Wir müssen einfach auch witziger werden

Langhaariger Mann auf Podium vor Mikrofonen
©vhw

Herr Welzer, im Rahmen des von Werner Lampert initiierten Nachhaltigkeitsforums in Langenlois im Herbst 2016 haben Sie sich dafür stark gemacht, den Begriff Nachhaltigkeit fallen zu lassen. Warum?

Harald Welzer: Weil Nachhaltigkeit kein positiver Begriff ist. Die Botschaft dahinter ist ja eigentlich: Wir müssen etwas verändern, damit es bleibt, wie es ist. Und das ist unattraktiv – es ist ja schon, wie es ist. Wenn man etwas verändern will, dann braucht man ein positives Zukunftsbild. Allerdings haben wir keines. Wir müssten beispielsweise viel mehr über die Attraktion einer autofreien Stadt oder verringerter Arbeitszeiten sprechen. Eine attraktive neue Welt zeichnen. Und wenn dadurch erreicht wird, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind, weniger konsumiert wird oder weniger Emissionen entstehen, dann wird ja etwas für das Nachhaltigkeitsziel getan, obwohl vielleicht ein anderer Primärnutzen im Vordergrund steht.


Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es vermutlich eine breite Bewegung. Aber: Wie startet man diese, und wie sollte sie im Idealfall aussehen?

Welzer: Eine Bewegung existiert dann, wenn ihr Anliegen von unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen geteilt wird. Soziale Bewegungen sind nie Subkultur. Die Frauenbewegung wird zum Beispiel stark, wenn Männer sie vernünftig finden. Die Arbeiterbewegung wird stark, wenn es Kapitalisten gibt, die sie gut finden. Über einen Begriff wie Nachhaltigkeit wird man das nicht hinbekommen. Da schläft einem doch schon alles ein, wenn man das Wort überhaupt nur hört.


Was stört Sie denn so am Nachhaltigkeitsbegriff?

Welzer: Er wird für alles verwendet – nachhaltiges Wirtschaftswachstum, nachhaltige Geldanlage und so weiter. Er ist eigentlich tot, dieser Begriff. Und er hat auch nie wirklich gelebt. Es schwingt etwas völlig anderes mit, wenn ich „Nachhaltigkeit“ sage, als zum Beispiel beim Wort „Revolution“ oder „Sex“. Wir müssen einfach auch witziger werden. Eine Nachhaltigkeitsbewegung, wie immer sie dann auch heißt, darf nicht so spaßfrei sein, wie sie die letzten 30 Jahre gewesen ist. Es geht nicht um Moralität oder ein neues Mönchstum. Es geht darum, das Leben von einer anderen Seite zu betrachten und zu schauen: Was ist denn eigentlich das Gute an Sex, Drugs & Rock ’n‘ Roll? Spaß haben ist ja nichts Schlechtes.


Sie sammeln in Ihrer Stiftung FUTURZWEI positive Gegenbeispiele zur kapitalistischen Wirtschafts- und Kulturform. Gibt es Projekte, die sie besonders beeindruckt haben?

Welzer: Jede Menge. Erst kürzlich habe ich das Buch jener jungen Frau gelesen, die die „Original Unverpackt“-Supermärkte erfunden hat. Das sind Supermärkte, in denen die Waren nicht mehr verpackt werden. Milena Glimbowski ist 26 Jahre alt. Die Lektüre ihres Buches war deshalb so interessant, weil sie darin detailliert beschreibt, wie unglaublich anstrengend und welcher Wahnsinn es war, ihre Idee in die Tat umzusetzen. Andauernde finanzielle Probleme, die immer wieder auftauchende Grundsatzfrage, ob das überhaupt alles so machbar ist. Aber sie wusste eben von Anfang an, warum sie ihr Projekt umsetzen will. Weil es ihrer Meinung nach einfach besser ist, anders zu konsumieren und dementsprechend auf bestimmte Sachen zu verzichten.


Wie beurteilen Sie aus heutiger Sicht die Zukunft unserer Gesellschaft?

Welzer: (lacht) Da gibt es immer zwei Ebenen. Betrachtet man die Welt auf der abstrakten Ebene, dann wird man sagen: Um Gottes Willen, das ist ja alles fürchterlich! Es wird von Tag zu Tag schlimmer und aussichtsloser. Die andere Seite ist die eigene, persönliche Befindlichkeit. Und da müssen wir uns – verglichen mit einer Näherin in Bangladesch – ja eigentlich schämen, wenn wir sagen, unser Leben sei schlecht.


Heißt das, Sie haben Hoffnung, dass sich doch etwas bewegen lässt?

Welzer: Wenn das eigene Leben gut ist, hat man die Möglichkeit, etwas zu machen, Dinge zu verändern. Auf der persönlichen Ebene kann die Frage dann immer nur damit beantwortet werden, dass es mehr Spaß macht, Dinge zu verändern, als sie so zu lassen, wie sie sind. Und in dieser Hinsicht bin ich optimistisch. In der globalen Hinsicht bin ich pessimistisch. Aber es gibt einen schönen Satz: Es ist zu spät für Pessimismus.


Über Harald Welzer

Prof. Dr. Harald Welzer (geboren 1958 in Bissendorf bei Hannover/Deutschland) ist Sozialpsychologe und Soziologe. Welzer ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfähigkeit und Mitinitiator der „Offenen Gesellschaft“. Er lehrt an der Universität St. Gallen und an der Europa-Universität Flensburg. Er ist Herausgeber von futurzwei. Magazin für Zukunft und Politik. Harald Welzers Bücher, unter anderem „Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand“ (2014), „Die smarte Diktatur: Der Angriff auf unsere Freiheit“ (2016), wurden in 22 Sprachen übersetzt.

Quelle: Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Interviews mit Harald Welzer am 25. Juli 2017.
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