Wir sitzen im Theater. Wie lange noch, weiß niemand. Gespielt wird die Weltpremiere eines chinesischen Regisseurs mit Titel „Corona“. Ein verrücktes Stück entrollt sich vor unseren Augen. Fledermäuse und Schuppentiere zischen über die Bühne. Verunsichert improvisieren Schauspieler mit Mundschutzmasken im Abstand von 2m nebeneinander her. Eine Mischung aus Ungeduld (wie lange dauert es noch?) und Neugier (gibt es womöglich doch noch so etwas wie ein Teil-Happy End?) macht sich breit. Nutzen wir die Zeit um hinzuschauen, was wir aus dieser Krise lernen können.
Was haben wir in der Vergangenheit aus Krisen gelernt?
Natürlich wäre es fahrlässig die Gefahren und Folgen der Corona-Krise kleinzureden. Was Angela Merkel dazu verleitete, sie als ‚größte Krise seit dem zweiten Weltkrieg‘ zu bezeichnen. Nimmt man dabei auch politische und ökologische Krisen mit ins Visier z.B. den Kalten Krieg oder die Klimakrise, so wirkt die Aussage irgendwie windschief. Womöglich tut uns gerade jetzt ein Blick auf die Lehren und Aha-Effekte handfester, vergangener Krisen gut.
Was lange währt, wird endlich gut
Nach dem 2. Weltkrieg schwebt fast 40 Jahre über uns bzw. unseren Eltern und Großeltern die ‚unsichtbare‘ Gefahr eines drohenden Atomkriegs durch den Kalten Krieg. 1962 spitzt sich die Lage so zu, dass es wohl nicht viel mehr als einen Knopfdruck gebraucht hätte, und die Geschichtsbücher würden heute anders aussehen (wenn es denn noch welche gäbe). Der Konflikt glimmt weiter. Im Jahr 1984 steht die Weltuntergangsuhr[1] auf 3 Minuten vor Mitternacht. Und dann erscheinen überraschend Perestrojka und Glasnost (Umgestaltung und Transparenz) auf der Bildfläche. Wir hören von irgendwo her den „Wind of change“ und spüren die Magie dieses historischen Moments[2]. Am Tag des Berliner Mauerfalls hatte nicht nur unser Klassenlehrer Tränen in den Augen, als er uns über die Geschehnisse aufklärte. Der Ostblock ist Geschichte. Im wiedervereinten Deutschland bekommen die Worte Zusammenhalt und Solidarität eine völlig neue Bedeutung.
Je tiefer die Krise, umso wahrscheinlicher der Wandel
Oder springen wir zurück in die ölkrisenreichen 70er Jahre. Das im Jahr 1972 erschienene Buch „Die Grenzen des Wachstums“ erwies sich fast als prophetisch dafür, was in den Folgejahren zum ersten Mal spürbar wurde. Dass unendliches Wachstum nicht funktioniert, und schon gar nicht, wenn dabei ‚endliche‘ Rohstoffe, wie Erdöl, Kohle und Gas, im Spiel sind. Wie bestellt folgte 1973 prompt der erste Ölpreisschock. Wegen eines Konflikts im Nahen Osten politisch verschnupft, drosselten die Ölländer damals die Fördermengen und ließen den Ölpreis durch die Decke gehen. Auch damals grübelten die Politiker darüber nach, welche Einschränkungen für die Bevölkerung zumutbar wären, um die Krise zu entschärfen. Was damals kurzfristig beschlossen wurde, erinnert an die heutige Klima-Debatte: ein österreichweites Tempolimit von 100 km/h, verpflichtende autofreie Tage und das Hinunterregeln der Raumtemperatur in Amtsräumen auf 20°C. Auch die Einführung der Energieferien[3] verdanken wir der Ölkrise (auch wenn der Energiespareffekt dadurch eine unerfüllte Hoffnung blieb).
Was lernten wir daraus? Wie stark wir am Tropf der Ölstaaten hängen. Aber das war uns eigentlich egal. Das Leben am Tropf war (und ist vielen) bequem. Ob wir weiter Auto fahren oder mit Öl heizen, wurde damals nur in der zart wachsenden Blase der Umweltschutzbewegung hinterfragt. Um einen gesellschaftlichen Kurswechsel hinsichtlich fossiler Energien einzuläuten, saß der Ölpreisschock dann doch zu wenig tief.
Hätten wir nicht jetzt gute Chancen auf ein gesellschaftliches Umdenken?
Die Tatsache, dass die Corona-Krise nur die Spitze des Krisen-Eisbergs ist, unter dem noch viel mächtigere Krisen versteckt sind (z.B. die Klimakrise), zeigt uns, dass wir aus den Krisen der Vergangenheit womöglich nicht genug gelernt haben.
Die aktuelle Krise öffnet uns besonders vehement die Augen für fragwürdige, bestehende Abhängigkeiten. Die Tatsache, dass wir lebensnotwendige Medikamente, Schutzbekleidung, einen großen Teil unserer Lebensmittel und unserer Energie importieren, erzeugt plötzlich ein mulmiges Gefühl. Ebenso wie die sozialen Ungleichheiten: Wer wird derzeit arbeitslos? Wer kann am digitalen Unterricht teilnehmen? Welche Länder trifft die Krise besonders hart?
Wir könnten aus dieser Krise eine Fülle an zukunftsweisenden Schlüssen ziehen. Wir könnten sie als „Initiation“ in eine neue, ebenso biodiverse wie menschenfreundliche Zukunft sehen. Wir könnten unsere Wirtschaft künftig auf den Prinzipien des Gemeinwohls und der Kreislaufwirtschaft, und nicht länger auf Gewinnmaximierung aufbauen. Wir könnten uns von Altlasten befreien und neu durchstarten. Die Natur macht es uns vor.
Gut, die viralen Posts zu den Delfinen in Venedig und den betrunkenen Elefanten entpuppten sich als Fake-News. Aber wir wollen, dass sich die Natur erholt. Prof. Susan Clayton[4] erklärt diesen Effekt damit: „Egal, was wir getan haben – die Menschen hoffen, dass die Natur stark genug ist, um darüber hinauszuwachsen.“
Tatsache ist: wo Schlote und Autos stillstehen, wo Flugzeuge am Boden bleiben, klart die Luft binnen weniger Tage auf, sei es in China oder Italien. Das Wasser in Venedigs Kanälen ist derzeit kristallklar. Hier in Österreich ist der Himmel historisch blau, ohne Kondensstreifen. Und der Sternenhimmel schillert prächtiger denn je.
Die alte Linde neben meinem Bürofenster, könnte mir sicher noch viele Geschichten über vergangene Krisen erzählen. Womöglich würde sie am Schluss hinzufügen: „Irgendwann ist jede Krise überstanden.“
Über die Autorin
Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).