mich über jede Durststrecke hinweg. Kein Krieg der Welt und keine negativen Nachrichten können mich davon abhalten, meine tiefere Mission zu leben. Mir persönlich gibt das unglaublich viel Kraft.
Beamen wir uns in Eure Zukunft: worauf werdet ihr nach Eurer ‚Pensionierung‘ als Zukunftsalchemisten zurückblicken?
Stefan Stockinger: Ich würde gerne auf ein Leben zurückblicken, in dem wir uns selbst treu geblieben sind. Mit unserem Buch haben wir ein gewisses Wunschbild für die Gesellschaft und auch für uns selbst entworfen. Diesem Wunsch möchte ich immer nähergekommen sein. Es wäre schön, wenn es uns durch unsere Arbeit gelungen ist, Menschen wieder stärker mit sich selbst und der Natur zu verbinden und ein neues, lebensdienliches Mindset mitzuprägen.
Heutzutage ist es für mich fast schmerzhaft zu sehen, wie negativ viele Menschen denken. Darum würde ich mir wünschen, dass wir in 25-30 Jahren in einer positiveren Welt leben, wo die Menschen das Glas wieder mehr halb voll denn halb leer sehen. Und wo wir mutig, beherzt und selbstermächtigt völlig neue Wege wagen.
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