Werner Lampert trifft… Christian Felber – Auf in die Gemeinwohl-Ökonomie

Christian Felber: Gemeinwohl-Ökonomie ist eine alternative Wirtschaftsordnung zu den großen historischen Erfahrungen Kapitalismus und Kommunismus, die versucht im Einklang mit den Werten des Lebens zu sein. Das war das Grundmotiv eines Dutzends UnternehmerInnen in Österreich. Jetzt sind wir 3 Jahre jung. Seit 6. Oktober 2010 haben sich 1400 Unternehmen aus 27 Staaten angeschlossen, 400 erstellen als Pioniere eine Gemeinwohl-Bilanz. Wir haben im deutschsprachigen Raum bereits 1000 Freiwillige, die Ihre Rollen kreativ und eigenverantwortlich selbst definieren.

Werner Lampert: Wenn man sich die Welt jetzt ansieht- Ausbeutung nimmt zu, Sklaventum nimmt zu- dann ist es ganz klar, dass ein anderes Modell kommen muss. Das ist sogar dem US-amerikanischen Präsidenten bewusst.
Ich habe mich in meiner Jugend massiv mit dem Anarchismus auseinandergesetzt, viele Ansätze sehe ich bei Ihrer Gemeinwohl-Ökonomie wieder.

Felber: Ich sehe diese Gemeinsamkeiten nur teilweise. Anarchismus lehnt Staat und Markt gemeinsam ab und möchte eine Selbstorganisation der freien Bevölkerung. An den Grundwert der Selbstbestimmung und der dadurch erlangten Freiheit glaube ich zutiefst.
Tatsächlich leben wir in nationalen Staaten, die immer weniger demokratisch sind. Daher schlagen wir einen demokratischen Prozess vor, wo mehrere Gemeinden die Grundzüge einer Wirtschaftsordnung vordefinieren und über ein Syntheseverfahren ein Wirtschaftsverfassungsteil entwickelt wird.

Lampert: In der Gemeinwohl-Ökonomie gibt es einen Punkt, wo es heißt, dass es keinen Privatbesitz an Grund und Boden geben sollte.

Felber: Das Ziel ist das Gemeinwohl, das befindet sich bereits in vielen Verfassungen. Im Unterschied dazu steht die realwirtschaftliche Praxis, welche das Geld und seine Vermehrung zum obersten Ziel hat. Das ist für mich klar verfassungswidrig. Leider gibt es bisher keine Klagemöglichkeiten.
Unter den 20 Modellbausteinen der Gemeinwohl-Ökonomie befindet sich auch die Idee, dass es kein Privateigentum an Natur geben darf. Die Natur hat uns geschaffen! Schließlich können wir auch kein Eigentum an unseren Eltern anmelden. Die Ehrfurcht vor dem Leben von Albert Schweitzer ist eine anerkannte ökologische Ethik, eine Konsequenz wäre, dass wir die Natur nicht besitzen.

Lampert: Ende der 60er Jahre ist in Bochum eine anthroposophische Bank gegründet worden, sie hat Geld nur an Bauern gegeben, wenn der Grund und Boden einer Gemeinschaft übergeben wurde. Ist das Ihr Sinn?

Felber: Was Sie ansprechen ist eine Allmende, das würde ich auf freiwillige Basis stellen. Wenn ein Bauer sein Land weiter als Familienbetrieb bewirtschaften möchte, kann er das tun. Nur dass es nicht mehr Privateigentum heißt, sondern er stattdessen ein Nutzungsrecht hat.

Lampert: Und kann er sogar an seine Kinder vererben?

Felber: Ja! Ansonst geht das Land an die Mutter Erde zurück. In jungen lateinamerikanischen Verfassungen, wie Ecuador und Bolivien, werden der Natur Verfassungsrechte zugestanden. Es wäre schön, wenn sich viele Menschen die Verfassung Ecuadors durchlesen würden.

Lampert: Das kommt natürlich aus den indigenen Traditionen.
Leider erlebe ich in der Realität das genaue Gegenteil. Ich erlebe eine Industrialisierung, kaum noch regionale Landwirtschaft. Die Bereitschaft Grund und Boden und Tiere auszubeuten, ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Wir, als Gesellschaft, sind drauf und dran zu zerstören, wovon wir leben. Da muss etwas passieren!

Felber: In der Gemeinwohlökonomie werden Nutzungsrechte nur gegen konkrete Bedürfnisse vergeben, wie Wohnen, landwirtschaftliche Nutzung etc. und die landwirtschaftliche Nutzung ist an nachhaltige Kriterien gebunden. Das wäre lediglich die Erfüllung des Verfassungsauftrages. Die Verringerung des Wertes ist verboten.
In der DDR gab es Schweine-Großbetriebe mit 50 000 Schweinen, das war natürlich furchtbar. Jetzt werden Ställe von holländischen Agrarkonzernen mit 100 000 Schweinen gebaut, mit besonders günstigen Krediten, mit Steuerförderungen und mit EU-Agrarförderungen! Das ist genau die Gegenrichtung von dem, was wir vorschlagen.
Dürfte die Bevölkerung entscheiden, wären sicher 90% gegen dieses Vorgehen.

Lampert: Sie haben Ecuador erwähnt. Da gibt es die wunderbare Verfassung und da gibt es die Realität, dass Erdöl im Naturschutzgebiet geschürft wird.

Felber: Die neue Verfassung ist noch sehr jung. Primär war es gut, dass Ecuador und Bolivien aus dem internationalen Investitionsschutz-Abkommen ICSID ausgestiegen sind. Die Macht der Konzernglobalisierung ist so stark, dass man sich da erst langsam herausarbeiten muss.

Lampert: Bei der Gestaltung des Überganges zur Gemeinwohl-Ökonomie von der egoistischen Gesellschaft, wo Gier der zentrale Motor ist, wird es immer wieder Brüche geben.

Felber: In Deutschland und Österreich gäbe es die Ressourcen für eine Verfassungsklage, hoffentlich kommt diese in Ecuador noch.

Lampert: Sie schlagen eine Gemeinwohl-Bilanz vor, was genau kann man sich darunter vorstellen?

Felber: Die Gemeinwohl-Bilanz misst, wie sehr ein Unternehmen 5 Grundwerte, die in fast allen Verfassungen vorkommen: Menschenwürde, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie, lebt. Bei jedem Produkt würde dann, mittels eines Ampelsystems für die schnelle Entscheidung beim Kauf, dargestellt, wie gut das Unternehmen abschneidet. Mittels Smartphone oder Internet gelangt man zu genauen Hintergrundinformationen.
Zusätzlich: Je besser die Gemeinwohl-Bilanz, desto größer sind die rechtlichen Vorteile von Steuern über Zölle bis Kredite. Dadurch werden die ethischen Produkte billiger als der Junk.

Lampert: Ich habe mich mit der Gemeinwohl-Ökonomie auseinandergesetzt, und mir fiel auf, dass es kein Grundeinkommen gibt.

Felber: Das braucht es auch nicht. Die Umorientierung der Unternehmen auf Gemeinwohl-Mehrung würde den Vorrang des Gebens vor dem Nehmen und dadurch Fülle bedeuten. Wie bei einem Picknick, wo alle beitragen und es immer passiert, dass zu viel Essen da ist.

Lampert: Aber 2 Gesellschaftsgruppen sind nicht im Arbeitsprozess drinnen, die von einem Grundeinkommen massiv profitieren würden: das sind AlleinerzieherInnen und alte Menschen.

Felber: Dafür gibt es folgende Lösungen: Für ältere Menschen gäbe es eine staatliche Mindestpension. Pflege sowie Erziehung von Kindern und alten Menschen wird als ein öffentliches Gut anerkannt und gut bezahlt. Wertvolle Leistungen, wie von Lehrern, Ärzten, Müttern etc. werden gut bezahlt. Die Betreuung eines Hedgefonds hingegen sollte geringer bezahlt werden, denn sie hat einen gesellschaftlich geringeren, sogar negativen Wert.

Lampert: Also Mütter werden von der Gesellschaft bezahlt, ähnlich einem Grundlohn?

Felber: Ja, dieser ist aber an eine Leistung gebunden, ein Grundeinkommen nicht! Wir schlagen aber jedes zehnte Jahr als – bezahltes – Freijahr vor, damit alle Menschen ihren Horizont weiten können.

Lampert: Eine Gruppe in unserer Gesellschaft hat sich das Gemeinwohl unter den Fingernagel gerissen und spielt da schrecklichste Spiele, das ist unser Bildungswesen. Es ist durch die Gewerkschaften ein demokratisches System!

Felber: Ich empfinde es anders. Im Bildungswesen sind die Lehrenden, Lernenden, Eltern, etc. betroffen, sie sollten auch die Gesetze machen. Derzeit bestimmen die einzig nicht Betroffenen das Bildungswesen, nämlich die Beamten im Ministerium. Nicht alle Betroffenen haben gleich viel Einfluss, somit ist es kein demokratisches System.

Lampert: Welchen zeitlichen Horizont haben wir, bis zu diesen herrlichen Zeiten?

Felber: Die Welt geht unter, egal wann wir sie retten, daher machen wir uns keinen Stress. Ich kann nicht schneller laufen, weil morgen die Welt untergeht! Ich arbeite jeden Tag für die Gemeinwohl-Bank für die Gemeinwohl-Ökonomie, aber ich lasse mich dabei nicht hetzen, ich versuche jedes Buch, jedes Gespräch, jede Tat zu genießen.

Lampert: Mich hat es sehr fasziniert! Leider werden unsere Kinder sehr stark zur Konkurrenz instruiert, und dann braucht es jahrelange Therapie damit sie sich selbst finden.

Felber: Wir wissen aus der Psychologie, dass Wettbewerb der schlechteste Weg zum Selbstwertgefühl ist, es ist eine extrinsische Motivation. Im Gegensatz dazu, wenn ich mich selbst kenne und meinem Leben einen Sinn gebe, nährt das mein Selbstwertgefühl. Dann kann ich kooperieren und der Gemeinschaft einen Beitrag leisten. Kooperation bedeutet gemeinsamen Erfolg.

Lampert: Es war wunderbar mit Ihnen! Wollen Sie nicht alle gleich mit dem Gemeinwohl beginnen?

Christian Felber ist freier Autor und Publizist und hat im Jahre 2000 ATTAC Österreich mitbegründet und aufgebaut. Er ist Mitinitiator der demokratischen Bank und der Gemeinwohl-Ökonomie – ein Wirtschaftsmodell der Zukunft – und hat dazu zuletzt 2012 ein Buch dazu verfasst. Über 1.000 Privatpersonen, Politiker, Initiativen und Unternehmen haben sich der Idee bereits angeschlossen und eine Strategie für die kommenden fünf Jahre entwickelt. Felber ist Lektor an der Wirtschaftsuniversität in Wien. Er ist ein vielgefragter Referent, Kommentator und Interviewpartner.


Bärtiger Mann mit Kürbis in der HandWerner Lampert (geboren 1946 in Vorarlberg/Österreich) zählt zu den Wegbereitern im Bereich nachhaltiger Produkte und deren Entwicklung in Europa. Der Biopionier beschäftigt sich seit den 1970er-Jahren intensiv mit biologischem Anbau. Mit Zurück zum Ursprung (HOFER), retour aux sources (ALDI SUISSE) und Ja! Natürlich entwickelte er drei der erfolgreichsten Bio-Marken im deutschen Sprachraum.
Quelle: Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Gesprächs zwischen Werner Lampert und Christian Felber im Oktober 2013.
Artikel der Redaktion

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