„Bio-Lebensmittel sind schlecht fürs Klima“, so titelt eine Pressemitteilung der schwedischen Chalmers University of Technology, und sie erfreut sich großer Verbreitung auch in deutschsprachigen Medien. Artikel mit einer derartigen Aussage werden gerne angeklickt und gelesen, und offenbar darauf zielte diese Pressemitteilung ab, denn die zugrundeliegende sechzehnseitige Nature-Studie erwähnt die biologische Landwirtschaft nur in einem einzigen Satz.
In der Nature-Publikation „Assessing the efficiency of changes in land use for mitigating climate change“ stellen vier Forscher ein Berechnungsmodell vor, um Treibhausgasemissionen je Hektar Agrarland zu eruieren. Tim Searchinger, Stefan Wirsenius, Tim Beringer und Patrice Dumas bewerten dabei verschieden intensive landwirtschaftliche Systeme und kommen zu folgendem Ergebnis: Je höher der Ertrag pro Hektar, desto klimaschonender ist das landwirtschaftliche System. Das begründen sie so, dass die Menschheit dann weniger landwirtschaftliche Flächen benötigte und diese aufgeforstet werden könnten. Wälder binden wesentlich mehr CO2 als zum Beispiel ein Weizenfeld. Um das Weltklima zu schonen, sollte daher der Ertrag oder die Produktion je Hektar erhöht und Agrarflächen in Wald umgewandelt werden. Weitere Ergebnisse sind, dass wir weniger tierische Produkte konsumieren sollten und Kraftstoffe aus Pflanzen klimaschädlicher sind als aus Erdöl.
Die Studie handelt nicht von Bio
Ist es somit der richtige Weg, in die konventionelle Landwirtschaft und die Ertragssteigerung zu investieren?
Selbst wenn die Annahme stimme, dass freiwerdendes Agrarland aufgeforstet und nicht Infrastruktur wie Straßen und Siedlungen zum Opfer fallen würde, wäre die konventionelle Landwirtschaft nicht die Lösung und das räumen sogar die Studienautoren ein. Das von ihnen entwickelte Berechnungsmodell erfasst nicht die Biodiversität oder andere Ökosystemleistungen (z.B. Wasserqualität, Bodenqualität). Selbst in der Pressemitteilung der Chalmers University erklärt Stefan Wirsenius, dass er nicht davon abrät biologische Lebensmittel zu kaufen, denn sie haben viele Vorteile, sie seien gesünder für den Menschen und besser bei Tierwohl.
Auch der Erstautor Tim Searchinger der Princeton University kommentiert auf nature.com, dass „diese Studie nicht von biologischer Landwirtschaft handelt, sondern nur ein einziges Beispiel von Bio-Erbsen- und Bio-Weizenertrag in Schweden bringt. Es gibt viele wichtige Vorteile in der biologischen Produktion, wie die Pionierarbeit bei Schädlingsbekämpfungstechniken, die auch von Produzenten genutzt werden, die nicht völlig biologisch wirtschaften. Biologische Erträge schwanken, und die einzige Schlussfolgerung aus der Studie für die biologische Landwirtschaft ist, dass hohe Erträge wichtig sind, und dass Bioproduzenten ihr Potential ausschöpfen sollten um ähnliche Erträge wie oder höhere als konventionelle Produzenten zu erreichen.“
Liest man diesen Kommentar, taucht die Frage auf, wie erfreut Tim Searchinger wohl über die Pressemitteilung der Chalmers University und deren populistische Überschrift war?
Grenzen des wissenschaftlichen Modells
Wichtig ist zu verstehen, dass das erwähnte wissenschaftliche Modell eine Momentaufnahme ist, nämlich immer des Moments in dem es angewandt wird. Wenn die Erträge in der biologischen Landwirtschaft nach 10 Jahren steigen, da die wichtige Ressource Boden wieder aufgebaut wurde, wird das nicht abgebildet. Wenn die Erträge auf biologischen Äckern in Trockenjahren stabiler sind als auf konventionellen, wird das hier nicht erfasst. Das Modell bezieht nicht ein, dass weltweit Erträge sinken werden, weil die Böden durch die industrielle Landwirtschaft zerstört und ausgelaugt sind. Sie bezieht nicht ein, dass der Schädlingsdruck durch Resistenzen zunimmt und daher immer mehr Pestizide eingesetzt werden müssen, dass es immer mehr energieintensiven Stickstoffdünger braucht um die jahrzehntelange Misswirtschaft auszugleichen…
Das Modell erfasst die derzeitige Situation der Landwirtschaft, die Ergebnisse sagen aber nicht, dass die konventionelle Landwirtschaft die bessere Wahl ist.
Ist Ertrag der heilige Gral?
Die Landwirtschaft ist ein komplexes über Jahrtausende gewachsenes System, sie auf einen einzigen Wert zu reduzieren ist unsinnig. Pavan Sukhdev warnt im Juni 2018 ebenfalls in Nature davor, Landwirtschaft nur auf Ertrag zu reduzieren. So zeigt eine neuseeländische Studie, dass die biologische Landwirtschaft höhere Ökosystemleistungen erbringt als die konventionelle. Untersuchte biologische Felder führten durch Kompostierung und Erhaltung der Pflanzendecke zu höherer Biomasse und Vielfalt unter und auf dem Boden. Konventionelle Felder verminderten die Bodengesundheit, Betriebsbiodiversität, Wasser- und Luftqualität.
Die Ertragsmaximierung bei Tieren zeigt ebenso deutlich, dass diese niemals nachhaltig sein kann, denn Tiere und Pflanzen sind Lebewesen. Organismen stoßen irgendwann an Grenzen. Eine Hochleistungs-Milchkuh lebt schon jetzt nur noch 4-5 Jahre, obwohl Rinder eine Lebenserwartung von etwa 15 Jahren hätten. Wird der Ertrag weiter gesteigert, wird die Lebenserwartung sinken. Ganz abgesehen von der damit verbundenen Qualzucht, werden auch die Ressourcen vergessen, die für die Aufzucht einer Kalbin bis ins geschlechtsreife Alter notwendig sind. Dieser Ressourcenaufwand und der damit verbundene CO2 Ausstoß fließt nicht in die Momentaufnahme der Ertragsrechnungen ein.
Ist Bio klimaschädlich?
Der Klimaschutz gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Menschheit, bereits jetzt leben wir mit den Folgen des Klimawandels. Um die Lebensmittelversorgung zu sichern, müssen wir heute schon Systeme unterstützen, die mit Wetterextremen gut zu Recht kommen und die Resilienz (Fähigkeit eines Systems Krisen und Veränderungen abzupuffern) der Ökosysteme erhöhen. Das sind ressourcenschonende Systeme mit hoher Diversität und zurzeit entspricht hier die biologische Landwirtschaft am besten.
Ja, im Durchschnitt sind die Erträge der Biolandwirtschaft heute niedriger als im konventionellen Bereich, doch die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen und die Suche nach passenden Kulturpflanzen, die im Biolandbau gute Erträge bringen, hat gerade erst begonnen.
Die Zukunft der Landwirtschaft wird ein Balanceakt zwischen der Erhöhung der Erträge, Reduktion der Treibhausgasemissionen, Bewahrung der Naturvielfalt, gesunder Ernährung, Achtung der Nutztiere und Anpassung an den Klimawandel sein. Von Bedeutung ist es in Systeme zu investieren, die auf die Erhaltung natürlicher Kreisläufe setzen und nicht von endlichen Ressourcen abhängig sind.
Ignorieren wir also zukünftig reißerische Schlagzeilen und schenken ihnen nicht mehr unsere wertvolle Zeit. Stecken wir die Energie in die Unterstützung einer Landwirtschaft, die Lebewesen als Lebewesen wahrnimmt und nicht als Zahlen.
Über die Autorin
Dr. Isabell Riedl ist seit 2012 als Nachhaltigkeitsbeauftragte und in der Kommunikation der Werner Lampert GmbH tätig. Sie studierte Ökologie mit Schwerpunkt Natur- und Landschaftsschutz und Tropenökologie an der Universität Wien. Ihre Dissertation verfasste sie über die Bedeutung von Baumreihen in landwirtschaftlichen Gebieten für Waldvögel in Costa Rica. Zeit ihres Lebens hat sie sich insbesondere der ökologischen Nachhaltigkeit verschrieben. Sie ist Teil des Redaktionsteams des Online-Magazins „Nachhaltigkeit. Neu denken.“