Im Jahr 1996 prägte die Kleinbauernorganisation Via Campesina den Begriff der Ernährungssouveränität. Die Organisation kämpft gegen die Fremdbestimmung der Landwirtschaft durch große Konzerne, Politik, Wirtschaft etc. Dass Selbstbestimmung und Ernährungssouveränität aber auch in größeren Betrieben und in Zusammenarbeit mit dem Handel möglich ist, beweist die integrative Gemeinschaft Loidholdhof.
Der Loidholdhof liegt im Mühlviertel oberhalb der Donau zwischen Linz und Passau. Am Hof arbeiten derzeit mehr als 50 Menschen. Etwas mehr als die Hälfte davon sind Menschen mit Beeinträchtigung.
„Am Loidholdhof reden wir nicht nur über Inklusion, wir leben sie. Was wir machen, machen wir nicht für die Menschen mit Beeinträchtigung sondern mit ihnen“, betont Hofsprecher Achim Leibing.
Der Hof ist derart vielfältig, dass jeder Persönlichkeit genügend Platz gegeben wird um sich zu entfalten. „Wir brauchen uns gegenseitig“ ist keineswegs symbolisch gemeint, um Felder zu bestellen, Kühe zu füttern, Gemüse anzubauen, Brot zu backen oder Essen zuzubereiten, wird jeder und jede gebraucht.
In der Ausgestaltung orientiert sich die Gemeinschaft einerseits an dem Konzept einer traditionellen Landwirtschaft, die immer schon vielfältig, ganzheitlich ausgerichtet war und andererseits an den Fähigkeiten und Talenten der Menschen. Von Anbeginn wird der Betrieb nach den Grundsätzen der biologisch dynamischen Wirtschaftsweise geführt.
Loidholdhof- Integrative Gemeinschaft
Größe: 45 ha (41 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, 4 ha Wald)
Landwirtschaftliche Erzeugnisse: Den Schwerpunkt bildet der Getreidebau. Von Dinkel, Weizen, Roggen, Einkorn usw. bis zu Hirse, fast sämtliche Getreidearten finden sich hier. Hinzu kommen Speisekartoffel und eine breite Palette an Feld- und Feingemüse.
Am Hof gibt es derzeit 12 Milchkühe mit eigener Nachzucht (Rasse: Waldviertler Blondvieh), im Schnitt sind es ca. 20 Rinder. Dazu kommen ca. 20 Schafe (Rasse: Böhmisches Waldschaf), 4 Pferde, 30 Hühner, 20 Bienenvölker sowie 4 Fischteiche mit 0,5 ha.
Herr Achim Leibing, Sie sind seit fast 20 Jahren am Loidholdhof. Wie kam es zu dieser außergewöhnlichen Gemeinschaft?
Bei der Entstehung des Hofes waren verschiedene Gruppen beteiligt. Einerseits waren es Eltern, die für ihre Kinder nach der Schulzeit ein geeignetes Lebensumfeld suchten und denen die herkömmlichen Angebote, für Menschen mit Beeinträchtigung nicht zugesagt haben. Andererseits war es eine Initiative rund um einen Schularzt mit Lehrern und Therapeuten, die immer wieder Schüler erlebten, die teils mit mehr oder weniger auffälligem Verhalten zum Ausdruck brachten, dass sie mit dem herkömmlichen Schulkonzept unzufrieden sind.
Für die eine Gruppe war der Bauernhof das zukünftige Lebensumfeld für ihre Kinder, für die andere eine Ergänzung zum schulischen Lernen.
Außerdem gab es Mitte der 1990er Jahre innerhalb der oberösterreichischen Behindertenpolitik Bestrebungen von großen Institutionen wegzukommen und kleine, dezentrale Angeboten zu forcieren. Als auch noch Bauern bereit waren sich auf ein derartiges Wagnis einzulassen, erwachte das Projekt tatsächlich zum Leben…
Was ist die Besonderheit an Ihrer Gemeinschaft?
Die Besonderheit unserer Gemeinschaft ist mit Sicherheit die Vielfalt und Offenheit. Es grenzt an ein kleines Wunder, dass sich die Hofgemeinschaft unter dem Druck zur Spezialisierung und Professionalisierung in der Form entwickelt und bis heute erhalten hat. Eigentlich müssten wir uns schon längst zu einer Institution entwickelt haben mit einer deutlichen Trennung von Sozialer Arbeit und Landwirtschaft.
Was wird am Hof alles erzeugt?
Unsere Produktpalette reicht von Heumilch über eine breite Palette an Getreideprodukten (Körner, Mehle, Graupen, Grieße, Flocken), bis zu Fleisch, Gemüse, Kartoffeln, Brot, Nudeln, Kräutern, Sirupen, Marmeladen usw. Dazu kommen noch Produkte aus der Imkerei, wie Honig, Propolis, Erzeugnisse unserer Webwerkstatt und Tischlerei. Seit 2017 bewirtschaften wir auch 4 Fischteiche, seither haben wir sogar eigenen Fisch.
Sie produzieren für sich selbst und für den Verkauf, richtig?
Ganz klassisch stand für uns die Selbstversorgung an erster Stelle, frei nach dem Grundsatz: Alles was wir uns an Ausgaben ersparen, müssen wir anderswo nicht dazuverdienen. Bei mehr als 50 Mahlzeiten am Tag ist das nicht unerheblich. Unser Vermarktungsanteil nimmt sukzessive zu. Derzeit gehen etwa ¼ der Produkte in die Selbstversorgung, alles Übrige in den Verkauf.
Das Konzept der Ernährungssouveränität soll vor allem Kleinbauern unterstützen. Der Loidholdhof ist kein Familien- oder Kleinbauernbetrieb. Dennoch ist gerade bei Ihnen die Ernährungssouveränität besonders hoch. Warum?
Wir wollen unsere Kunden und die Menschen am Hof bestmöglich mit handverlesenen und unverfälschten Nahrungsmitteln versorgen. Industriell vorgefertigte Produkte oder Essenslieferungen sind am Loidholdhof kein Thema. Bei uns wird Tag für Tag frisch gekocht und auf den Tisch kommt, was es in der eigenen Landwirtschaft, der Gärtnerei oder Backstube gibt. Eine gesunde und ausgewogene Ernährung ist die Grundlage für unser Wohlergehen und unsere Zufriedenheit. Ich habe den Eindruck, dass wir uns im Alltag viele Probleme ersparen. Menschen geht es durch eine gesunde Ernährung einfach besser.
Die Heumilch ihrer Kühe liefern Sie in das Zurück zum Ursprung Projekt. Welche Vorteile sehen Sie darin nicht nur Ab Hof, sondern auch an den Handel zu verkaufen?
Unser Hof ist extrem vielfältig und breit aufgestellt. Dabei können und wollen wir nicht jeden Betriebszweig bis ins Letzte ausdifferenzieren. Wir haben uns schon vor Jahren für Heumilch entschieden. Als Zurück zum Ursprung das Heumilchprojekt in unserer Region startete, war es für uns klar, dass wir uns daran beteiligen wollen. Bisher ist das für uns eine Erfolgsgeschichte. Wir ersparen uns viel eigenen Aufwand, haben einen guten Absatz und ein relativ stabiles Einkommen.
Auch in unseren anderen Betriebszweigen zeigt sich, dass ein gutes Verhältnis zwischen Direktvermarktung und Verkauf an den Handel für beide Seiten eine Win-Win-Situation sein kann.
Vor dem Hintergrund der globalen Herausforderungen geht eine Trendwende ohnehin nur Hand in Hand mit den entsprechenden Partnern und über faire Kooperationen.
Über Achim Leibing
Achim Leibing, Dipl.Ing.(FH), MAS, geboren 1963 in Ulm, aufgewachsen auf der Schwäbischen Alb. Verheiratet und 3 Kinder. Nach dem Zivildienst war er beim Bund für Umwelt- und Naturschutz, er absolvierte eine Lehre und Studium der Forstwirtschaft. Eine Zeit lang war er Förster bei der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg. Berufsbegleitend studierte er Bildhauerei und machte die Werklehrerausbildung. Schließlich wechselte er in die Landwirtschaft und studiert Sozialmanagement an der JKU. Seit 1999 ist er Mitarbeiter am Loidholdhof und nun Hofsprecher.