Was kann die Gastronomie dazu beitragen Lebensmittelabfälle zu verringern? Genusswirt des Jahres und Bio-Haubenkoch Jeremias Riezler im Gespräch mit ‚Nachhaltigkeit. Neu denken.‘
Eine wissenschaftliche Studie kommt zum Schluss, dass über die Hälfte der Lebensmittelabfälle in der Gastronomie vermeidbar wären. Wie würden Sie das einschätzen – ist das auch aus Sicht der Praxis machbar?
Einiges wäre sicher machbar. Aus manchen Gemüseresten, wie Kohlrabi- oder Rote Rüben-Blättern kann man zum Beispiel Spinat herstellen, nach dem Prinzip der „leaf to root“ Verwertung. Aber auch Weißkrautstrünke schmecken gut, wenn man sie weichkocht und frittiert. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man aus Lebensmitteln noch mehr herausholen kann. Das machen aber viele nicht. Weil es der bequemere Weg ist und schneller aufgeräumt ist, wenn die Reste weggeworfen werden. Wenn man es wirtschaftlich sieht, wirft jeder Gastronom damit auch Geld weg. Das eigentliche Problem ist, dass sie keinen Respekt vor den Lebensmitteln haben. Und Lebensmittel viel zu billig sind.
Bei konventionellen Produkten, z.B. bei dem gespritzten Kohlrabi möchte ich die Blätter auch nicht essen. Im Bio-Bereich ist es eine Sünde sie wegzuwerfen. Im konventionellen Bereich hingegen schält man vermutlich oft lieber großzügig wegen der Spritzmittel. Das will man ja auch nicht essen. Faktoren die in das Thema hineinspielen sind eben der konventionelle Anbau, die Kreativität und der Arbeitsaufwand.
Welchen Herausforderungen sehen Sie sich als Wirt gegenüber, wenn es darum geht in Ihrem Betrieb Lebensmittelabfälle zu vermeiden?
Natürlich muss der Gast so etwas auch erst mal essen, wenn man es auf die Karte schreibt, z.B. den Kohlrabi-Spinat, sonst bringt das nichts. Der Gast muss sich auch darauf einlassen, was der Koch ihm serviert, manchmal ein Experiment wagen. Gerade Blattgemüse ist nicht so beliebt wie Tomaten oder Gurken, die im Gegensatz dazu reißenden Absatz finden.
Beim Thema Fleisch ist es anders. Hier ist schon der Einkauf etwas teurer. Und hier werden auch die Köche viel mehr dazu getrimmt – in der Lehre oder im Beruf – ganz genau zu arbeiten, ein 200g Stück Fleisch ganz genau abzuschneiden, möglichst keine Reste zu produzieren. Aus kleinen Resten Soße zu machen etc. Aber beim Gemüse fällt mir immer wieder auf, dass gar kein Respekt vorhanden ist. Köche sollten in der Lehre und Berufsschule lernen, dass es Lebensmittel sind, und eben nicht nur Produkte. Alle reden von Produkten und Edelprodukten, aber es sind eben Lebensmittel. Tief zu verankern, dass essentiell ist, was wir auf dem Teller haben. Im Gegensatz zu so vielen Konsumgütern, die wir überhaupt nicht zum Leben brauchen. Wenn man das Lebensmittel mehr wertschätzt, geht man auch anders damit um.
Sie haben im Lauf Ihrer Koch-Laufbahn Einblicke in verschiedenste Gastronomie-Betriebe erhalten. Hat sich Ihr persönlicher Bezug zu Lebensmitteln und auch zu Lebensmittelabfällen in dieser Zeit verändert?
Die verschiedenen Stationen hatten sicher viel damit zu tun. Ich habe mal in einem Schweizer Luxushotel gearbeitet, wo unglaublich viel weggeworfen wurde. Allein das Brot und die Reste vom Buffet: das war ein Wahnsinn. Alles ist in der Biotonne gelandet. Kein Bauer hat etwas abgeholt, was nicht nur in Luxushotels immer wieder passiert. Man könnte aus altem Weißbrot Knödelbrot machen, und wenn es nur für die Verpflegung der Mitarbeiter wäre. Das ist aber mit Aufwand verbunden.
Was könnten Gastronomen dabei helfen, achtsamer und womöglich auch kreativer mit Lebensmitteln umzugehen und Verschwendung zu vermeiden?
Ein großer Faktor sind die Buffets. Wegen der Hygienevorschrift müssen die Lebensmittel in kürzester Zeit ausgewechselt und weggeworfen werden. Da wird viel vernichtet. Egal ob Schnellrestaurant oder Hotel, der Anspruch des Gasts ist es, dass die Buffets immer voll bestückt sind, vom ersten bis zum letzten Gast. Wenn nicht, gibt es Beschwerden oder schlechte Bewertungen. Mir waren Buffets immer schon ein Dorn im Auge. Daher vermeiden wir das, soweit wie möglich. Buffets alternativ mit kleinen Gefäßen zu beschicken, bräuchte natürlich mehr Arbeitskraft, die auch oft Mangelware ist.
International gibt es eine wachsende Bewegung der „nose-to-tail“ Verwertung, also der restlosen Verwertung von Tieren. Ein Trend, der aufgreift, was früher selbstverständlich war. Was braucht es, um diesen Trend auch gastronomisch wieder stärker zu beleben?
Die „nose-to-tail“ Geschichte ist ja eigentlich uralt, aber der industriellen Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Man hat angefangen, Edelteile z.B. aus Argentinien auf den europäischen Markt zu werfen. Niemand fragt danach, was mit dem Rest der Tiere passiert. Seit einiger Zeit scheint langsam aber sicher eine Kehrtwende zu kommen. Im Kleinwalsertal hat die Direktvermarktung von Fleisch in den letzten Jahrzehnten durch den Verein „Walser Buura“ wieder an Bedeutung gewonnen. Man hat wieder damit begonnen ganze Tiere z.B. Kälber an die Gastronomie zu vermarkten. Um alles zu verwerten und auch Leberkäse, Fleischleibchen oder Hackbraten zu machen, braucht man aber eine Fachkraft. Und hier gibt es bekanntlich einen Mangel. Das meiste braucht Know-How und Zeit. Vor dem Hintergrund, wird sich vermutlich die Nose-to-tail Geschichte nicht in der Breite durchsetzen. Ein großes Hotel mit 200 Betten wird schwer „nose-to-tail“ kochen können.
Bringt man in unserer Steak-Kultur klassische „Nose-to-tail“ Rezepte an Mann und Frau? Beuschel, Ochsenschwanzsuppe, Kopffleisch etc.? Wie sieht es hier nachfrageseitig aus?
Unsere „Steak-Kultur“ ist natürlich ein Problem. Wir folgen dem Trend seit 14 Jahren nicht mehr und bieten nur lokales Bio-Fleisch an. Als wir die Karten dahingehend umgestellt haben, gab es natürlich viel Gesprächsbedarf. Von Stammgästen hörte man: „Wir haben die letzten 30 Jahre immer Steak gegessen.“ Das braucht Durchhaltevermögen und Aufklärung. Bei einem Rind haben wir 3% Steakfleisch. Der Rest sind Schmorstücke, Wurstfleisch und Teile der klassischen österreichischen Rindfleischküche. Der Tafelspitz hat komischerweise ein recht gutes Image in Österreich. Generell gibt es aber großen Gesprächsbedarf. Wir haben zum Beispiel den Sonntagsbraten wiedereingeführt, und lassen Hotelgäste an diesem Tag nur zwischen diesem und einem vegetarischen Menü wählen. Mir kommt vor, dass ewige Steak und Rinderfilet-Essen erreicht schön langsam auch einen Sättigungspunkt. Es ist nicht spannend so etwas zu essen.
Abgesehen vom Fleisch, braucht es auch in der Gastronomie eine Wiederbelebung der „Restküche“?
Da gibt es eigentlich ganz viele Rezepte. Gröstl, Knödel – das ist ja nichts Anderes als Resteverwertung. In Fleischkrapfen wurden Bratenreste verarbeitet. Das ist aber vom Handwerklichen her mit mehr Aufwand verbunden. Paradoxerweise nimmt man aber oft keine wirklichen Reste her. Ich habe noch in keinem Betrieb gearbeitet, wo man Semmelwürfel für Knödel selbst aus alten Semmeln hergestellt hätte, weil es auch wieder mit Arbeit verbunden ist. In der Gastronomie gibt es nichts, das man nicht als Convenience-Produkt fertig kaufen könnte.
Hinzu kommt, dass sich die Wertigkeit der Lebensmittel im Gegensatz zur Wertigkeit der Arbeitszeit extrem verschoben hat. Früher waren Lebensmittel sehr wertvoll und die Stundenlöhne niedrig. Heute ist der Lohn sehr teuer und Lebensmittel kosten im Verhältnis nichts. Da bleibt natürlich das Lebensmittel auf der Strecke.
Wie gehen Sie in Ihrem Betrieb mit den Essenresten um?
Seit wir mit Bio-Gemüse arbeiten, hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, die Abschnitte wegzuwerfen. Es gab keinen Bauern, der das holen wollte, daher haben wir selbst Schweine angeschafft. Die sind im Sommer auf der Weide und im Winter im Stall mit Auslauf. Sie bekommen die Rüstabfälle vom Gemüse z.B. Kohlrabischalen, Blumenkohlblätter. Dafür bekomme ich wieder Speck zurück, habe eine Gaudi mit den Tieren und den Tieren geht es gut.
Wichtig im achtsamen Umgang mit Lebensmitteln ist es auch auf Saisonalität zu achten. Nehmen Sie auch diese Herausforderung ins Visier?
Wir achten sehr auf Saisonalität. Wir kaufen Obst z.B. saisonal in rauen Mengen, z.B. Erdbeeren, und bereiten daraus Fruchtmark für die spätere Verwendung. Und im Winter ist einfach Kraut und Rüben-Zeit. Das gibt es bei uns dann in allen Varianten. Aber keine Paprika, keine Tomaten und keine Gurken. Das ist ein ähnliches Spielchen, wie beim Steak. Die Leute fragen, warum es im Winter keinen Gurkensalat gibt. Und wir klären sie über saisonale Produkte auf, Rettich, Kraut, Rüben etc. Das muss man den Leuten bewusster machen. Supermärkte und generell alle Märkte machen uns das nicht leichter, weil immer alles verfügbar ist. Was es schwer macht, saisonale Schwankungen zu verstehen. Es braucht viele Gespräche. Es ist Quatsch zu Weihnachten Erdbeeren zu kaufen. Oder mit exotischen Früchten fangen wir gar nicht erst an.
Was würden sie den LeserInnen empfehlen, um beim Restaurant-Besuch, aber auch zuhause Lebensmittelabfälle zu vermeiden?
Ein Tipp ist sicher darauf los zu experimentieren. Und zu überlegen, was man mit einem Krautstrunk machen kann. In der „leaf-to-root“ Geschichte sehe ich viel Potential. Und bei Bio-Gemüse kann ja tatsächlich ganz viel mitgegessen werden, z.B. auch die äußeren Blätter von Salaten. Und wenn man das miteinrechnet, und überlegt, wieviel von den äußeren Schichten man bei konventionellem Gemüse großzügig wegschmeißt, ist ein Bio-Kopfsalat auch nicht um so viel teurer.
Rüstabfälle vom Wurzelgemüse (Karotten, Sellerie, Pastinaken, Zwiebeln) kann man aufheben, z.B. in einem Gefäß im Tiefkühler sammeln, und eine Gemüsebrühe ansetzen. Zwiebelreste kann man dünsten, pürieren und für Soßen und Suppen weiterverwenden. Dass man sich denkt, es ist immer noch ein Lebensmittel, dass ich da in Händen halte, auch wenn es ‚Rüstabfall‘ vom Gemüse ist. Voraussetzung für diese Art der Verwertung ist aber eben, dass man frisch kocht.
Es ist alles eine Frage des Respekts und der Wertschätzung. Lebensmittel sollten eigentlich Statussymbol sein. Und nicht der teure Griller, auf den viele dann Billig-Fleisch legen.
Und zum Schluss würde ich Sie gerne noch bitten, den folgenden Satz fortzuführen: wenn ich als Koch einen Wunsch für die Zukunft frei hätte, würde ich mir wünschen, dass…
…die Gesellschaft Lebensmittel wieder in den Fokus rückt und sieht, was essentiell ist für das Leben. Weil es einfach MITTEL ZUM LEBEN sind.
Über Jeremias Riezler
Jeremias Riezler ist Bio-Haubenkoch und Genusswirt des Jahres 2015/16. Gemeinsam mit seiner Frau betreibt er das Bio-Hotel Walserstuba im Kleinwalsertal, Vorarlberg. In seiner Küche wird Regionalität und Saisonalität ebenso radikal, wie wohlschmeckend umgesetzt.