Infrastruktur-Offensive
für die Artenvielfalt

Hochhaus mit Fassadenbegrünung und Wasserfall

Alles begann bei einem Spaziergang im Wiener Augarten… die Recherche für diesen Beitrag zumindest. In diesem historischen Stadtgarten, der ursprünglich eine artenreiche Auenlandschaft war, kann man in die Welt der Biodiversität eintauchen. Ein QR-Code führt zu kurzen Audiobeiträgen, die Wissenswertes vermitteln. Ich bin dabei auf einen wichtigen Aspekt beim Artenschutz gestoßen, der mir neu war:

Wir brauchen Infrastruktur für unsere Natur!

Infrastruktur? Gut ausgebaute, sichere Straßen, Krankenhäuser und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe, guter Handy- und Internetempfang? Nein, „grüne“ Infrastruktur! Also Windkraftanlagen und öffentliche Verkehrsanbindung? Auch nicht. Zusammenhängende Naturlandschaften und Ökosysteme, in denen Tiere und Pflanzen wandern, sich verbreiten und ihre symbiotischen Beziehungen pflegen können!

Stell dir vor, vor deiner Haustüre wäre eine endlos weite Betonwüste, wo du theoretisch gehen kannst, aber es viel zu heiß und zu weit ist, um lebendig zum nächsten Supermarkt zu kommen. Aber du musst unbedingt weg, denn in deinem Haus lässt sich die Heizung nicht mehr abdrehen. Es wird unerträglich heiß. Der Wasserhahn versiegt und das Essen im Kühlschrank geht dir aus. Ungefähr so geht es derzeit unzähligen Pflanzen und Tieren.

Die Klimaerwärmung und die Vernichtung von Lebensräumen – die zwei Hauptgründe für das aktuell drastische Artensterben – drängt viele Arten dazu ihren Standort zu verlassen und in kühlere Gebiete zu wandern. In den letzten 50 Jahren ging die Hälfte aller Naturräume verloren.

Naturnetz statt Straßennetz

„Der Biodiversität ist am meisten geholfen, wenn sie Lebensräume hat … und diese miteinander verbunden sind“, erklärt Zoologe und Biodiversitätsforscher Christian Raffetseder in einem Audiobeitrag im Augarten. Eben der könnte zukünftig ein kleiner, aber wichtiger Punkt in einem den Planeten umspannenden „Global Safety Net“ werden – einem globalen Auffangnetz für Biodiversität. So wie einVerkehrsnetz Siedlungsräume verbindet, bestünde dieses Netzwerk aus Naturschutzgebieten und nachhaltig genutzten Ökosystemen, verbunden durch „Naturstraßen“ (Science).

So wie auch wir Menschen auf gute Infrastruktur angewiesen sind, um unseren Alltag meistern zu können, brauchen auch Tiere und Pflanzen „grüne“ Infrastruktur für ihren Fortbestand.

Das Prinzip ist einfach:

  1. Je mehr Natur, desto besser!
  2. Verfügbare Baumaterialen … Alles was die Natur hergibt!
  3. Platz, an dem Lebewesen ungestört, auch mit Menschen, leben können!

Die Faustregel für den Lebensraum Stadt: weniger englischer Rasen, mehr Wildnis!

Hecken, Blühwiesen, alte Bäume, Hausbegrünung, „atmungsaktive“, wasserdurchlässige Pflaster statt Asphaltflächen. Regenwasser könnte so die Grundwasserreserven auffüllen anstatt abzulaufen (GrünStadtKlima).

Ersetzt man Straßeninfrastruktur durch Grünkorridore könnte eine Augarten-Wildnis mit dem Prater oder der Donauinsel verbunden werden – viele kleine und große Naturbrücken, über die Insekten, Tiere und Pflanzen von einem Naturlebensraum zum anderen wandern können.

Städte sind zwar keine Natur-Ballungszentren wie große Naturschutzgebiete, jedoch ein wichtiger Bestandteil grüner Netzwerke. Zahlreiche Arten haben sich an die vielfältigen Stadtlebensräume exzellent angepasst (Umweltdachverband Vielfalt Entdecken):

Der Mauersegler fühlt sich in Gebäudenischen genauso wohl wie an Felswänden. Die Stadtamsel ist stressresistenter gegenüber hektischem Treiben als ihre Artgenossin im Wald und hat sogar ihren Verdauungstrakt auf das exotische Nahrungsangebot in der Stadt umgestellt. Gefährdete Arten finden oft leichter Lebensraum in Stadtgärten als auf landwirtschaftlichen Flächen: Knabenkraut, Schneeglöckchen, Igel oder Schmetterlingsarten wie der Segelfalter.

Urbaner Raum hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt. Stadtökosysteme nehmen also eine wichtige Rolle ein, wenn es um den Erhalt der Arten geht. (IPBES).

Pflanzen – Dienstleister und Klimaretterinnen

Wusstest du, dass der Augarten mit exzellenten Klimaanlagen ausgestattet ist? In einem der Audiobeiträge werde ich aufgefordert die Kühlwirkung von Bäumen zu fühlen, indem ich bewusst den Wärmeunterschied zwischen einem Sonnenplatzerl und einem Schattenplatzerl wahrnehmen soll. An heißen Sommertagen können Bäume die Temperatur im Schattenbereich um 11 bis 25 Grad Celsius verringern. An den Blättern des Baums verdunstet Wasser, das die Umgebungswärme aufnimmt und die Luft abkühlt, erklärt mir die Stimme in meinen Kopfhörern. Haus- und Dachbegrünung haben ähnliche kühlende Effekte. Biomasse fungiert außerdem als wichtiger CO2-Speicher (Science). Grüne Infrastruktur ist also extrem relevant für die Eindämmung und Anpassung an die Erderhitzung (CCCA).

Wie sieht nun eine Stadt aus, die Teil des Global Safety Networks ist?

Mach doch mal einen virtuellen Städtetrip und sieh dir berühmte Plätze an, die sich in Animationen des Visual Desingers Jan Kamensky rasch zu Grünoasen verwandeln: Visual Utopias!

Lino Zeddies, Autor von Utopia 2048 entführt in seinen Büchern in grüne Stadtdschungel: Zeitreise ins Jahr 2048

Lies die spannende Geschichte über den 100-Jährigen, der vor über 60 Jahren Barcelonas ersten Dachgarten kreierte, auf dem über 40 Obstbäume gedeihen: The Guardian – The centenarian who built Barcelona’s first roof garden

Jede*r kann an diesem Infrastrukturnetz für die Natur mitbauen. Beginne mit einem Blick aus deinem Wohnungsfenster: Wo könnte in deiner Wohnstraße oder dem Innenhof Beton durch Grünes ersetzt werden? Gibt es Platz für Fassadenbegrünung, die in manchen Städten sogar finanziell unterstützt wird (z.B. in Wien)? Setze dich in deiner Gemeinde dafür ein, dass Biodiversität und Stadtbegrünung im Öffentlichen Raum forciert werden. Hast du einen Garten oder Balkon, befülle ihn mit Pflanzen oder überlasse einen Teil völlig der Natur. Naturnahes Gärtnern macht übrigens auch weniger Arbeit (NDR)! Oder du beginnst wie ich bei einem Spaziergang im Park…


Johanna Lehner
Johanna Lehner

Johanna Lehner, BSc, ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken.“ und seit 2020 Podcasterin beim Wissenschaftspodcast 5MinutenClimateChance.

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