Vor gut 20 Jahren wurde die Ausstrahlung der österreichischen Kultsendung „Wer will mich?“ eingestellt. Damals ging es um die Weitervermittlung von Tieren ohne Zuhause. Bräuchten wir heute ein ähnliches Format für übrig gebliebene Lebensmittel?
Mit Beharrlichkeit und Mitgefühl hat Edith Klinger damals auch einäugige Katzengreisen an Mann und Frau gebracht. Eine ähnliche Ikone würde man sich heute für Lebensmittel wünschen: „Diese armen Sellerieknollen sind nicht mehr die Allerjüngsten und haben schon bessere Zeiten erlebt. Trotzdem haben sie ein gutes Zuhause verdient. Geben Sie ihnen die Chance doch noch im Kochtopf zu landen!“
Natürlich kann ein Problem von der Größenordnung der Lebensmittelverschwendung nicht von einer Person allein gelöst werden (siehe Artikel Wissenswertes). Werfen wir einen Blick in die Reihen der immer zahlreicher werdenden Retterinnen und Retter, die sich genau dieser Mission verschrieben haben: Lebensmitteln eine zweite Chance zu verschaffen.
Offensichtlich ranken sich alle Lösungsansätze zum Thema Lebensmittelverschwendung um eine der folgenden drei Herausforderungen:
1. (Viel) gründlicher ernten
Die Rettung von Lebensmitteln beginnt schon am Acker. Heute wird teilweise fast ein Drittel des angebauten Gemüses am Feld zurückgelassen (z.B. Karotten). Gründlicher zu ernten ist ein Gebot der Stunde. Schließlich steckt jede Menge Energie im Anbau dieser Lebensmittel.
Einige Initiativen nehmen daher die Verwertung von Ernteresten ins Visier. In Frankreich ist das Recht auf die „Nachernte“ (franz. glanage) sogar seit dem Mittelalter gesetzlich verankert und lebt aktuell wieder auf. In England wurde dafür ein eigenes Netzwerk – the gleaning network – ins Leben gerufen, um einen Austausch zwischen Landwirten und Nacherntern zu schaffen. 561 Tonnen Lebensmittel konnten so bereits gerettet werden.
Aber auch in Österreich nehmen sich Menschen dieses Themas an. Das Start-Up „Unverschwendet“ bringt nicht verkäufliches oder nicht geerntetes Obst und Gemüse – haltbar gemacht – im zweiten Anlauf unters Volk.
2. Essen und essen lassen (was geht)
Abseits der Äcker nehmen etliche Plattformen und Initiativen auch Handelsketten, Gastronomie und Privatkunden Essen ins Visier ihrer Rettungsaktionen. Ein Schwergewicht der Lebensmittel-Rettung sind unumstritten die Tafeln in Österreich. Nach Angabe des Verbandes der österreichischen Tafeln, werden allein hier jährlich ca. 5.500 Tonnen Lebensmittel an armutsbetroffene Menschen weitergegeben.
Hinter so mancher Rettungsaktionen verbirgt sich aber auch ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell. Das in Deutschland etablierte und mittlerweile auch in Österreich angekommene Start-Up „Too good to go“ schlägt dabei drei Fliegen mit einer Klatsche: die zugehörige App hilft Betrieben dabei Abnehmer für Speisen zu finden, die sonst zu Abfällen würden. Köstliches Essen verpackt in „Überraschungssackerln“ kann von Kunden zu günstigen Preisen abgeholt werden. Was auch Klima und Umwelt zu Gute kommt.
Seinen privaten Kühlschrank kann man seit acht Jahren online teilen und Abnehmer für übrig Gebliebenes oder zu viel Gekauftes finden. Die Plattform „foodsharing“ hat im deutschsprachigen Raum aktuell über 200.000 NutzerInnen.
In den eigenen vier Wänden kommt es aber auch ganz wesentlich auf unser Lebensmittel-Retter-Know-How an. Darauf, wie es um unsere Reste-Verwertungskünste, unsere Koch-Kreativität und unseren Haltbar-Machen-Erfahrungsschatz bestellt ist. Um Konsumenten zu einem ‚restlos glücklichen‘ Lebensmittelkonsum zu motivieren, bietet beispielsweise das gleichnamige deutsche Unternehmen (auch online) Kochkurse an, die sich voll und ganz dem Vermeiden von Lebensmittelabfällen widmen.
Auch Restekochbücher erobern sich immer mehr Platz im Kulinarik-Eck der Buchhandlungen. Online findet man immer mehr Rezepte, die mit teilweise irrwitzigen Ideen der restlosen Verwertung von Lebensmitteln aufwarten, z.B. Geschnetzeltes / Brot / Essig aus Bananenschalen . Diese Idee der ‚Leaf-to-root‘ Rezepte ist dabei, sich in eine Bewegung auszuwachsen, die es sich zum Ziel setzt auch noch den kleinsten Schnipsel Schale einer schmackhaften Verwendung zuzuführen: zum Beispiel in Form von Miso-Gemüse-Brühe aus Abschnitten und Schalen, Gewürz-Püree aus Kürbisblättern oder Kohlrabiblatt-Chips.
3. (Nicht vermeidbare) Reste zurück in den Kreislauf bringen
All diese Rettungsversuche sind enorm wichtig und können in Sachen Welternährung, Klima und Umwelt viel Positives in Bewegung setzen. Wo Rettungsversuche nicht rechtzeitig greifen und Lebensmittel den Zenit der hygienisch-unbedenklichen Genießbarkeit überschreiten – sollte ein Rettungsgedanke der anderen Art einsetzen: rot in peace. Und damit ist natürlich nicht das unwürdige Dahinrotten auf der Restmülldeponie gemeint, sondern: die Kompostierung. Sozusagen die Rückfahrkarte in den Schoß aller lebensspendenden Prozesse. Wie es sich für einen gesunden Kreislauf schickt.
Über die Autorin
Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).