Für Ihre Selbstversuche, die Sie amüsant und kurzweilig in Ihrem neuen Buch schildern, haben Sie sich viel Wissen angeeignet. Viel Gelesenes, Gehörtes und Gesehenes könnte einen zum Verzweifeln bringen, wie gehen Sie damit um?
Sarah Schill: Manchmal könnte man tatsächlich verzweifeln. Das hilft nur keinem weiter. Deshalb entscheide ich mich immer wieder bewusst, mich auf das zu konzentrieren, was möglich ist, auf die positiven Entwicklungen, auf Initiativen und Menschen, die etwas bewegen wollen. Wir legen den Fokus oft zu sehr auf das, was nicht geht – oder auf das, was Andere in unseren Augen falsch machen. Das macht auf die Dauer ohnmächtig und eng im Herzen. Ich versuche zu sehen, was ich selbst tun kann. Und das ist eine Menge.
Anstatt Anerkennung zu bekommen muss man sich für einen nachhaltigen Lebensstil immer wieder rechtfertigen. Warum denken Sie ist das so?
Schill: Ich denke, es greift viele Menschen in ihrer Realität an, wenn man Dinge in Frage stellt oder zu ändern versucht. Würde man das positiv bewerten, wäre die logische Konsequenz ebenfalls ein Überdenken oder gar Verändern des eigenen Handelns. Das ist unbequem, zum Teil auch beängstigend. Vermeintliche Wahrheiten und Überzeugungen geben ja auch Sicherheit. Das Ganze abzutun oder zu kritisieren schützt also auf eine Art die eigene Lebensrealität. Noch dazu gibt es eine Tradition des Belächelns sogenannter Ökos, die von Seiten der Industrie gerne auch befeuert wird. Wer nachfragt kauft im Zweifel weniger bereitwillig, was man ihm als kaufenswert anpreist. Andererseits: Einige nachhaltig lebende Menschen fordern es mit einer latent herablassenden Haltung von Überlegenheit und dem missmutig erhobenen Moral-Zeigefinger geradezu heraus, dass man sich dagegen abgrenzt. Je positiver und undogmatischer ein solcher Lebensstil daher kommt, je mehr ich zeige, was daran schön und bereichernd ist, desto weniger Rechtfertigung ist nötig.
Was sagen Sie den Veganern dieser Welt?
Schill: „Die“ Veganer gibt es ja ebenso wenig wie „die“ Fleischesser. Aber ich denke, es macht Sinn, neben Tierschutz und besonders neben dem Streben nach dem perfekten, ewig jungen Körper eine Runde weiter zu denken. Vegan leben und sich ausschließlich von importierten Südfrüchten und „Superfoods“ oder von hochenergetisch produzierten, in Plastik eingeschweißten Fleischersatzprodukten zu ernähren, halte ich für ähnlich bedenklich wie das gedankenlose Essen tierischer Produkte.
Welche Dokumentation muss man gesehen haben?
Schill: Puh. Es gibt so viele gute und wichtige Dokumentationen. Für mich augenöffnend waren u.a.:
- Taste the waste
- Plastic Planet
- The Future of Food
- More than honey
- Food Inc.
- Monsanto – mit Gift und Genen
- Earthlings
- Blood in the mobile
- …und viele mehr…
Welches Projekt hat Sie am meisten fasziniert?
Schill: Es gibt so viele, so unterschiedliche Projekte, jedes für sich spannend und inspirierend. Am meisten begeistern mich Projekte, die über die konkrete „kleine“ Lebenswelt hinaus sehen: Valentin Thurns „Foodsharing“-Initiative ist für mich ein solches Projekt, weil sie der Idee des permanenten Wachstums etwas entgegensetzt. Wachstum hier bei uns bedeutet ja, dass wir unseren Wohlstand auf Kosten der Armen dieser Welt leben. Immer mehr Bioprodukte zu kaufen, immer neue „faire“ Mode zu produzieren… wird an der Ressourcenknappheit und damit an dem System an sich nicht grundlegend etwas verändern. Umwelt- und Tierschutz sind natürlich wichtige Themen – aber es gibt Menschen, die verhungern, die in Kriegsgebieten leben und zu uns als Flüchtlinge kommen. Projekte die diese Realität auf eine Art mitdenken und deshalb ein grundsätzliches Umdenken anstreben, begeistern mich wirklich.
Bei Ihren Versuchen erlebten Sie bei Bekannten etc. durch die andere Lebensweise Isolation und Separation. Wie geht es Ihnen nach den Selbstversuchen nun damit? Hat sich dies nach einer Umstellungsphase gelegt?
Schill: In den meisten Fällen: Ja. Fast alle meiner Freunde sind interessiert an meinen Gedanken oder Erkenntnissen und wir diskutieren viel darüber. Bei manchen Freunden oder Bekannten spare ich mir das Thema, denn ich weiß, dass es zu nichts führt. Und natürlich kommen auch neue Leute dazu. Insgesamt also deutlich mehr Bereicherung denn Verlust.
Es gibt Filme, Zeitungsartikel, Erfahrungen, Bücher, die einen stetig an die Wichtigkeit des Handelns erinnern. Wie motivieren Sie sich, oder wie verhindern Sie, dass Sie inkonsequent werden?
Schill: Die größte Motivation ist auch bei mir selbst das gute Gefühl: Regionales, saisonales Obst und Gemüse beispielsweise schmeckt besser, tut mir gut und steigert ein Gefühl der Vorfreude auf die Jahreszeiten. Abgesehen davon versuche ich, bewusst zu bleiben. Manchmal bin ich inkonsequent – aber dann weiß ich inzwischen zumindest, was ich tue. Und natürlich hilft es, sich in Gesprächen, mit Büchern und Filmen immer weiter auseinanderzusetzen. Wenn die Themen und auch die Menschen die sich damit befassen, Teil des Alltags werden, geschieht das ohnehin zu großen Teilen ganz natürlich.
Sie zitieren Ihren Mann so schön „Was bringt ein Selbstversuch, wenn er nicht die Möglichkeit des Scheiterns in sich trägt?“ Haben Sie nach den Selbstversuchen „1 Monat vegan“, „1 Monat ohne Plastik“ und „Aktiv werden“ noch andere Versuche unternommen?
Schill: Es gibt viele Dinge, die ich ausprobiere, momentan nicht so klar definiert wie die genannten Versuche vielleicht, aber deutlich davon inspiriert. Bei einer – noch recht vagen – Idee geht es um eine gemeinschaftliche Aktion zum Thema Konsumverzicht. Außerdem denke ich auch an ein paar anderen Themen herum. Das ist aber alles noch zu unkonkret, um darüber zu sprechen. Insgesamt versuche ich, immer ehrlicher und mutiger zu leben, was unterschiedliche Aspekte betrifft. Mir selbst nichts vorzumachen und mich meinen Ängsten oder dem eigenen Unwillen zum unbequemen Denken und Handeln zu stellen ist ein recht langwieriger Selbstversuch mit vielen Rückschlägen. Aber es lohnt sich.
Was kann oder muss jeder Mensch ändern?
Schill: Ich hab so meine Probleme mit Handlungsmaximen. Menschen leben in unterschiedlichen Situationen und Zwängen, weshalb ich nur bei mir und meiner konkreten Lebensrealität anfangen kann.
Grundsätzlich beginnt für mich alles mit Verantwortung: Eine Gemeinschaft, in der die Menschen Verantwortung für einander, vor allem aber für das eigene Denken und Handeln übernehmen, in der es nicht darum geht, anderen die Schuld an der eigenen Misere zuzuschieben oder die eigene Zufriedenheit von anderen abhängig zu machen. Das hat viel mit einer Mündigkeit der Bürger, also einer gewissen sozialen, emotionalen und intellektuellen Bildung zu tun. Natürlich auch mit einem gewissen Maß an Wohlstand, einem funktionierenden Gesundheitssystem und genug zu Essen. Gerade weil wir diese Voraussetzungen haben, sollten wir etwas tun.
Uns wurden so tolle Herzen und Hirne geschenkt – nutzen wir sie doch.
Sarah Schill studierte zunächst Filmproduktion in Berlin und arbeitete für unterschiedliche Projekte im Bereich Spiel- und Dokumentarfilm, bis sie sich 2006 entschied, sich fortan dem Schreiben zu widmen. Seitdem arbeitet sie als Drehbuchautorin für Kino und TV, sowie als Lektorin und Fernsehjournalistin. Aus dem Wunsch heraus, bestimmte Missstände genauer zu verstehen und etwas daran zu ändern, unternahm sie verschiedene persönliche Selbstversuche zum Thema Nachhaltigkeit. Daraus entstand das Sachbuch „Anständig leben“, das im Frühjahr 2014 beim SüdWest Verlag erschienen ist. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Sohn in München und Berlin.
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