Natalie Driemeyer ist Dramaturgin am Hans-Otto-Theater in Potsdam. Ihr großes Faible: das Klimathema. Sie verschaffte dem Klimawandel deshalb nicht nur mit eigenen Produktionen eine Bühne, sondern kürte es auch zum Überthema diverser Festivals. Und: zum Motto ihrer „Welt-Klima-Theater-Recherche“-Reise
Das Klimathema war bis vor Kurzem nicht wirklich ein Publikumsmagnet. Ihnen war es als Dramaturgin trotzdem immer schon wichtig. Wie kam es dazu?
Auch wenn ich in meiner Jugend schon früh ‚alleine‘ aktiv und z.B. mit 12 Vegetarierin wurde, fehlte mir so etwas wie „Fridays for future“. Daher ergab es der Zufall, dass mein ehemaliger Arbeitsplatz, das Stadttheater Bremerhaven direkt neben dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung lag. Als Ilija Trojanow mich dort im Theater besuchte (und mir von seinem neuen Klima-Roman EisTau berichtete), kam schnell die Idee auf, Wissenschaftler*innen des Alfred-Wegener-Institutes auch auf die Bühne zu stellen.
Nach der Dramatisierung und Inszenierung von EisTau folgte das Festival „Odyssee: Klima“. Neben Theaterstücken wurden Filme gezeigt oder in einem ‚Klima-Parcours‘ verschiedene Klima-Orte der Stadt einbezogen, z.B. der Produktionsstandort für Eis für die Fischindustrie, der Flughafen oder ein Trainingscenter der Off-Shore Wind-Industrie. Die Tafel hat Lebensmittelreste von Supermärkten für die Besucher*innen verkocht. Es war eine Mischung aus Sinnlichem, Intellektuellem, Kinderprogramm etc. Dieses lokale Ereignis weckte in mir die Neugierde, wie es auf anderen Bühnen der Welt aussieht.
Wodurch Sie dann zu ihrer ‚Welt-Klima-Theater-Recherche‘-Reise durch Südostasien und Südamerika aufgebrochen sind. In welcher Form ist Ihnen das Klimathema dort auf den Bühnen begegnet?
Einige Theaterleute sagten mir oft mit einer gewissen Arroganz: „Das Klimathema interessiert nur Dich. International ist das überhaupt kein Thema.“ Es hat sich aber herausgestellt, dass es in Ländern, die von den Folgen schon sehr stark betroffen sind, eines der Hauptthemen auf der Bühne ist.
Welche „dramaturgischen“ Erfahrungen haben Sie von dieser Reise mitgenommen?
Meine Reise begann mit dem ‚Climate Arts Festival‘ in Yogyakarta; Java. In diesem Rahmen habe ich gemeinsam mit anderen Künstler*innen einen ‚Climate Walk‘ veranstaltet. Mit Bürger*innen, Menschen aus der Street Art Szene und Künstler*innen haben wir Wassergedichte entlang von Abwasserkanälen aufgesprayt oder Gesänge inszeniert, die früher beim Reisstampfen gesungen wurden. Ein Schamane führte ein Ritual für die Erde durch. Das ist das Tolle an Indonesien: das Spirituelle kann neben dem Wissenschaftlichen stehen.
Im gleichen Projekt wurde ein vermüllter Platz gesäubert und mit Bambusmaterialien künstlerisch in einen Ort rückverwandelt, an dem sich Menschen treffen können. Wichtig bei allen Aktionen war, dass sie in einem gleichberechtigten Miteinander stattfanden.
Haben Sie Orte besucht, wo Theaterschaffende mit der Realität des Klimawandels besonders schonungslos konfrontiert waren?
Die indonesische Insel Pulau Panggang, eine der „tausend“ Inseln vor Jakarta, galt früher als „reich“ und ist eine der dicht besiedeltsten Orte der Welt. Alles, was es zum Leben brauchte – Fische, Trinkwasser etc. – war mühelos verfügbar. Durch den Meeresspiegelanstieg versalzen jetzt Böden und Trinkwasser. In der Lagune sind plötzlich keine Fische mehr, wodurch man zum Fischen tagelang aufs Meer hinausfahren muss. Auch Wasser muss von weit her besorgt werden.
Für das Theater hatte man keine Zeit mehr. Viele junge Inselbewohner*innen stehen vor der Herausforderung auf der Insel zu bleiben, oder sich auf prekäres Leben in der Hauptstadt Jakarta einzulassen.
Die Gruppe ‚Lab Theater Ciputat‘ wollte daher das Theater zurückbringen, und politische Aufmerksamkeit auf die Insel lenken. Ein Festival thematisierte unter anderem den klimabedingten Untergang der Hauptstadt Jakarta, wo bereits überlegt wird sie zu verlegen.
Kann das Theater für Menschen, die in solchen existenziellen Umbruchssituationen stecken, eine Rolle spielen?
Ich habe auf meiner Reise auch die Philippinen besucht, wo kurz zuvor der Taifun Haiyan gewütet hatte. Ich begleitete Traumapsycholog*innen, die Menschen, welche alles verloren hatten, mit den Mitteln des Theatralen helfen wieder in Bewegung, in das Körperliche zu kommen. Die Geschichten dieser Menschen wurden von einer anderen Theatergruppe auch als Theaterstück auf die Bühne gebracht.
Im Vergleich dazu stehen wir hier in Mitteleuropa ja (noch) an einem ganz anderen Punkt der Auseinandersetzung mit dem Klimathema?
Ich habe das Gefühl, dass Corona und auch Fridays for Future hier etwas verändert haben. Plötzlich merkten auch andere Theaterleute, dass sie sich mit dem Thema auseinandersetzen sollten. Greta & Co schafften in kürzester Zeit, wofür viele Leute schon lange gearbeitet hatten.
Durch Corona ist etwas wie ein Weltzusammenhangs-Gefühl entstanden, eine Sensibilität, dass wir nicht unverletzbar sind. Ich bin Teil dieser Natur. Es kann sein, dass ich mein Leben oder meine Liebsten verliere. Und dadurch gibt es ein verbindendes Gefühl, zu den Menschen, die existenziell wirklich gefährdet sind, aufgrund der vom Menschen hervorgerufenen Katastrophen.
Hierzulande gibt es im kulturellen Bereich eine oft sehr düstere und dystopische Auseinandersetzung mit dem Klimathema. Gibt eine hoffnungsvollere Auseinandersetzung mit unserer Zukunft dramaturgisch zu wenig her?
Wir haben lustigerweise vor wenigen Tagen auf einer Konferenz Menschen aus der Theaterszene gefragt, an welche Themen sie als erstes denken, wenn sie an den Klimawandel denken. Es kamen nur negative. Deswegen haben die Leute oft keine Lust mehr sich damit auseinanderzusetzen.
Die Leute in Deutschland trauen sich das Utopische noch nicht so zu, wobei gerade das Theater der Ort für Fantasie wäre. Für das, was möglich sein könnte. Im Gegensatz zur Politik muss es auf der Bühne nicht gleich heißen: „Das ist nicht realisierbar, das ist nicht möglich.“ Wie schön ist das denn: ein Ort, an dem man alles mal frei denken kann.
Es gibt einen Autor, Thomas Köck, der Stücke schreibt, die einen im positiven Sinn überfordern. Bei dem im Nachhinein noch so viel passiert, nochmal Sätze nachklingen, einem Verbindungen bewusst werden. Das wünsche ich mir: dass die Auseinandersetzung mit solchen Themen nicht ‚klein‘ im zwischenmenschlichen hängen bleibt, sondern Themen größer und überbordender erzählt werden.
Ist es auch emotionale „Übersetzungsarbeit“, die das Theater an dieser Schnittstelle zu leisten hat?
Die Wissenschaft hat alles gesagt, was wir wissen müssen. Jetzt brauchen wir andere Mittel, um das Thema zu vermitteln. Ich wurde gebeten ein Programm für eine politisch-wissenschaftlich besetzte, internationale Konferenz zu machen, für Vertreter*innen der Länder, die das Klimaabkommen in Paris unterschrieben haben. Wir wollten niemanden extra einfliegen und haben mit internationalen Künstler*innen zusammengearbeitet, die zum Zeitpunkt der Konferenz ohnehin in Berlin waren. Wir haben mit verschiedenen theatralen Mitteln Geschichten erzählt.
Eine Teilnehmerin sagte zu mir im Nachhinein, wir hätten den Faktor Mensch in die Konferenz zurückgebracht und sie daran erinnert, wofür sie dies alles machen, jenseits der Zahlen und Fakten.
Gibt es nach wie vor Gegenwind gegenüber ihrer Art des ‚politischen‘ Theaters?
Ich stehe für ein Theater ein, das eine Position vertritt. Das sind unter anderem Gender-, Nachhaltigkeits- und Klimathemen. Ohne Position hat Theater für mich keinen Sinn. Wenn mir dafür Moralismus vorgeworfen wird, stehe ich dafür ein.
Sie haben 2020 eine „offene Arbeitsgruppe für Theaterschaffende, Aktivist*innen, Bürger*innen und Wissenschaftler*innen“ gegründet. Wie ist die Arbeit in dieser Gruppe angelaufen?
Für mich ist das wichtigste, Vernetzung und Solidaritäten zu schaffen. Der Zuspruch ist groß. Ich hatte nur Menschen angeschrieben, mit denen ich direkt Kontakt habe. Und trotzdem waren es 50 Anmeldungen.
Es kamen Kolleg*innen, Zuschauer*innen, Schauspieler*innen, Bühnentechniker*innen, Leute von Fridays for Future, Klimawissenschaftler*innen, Lehrer*innen und viele andere.
Zuvor haben Leute immer bei mir angerufen, um andere Leute zu finden. In der Arbeitsgruppe findet jetzt Vernetzung statt, woraus auch erste Kooperationen entstehen.
Ein Zeichen für eine breitere Bewusstseinsänderung?
Es hat sich wirklich etwas geändert. Bei vielen Leuten ist in verschiedenen Lebensbereichen ein Bewusstsein da. Es hat sich in der Gesellschaft so etwas wie eine Scham entwickelt, wenn etwas sehr verschwenderisch verwendet wird.
Mein Gefühl ist, dass man Nachhaltigkeit im Alltag zur Normalität werden lassen muss. Früher war es undenkbar, dass nicht geraucht wird im Restaurant. Und heute ist es Normalität. Wenn der Druck von unten kommt, werden politische Entscheidungen getroffen und bestimmte Änderungen Realität.
Im Theater wäre es auch schön dahin zu kommen, dass für internationale Künstler*innen gleichzeitig mehrere Termine in Europa koordiniert werden. Dass ein Mehrwert und Bewusstsein dafür entsteht, dass es nicht normal ist ständig hin und her zu fliegen.
Ich bin aber auch eine absolute Gegnerin davon, den internationalen Austausch zu stoppen. Das ist das, was Solidarität schafft und bedingt, dass sich Kulturen vernetzen können. Ich bin keine Vertreterin des Überhaupt-Nicht-Fliegens. Aber ich finde es notwendig, internationale Aufenthalte als großen Wert zu sehen, weg von der Jetsetter-Kultur, hin zu einem intensiven Austausch.
Wenn wir in 10 Jahren auf die Weichenstellungen in Richtung Nachhaltigkeit zurückblicken: welche Rolle könnten Theaterschaffende gespielt haben?
Momentan ist das, was in der Theaterszene passiert, eher überleben. Aber sobald man sich wirklich wieder real treffen kann, kommt das Theater zu dem zurück, was es an Qualität und Kraft hat:
Ein Ort zu sein, an dem Menschen wieder zusammenkommen und sich über ihre Themen austauschen können, wo Gemeinschaftsgefühl erlebbar und gefeiert wird und – so hoffe ich – Utopien für ein weiteres Zusammenleben definiert werden.
Letzten Sommer waren temporär Veranstaltungen möglich. Die Leute haben uns die Bude eingerannt. Man merkt: der Wunsch ist so groß. Die Gesellschaft kann nicht auf Kunst und Kultur verzichten. Sie ist das, was Gemeinschaftsgefühl lebenswert macht.
Über Natalie Driemeyer
Natalie Driemeyer setzt sich in ihrer Arbeit als Schauspieldramaturgin, Festivalleiterin und Kuratorin intensiv mit dem Thema Klimawandel auseinander, u.a. in der Reihe „Klima-Sichten“ (Bremen) oder im Rahmen des Festivals „Odysee: Klima“ (Bremerhaven). Sie widmete dem Thema auch eine „Welt-Klima-Theater-Recherche-Reise“ durch Südostasien und Südamerika (2013/2014), um zu untersuchen, wie Theaterschaffende weltweit den anthropogenen Klimawandel in ihren Produktionen erarbeiten. Regelmäßig arbeitet sie in ihren Produktionen auch mit Wissenschaftler*innen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung zusammen.