„Wenn Begriffe Berufe hätten, wäre Nachhaltigkeit ein Vertragsbediensteter, ein Beamter. Nachhaltigkeit, wie sie ist, ist bürokratisch“, erklärte der Journalist Wolf Lotter beim ersten Nachhaltigkeitsforum Langenlois in Niederösterreich im Herbst 2016. Kaum ein Begriff ist in den letzten Jahrzehnten so stark in Mode gekommen und gleichzeitig so in Kritik geraten. Aber wo kommt Nachhaltigkeit eigentlich her?
Hans Carl von Carlowitz als Urvater der Nachhaltigkeit
Als eigentlicher Begründer des Nachhaltigkeitsgedankens wird Hans Carl von Carlowitz gehandelt. Angesichts einer drohenden Rohstoffkrise 1713 forderte der kursächsische Beamte in seinem Werk „Sylvicultura oeconomica“, dass immer nur so viel Holz geschlagen werden sollte, wie durch planmäßige Aufforstung, Säen und Pflanzen nachwachsen könne. Durch ihn fand das Wort „nachhaltig“ Einzug in viele forstwirtschaftliche Texte. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde der Begriff in die englische und französische Sprache übersetzt.
Übersetzt: Das bedeutet nachhaltig …
In den verschiedenen Sprachen werden unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeit betont. Das zeigen folgende Beispiele: Der englische Begriff „sustainable“ bedeutet etwas aufrechterhaltend, aber ebenso auch tragfähig oder zukunftsfähig zu sein. Das deutsche „nachhaltig“ steht in erster Linie für bewahrend oder behaltend. Das französische „durable“, das italienische „duraturo“ oder das niederländische „duurzaam“ stellen hingegen stärker die Dauerhaftigkeit ins Zentrum.
Club of Rome und Hans Jonas fordern Verantwortung ein
Im 20. Jahrhundert verbreitete sich Nachhaltigkeit abseits der Forstwirtschaft. Der Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome im Jahr 1972 stieß die Auseinandersetzung mit einem verantwortungsvolleren Umgang mit der Umwelt an. Autor Dennis Meadows sprach darin erstmals von einem nachhaltigen Weltsystem: Dieses soll in sich selbst aufrechterhaltbar (sustainable) sein, um für künftige Generationen tragbar zu werden. Als weiterer Weckruf gilt das 1979 erschienene Werk „Das Prinzip Verantwortung“ von Hans Jonas. Der Philosoph formulierte darin – anknüpfend an Immanuel Kant – seine Maxime für ein zukunftsorientiertes Handeln: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“
Brundtland-Bericht als Startschuss für nachhaltige Entwicklung
Im Jahr 1987 prägte sich der Begriff „nachhaltige Entwicklung“ ein. Der nach der früheren norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland benannte Brundtland-Bericht für eine UN-Konferenz gab den Startschuss für den weltweiten Diskurs. Seine Definition gilt bis heute als wichtige Grundlage: „Sustainable development is development that meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“ Diese Definition einer generationenübergreifenden ökologischen Gerechtigkeit wurde Teil aller später vereinbarten internationalen Umweltabkommen.
Kurz erklärt: Der Brundtland-Bericht
Die 1983 von den Vereinten Nationen eingesetzte Weltkommission für Umwelt und Entwicklung beeinflusste die internationale Debatte über Entwicklungs- und Umweltpolitik maßgeblich. Die Kommission unter dem Vorsitz der ehemaligen norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland sollte langfristige Perspektiven für eine Entwicklungspolitik aufzeigen, die zugleich umweltschonend ist. In ihrem als Brundtland-Bericht bekannt gewordenen Abschlussdokument von 1987 ist das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung definiert.
Rio-Konferenz, Drei-Säulen-Modell und neue Konzepte
Ab Mitte der 1990er-Jahre entdeckten die Politik und eine breite Gesellschaftsschicht den Begriff Nachhaltigkeit für sich. Wesentlich dafür war der Weltgipfel der Vereinten Nationen 1992 in Rio de Janeiro. Er formulierte die Agenda 21 als globales Leitbild für eine nachhaltige Entwicklung. Daraus bildete sich das Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit mit Ökonomie, Ökologie und Sozialem als gleichberechtigen Elementen heraus. In der Folge entstanden weitere Konzepte wie „Cradle-to-Cradle“ mit dem Ziel einer abfallfreien Wirtschaft oder „Triple-Bottom-Line“ für die nachhaltige Entwicklung des Kerngeschäfts von Unternehmen. Aus anfänglichen Umweltberichten entwickelten sie umfangreiche Nachhaltigkeits- und CSR-Berichte nach internationalen Standards.
Nachhaltigkeit heute – Leitbegriff für die Reise in die Zukunft
Heute wird der Begriff Nachhaltigkeit für politische Interessen ebenso eingesetzt wie für Marketingziele. Vor diesem Hintergrund kritisieren etwa der Journalist Wolf Lotter oder die Literaturwissenschafterin Eva Horn, dass Nachhaltigkeit zu einem nichtssagenden „Gummiwort“ geworden sei. Andere wie der Ökonom Mathias Binswanger betonen, dass die Idee der Nachhaltigkeit nur mit einem sehr allgemeinen Begriff in allen gesellschaftlichen Bereichen kommunizierbar ist. Um Unschärfeprobleme zu umgehen, wird teilweise auf andere Bezeichnungen ausgewichen – wie Zivilisationsökologie oder Zukunftsverträglichkeit. Diese konnten sich bislang jedoch nicht durchsetzen.
Fest steht: Nachhaltigkeit bleibt ein „Navigationsbegriff für die Reise in die Zukunft“, so der Autor Ulrich Grober im Zeit-Interview. Und bis die Idee der Nachhaltigkeit tatsächlich im Denken und Handeln der Menschen verankert ist, wird es unabhängig vom Begriff wohl noch Jahre dauern.
Buchtipp: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit
Ulrich Grober: Die Entdeckung der Nachhaltigkeit. Kulturgeschichte eines Begriffs. München: Verlag Antje Kunstmann, 2. Auflage März 2013.