Vom Klimawandel über die globale Migration bis zur Erosion liberaler Demokratien und Institutionen im Westen: Viele Wegweiser zeigen in eine erschreckende Richtung. Doch die Zukunft ist nicht festgeschrieben. Für den Versuch, sie zu gestalten, braucht es beides – sowohl den nüchternen und zweifelnden Blick als auch die Leidenschaft und den Glauben, etwas bewirken zu können.
Aus Sicht des Biopioniers und Nachhaltigkeitsexperten Werner Lampert sind wir klar an einem Wendepunkt angelangt. Niemand könne heute die Folgen einer Erderwärmung von 3 bis 4 Grad abschätzen. Dazu komme, dass wir völlig neuen Lebensformen entgegengehen: „Wir werden künftig ganz andere politische Verhältnisse, soziale Bedingungen und Produktionsformen haben.“ Was unsere Gesellschaft brauche, um zukunftsfähig zu bleiben, sei Resilienz – die Fähigkeit, mit widrigen Umständen und Situationen umzugehen. Doch welche Rahmenbedingungen sind dafür erforderlich? Und welche konkreten Initiativen führen zum Ziel? Darüber diskutierten elf Vordenker aus den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften mit dem Gastgeber Werner Lampert beim zweiten Nachhaltigkeitsforum Langenlois.
Teilnehmerliste
Starke Bewegungen brauchen ein Zukunftsbild
Angesichts der erdrückenden Fakten zum Klimawandel und des Gefühls der Verzweiflung sind viele Menschen in eine Starre geraten. Um diese zu lösen, fehlt aus Sicht des Soziologen Harald Welzer und der Schriftstellerin Kathrin Röggla vor allem eines: ein Zukunftsbild. Die „Geschichten des Gelingens“ der FUTURZWEI Stiftung von Harald Welzer zeichnen dieses hervorragend. Hier werden Menschen und Projekte vorgestellt, die sich schon jetzt aktiv für eine nachhaltigere Welt einsetzen – vom Recyclingshop über die ökologische Kinder-Kleiderbörse bis zum Begegnungscafé.
Kooperationen als Boost für Resilienz
Doch wie schaffen wir den Schritt von Projekten hin zu einem Engagement auf breiter Ebene, wie schaffen wir noch mehr Menschen zu mobilisieren? Die Antwort der Ethikerin Angela Kallhoff ist: eine Anbindung von Klima- und Nachhaltigkeitsthemen an die Bedürfnisse der Leute. „Wir kooperieren dann, wenn wir ein System als fair erleben. Wir kooperieren, wenn das Ziel sinnvoll und kohärent mit unseren eigenen Zielen ist“, erklärt Kallhoff. Nur so sei der Schwenk weg von einem freiwilligen Verzicht in der Konsumgesellschaft hin zu einem neuen, nachhaltigeren Selbstverständnis eines „guten Lebens“ möglich.
Ein konkreter Ansatz dabei sei das Modell der „Joint Action“. Dabei engagieren sich unterschiedliche Menschen und Gruppen für ein gemeinsames Ziel, etwa in Bezug auf den Umgang mit natürlichen Ressourcen, wodurch Kooperationsformen gestärkt werden.
Einen solchen Zugang setzt das Urban Agriculture Netz Basel bereits seit 2010 erfolgreich in die Tat um: Unter dem Dach der lokalen, integralen Graswurzelbewegung finden sich rund 60 nachhaltige Projekte.
„Wir sehen uns als Nährboden, der verschiedenste Nachhaltigkeitsprojekte zum Wachsen bringt“, erklärt deren Mitgründer Bastiaan Frich.
Daniel Boese liefert mit der internationalen Bürgerbewegung Avaaz ein weiteres erfolgreiches Beispiel. Avaaz vernetzt Gestaltungswillige auf der ganzen Welt und will die Nachhaltigkeitsbewegung „rausholen aus dem Ghetto von Wissenschaft und Politik – und direkt hineinbringen in Auseinandersetzungen.“ Hier sei viel Kreativität gefordert, um sich immer wieder neue Aktionen und Formen auszudenken. Denn nur so ließen sich die Menschen erreichen und mobilisieren – wie damals für die größte weltweite Klima-Demo: Ende September 2014 gingen Hunderttausende in New York und an über 2.000 weiteren Orten auf die Straße. Die Fortsetzung kennen wir und 2015 vor der UN-Klimakonferenz von Paris war das Signal an die Politiker in aller Welt klar: Wir sind bereit. Jetzt seid ihr an der Reihe!
Miteinander öffentliche Güter pflegen
„Es muss ein Gefühl geben, dass man Teil eines gemeinsamen Projektes ist“, davon ist auch Welzer überzeugt. Für den Arzt und Psychosomatiker Henning Elsner ist der dabei entstehende „Wir-Sinn“ besonders wichtig: „Wir müssen uns fragen, was sind resilienzfördernde Faktoren und was stärkt unsere Kohärenz.“
Bei den Menschen muss wieder eine Beziehung zur Natur entstehen und dadurch das Bedürfnis eines gewissenhaften Umgangs mit Ressourcen. Ein wichtiger Schlüssel dafür sind Räume, in denen sich ein attraktives Lebensmodell erfahren lässt. Räume, die Menschen gemeinsam nutzen und an denen Teilhabe stattfindet – wie zum Beispiel in Gemeinschaftsgärten.
Das Verständnis für Grund und Boden ist unumgänglich, appelliert Werner Lampert, denn: „Auf dieser Erde gibt es kein Leben ohne gesunden, fruchtbaren Boden. Wasser und Biodiversität sind die Rückversicherung für unsere Zukunft“.
Charakteristisch für solche Lebensmodelle sind das Teilen und die gemeinsame Nutzung. Daraus könnte in der Folge auch ein anderes Verständnis des Wirtschaftens erwachsen: Die Ethikerin Angela Kallhoff stellt in diesem Zusammenhang die sogenannten „Gift Economy“ vor. Hier teilen Menschen Güter und Dienstleistungen miteinander, ohne eine direkte Gegenleistung zu erwarten. „Bei solchen neuen Formen des Wirtschaftens wirft die Partizipation für alle etwas ab – auf Basis klar definierter Regeln“, betont Kallhoff.
Nachhaltiger Wandel braucht neue Zugänge und klare Ziele
Die Ökologin Claudia Pahl-Wostl verweist schließlich auf einen weiteren wesentlichen Faktor für zukunftsfähige Gesellschaften: Sie brauchen Institutionen, die den Weg zur Nachhaltigkeit gestalten und steuern können. Wichtig sei, diese mit verbindlichen Zielen zu verknüpfen.
„Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag, basierend auf den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen“, fordert Pahl-Wostl.
Umsetzbar wäre das mittels einer „reflexiven Governance“, wo repräsentative Foren unter Beteiligung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen geschaffen werden. Diese würden die Fortschritte und die Einhaltung des Vertrags diskutieren und überblicken.
So unterschiedlich die Lösungsansätze und Auffassungen von Resilienz beim zweiten Nachhaltigkeitsforum in Langenlois in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen auch sein mochten, in einem waren sich alle einig:
Wir brauchen neue Visionen und ein Hoffnungsnarrativ, das Lust macht, die Zukunft wieder in die eigenen Hände zu nehmen und die Welt aktiv zu gestalten!