Kein Verzicht, sondern Befreiung von Zwängen

Lächelnde ältere Frau mit kurzem schwarzen Haar im Freien

Resilienzdenken ist der Allgemeinheit neu, lediglich im Diskurs zum Klimawandel hat er bereits Einzug gehalten. Wie die Forscherin und Professorin Claudia Pahl-Wostl den Begriff Resilienz definiert und warum Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit der Weg zu einem bewussten Leben frei von Zwängen sein kann, erzählt sie uns im Interview.

Frau Pahl-Wostl, Sie kommen eigentlich aus dem Fachbereich Chemie und Molekularbiologie, wie kam es, dass Sie heute im Bereich Ressourcenmanagement und Nachhaltigkeit arbeiten und forschen?

Claudia Pahl-Wostl: Ich war schon immer sehr an Umweltfragen interessiert. Daher habe ich nach Abschluss meiner Doktorarbeit noch ein Nachdiplomstudium in Gewässerschutz an der ETH Zürich absolviert. Bei vertiefter Beschäftigung mit Umweltfragen wurde mir klar, dass die größten Herausforderungen in einem besseren und ganzheitlichen Verständnis der Mensch-Umweltbeziehungen und menschlichen Handelns liegen. Diese Einsichten habe ich dann auch in der Ausrichtung meiner Forschungstätigkeit umgesetzt.

Wie definieren Sie Resilienz?

Pahl-Wostl: Resilienz ist die Fähigkeit eines Systems (z.B. Mensch, Ökosystem) aus Krisen und Veränderungen zu lernen und nach Störungen wieder einen funktionsfähigen Zustand herzustellen. Das muss keine Rückkehr zum Ausgangzustand sein, wie in frühen Interpretationen ökologscher Resilienz teilweise angenommen wurde. Eine solche eher statische Interpretation wurde in den letzten Jahren durch eine dynamische Interpretation, die Lernfähigkeit betont, ersetzt. Ein wesentlicher Pionier auf diesem Gebiet ist das Stockholm Resilience Center. Die Resilienz-Perspektive lenkt dabei den Blick auf die Fähigkeit sozial-ökologischer Systeme, welche auf großer Skalenebene in Zeit und Raum weder nachhaltig noch resilient sind, zu transformativem Wandel.


Der Begriff Resilienz spielt im Nachhaltigkeitsdiskurs eine immer wichtigere Rolle. Was bedeutet Resilienz im Zusammenhang mit Landwirtschaft und Lebensmitteln? Und in welchen Bereichen erachten Sie Resilienz am wichtigsten?

Pahl-Wostl: Eine resiliente Landwirtschaft und die damit verbundene Produktion von Lebensmittel sollte die Fähigkeit haben auf Störungen und Krisen reagieren und daraus lernen zu können, ohne dass es zu Zusammenbrüchen des Systems kommt. Eine solche Orientierung steht im Widerspruch einer auf Produktions- und Effizienzmaximierung ausgerichteten Strategie. Redundanz, wie die Erhaltung einer Vielfalt von Arten für Nutzpflanzen, stellt ein Potential dar, auf Veränderungen wie Klimawandel oder Schädlingsbefall zu reagieren.

In einem übergeordneten Sinne geht das Konzept einer multifunktionalen Landwirtschaft auf die vielfältigen Funktionen von landwirtschaftlichen Produktionssystemen ein, die zur Resilienz der ökologischen, ökonomischen und sozialen Systeme beitragen sollten, in die sie eingebettet sind. Dies beinhaltet auch eine Sicherung der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen.


Wie denken Sie, kann man die Resilienz der Lebensmittelproduktion erhöhen? Können Sie uns durch die Erfahrung in Ihren Forschungsprojekten konkrete Beispiele nennen?

Ernst schauende ältere Frau mit kurzen schwarzen HaarenPahl-Wostl: Man sollte Indikatoren entwickeln, die Resilienz auf der Ebene eines Betriebs als auch des Nahrungsmittelsystems als Ganzes (Produktion, Konsum und Transport) abbilden. Aber da ist man noch weit entfernt davon diese zu entwickeln, geschweige denn Indikatoren in der Entscheidungsfindung und Planung einzusetzen. Eine Ausnahme stellt Anpassung an den Klimawandel dar, wo Resilienzdenken inzwischen weit verbreitet ist. Weiterhin ist eine Anwendung von solchen Indikatoren bei der Planung in Entwicklungsländern mehr verbreitet als bei uns. Offenbar fehlt es in Industrieländern noch an der Einsicht, dass Resilienzdenken auch hier von zentraler Bedeutung wäre. Die Schwankungen der Milchpreise mit entsprechenden Folgen für milchproduzierende Betriebe ist jedoch ein Beispiel, wie wenig die bestehenden Systeme mit Änderungen in den Rahmenbedingungen umgehen können. Resilienzdenken legt nahe, dass eine verstärkte Regionalisierung und kürzere Wertschöpfungsketten – vom Produzenten zum Verbraucher, Resilienz und Selbstregulationsfähigkeit der Lebensmittelproduktion erhöhen würden.


Welche Rolle spielen neue Technologien (CrispCas) im Kontext der Resilienzforschung?

Pahl-Wostl: Mir sind keine Arbeiten bekannt, in denen ein Bezug zwischen CrispCas und Resilienz hergestellt wird. Die Gentechnik im Allgemeinen und CrispCas im Besonderen bieten jedoch die Möglichkeit Eigenschaften von Arten gezielt zu beeinflussen. Hier wird vor allem im Zusammenhang mit Anpassung an den Klimawandel geforscht. Der Vorstellung man könnte widerstandsfähige Arten (z.B. Klimawandel) maßschneidern stehe ich jedoch kritisch gegenüber, da sie eine sehr reduktionistische Sichtweise sowohl von Organismen, als auch von der Rolle von Arten in Ökosystemen beinhaltet.


Beim Nachhaltigkeitsforum in Langenlois, stellten Sie die Frage in den Raum, ob alle, die gegen eine Flugpiste demonstrieren, nicht mehr fliegen. Welche Rolle spielt Authentizität in der Nachhaltigkeit?

Pahl-Wostl: Authentizität scheint mir gerade bei der Nachhaltigkeit sehr wichtig. Dies beinhaltet eine kritische Reflexion, ob Einstellungen und Handeln in verschiedenen Lebensbereichen übereinstimmen. Wenn Menschen gegen den Bau von Windkrafträdern protestieren – mit legitimen Gründen – sollten sie sich auch Gedanken machen, wie der Energieverbrauch reduziert werden kann – individuell und gesellschaftlich. Man sollte keine höheren Ansprüche an diejenigen stellen, die von Fluglärm oder Bau neuer Windkraftanlagen persönlich betroffen sind, als an den Rest der Gesellschaft. Um dies zu fördern, bräuchte es jedoch noch mehr Aufklärung zu Handlungsoptionen in verschiedenen Lebensbereichen und eine Förderung eines gesamtgesellschaftlichen Dialogs.

Wie könnten wir die Menschen dazu bewegen, die Welt nachhaltiger zu gestalten?

Pahl-Wostl: ‚Die Menschen‘ ist ein weiter Begriff. Ich nehme an, Sie beziehen sich mit der Frage auf individuelles Handeln. Hier scheint es mir wichtig, Menschen die Konsequenzen ihrer alltäglichen Entscheidungen anschaulich darzustellen und Handlungsoptionen aufzuzeigen. Nicht nur mit Zahlen, sondern z.B. mit persönlichen Schicksalen von Menschen in Entwicklungsländern oder mit konkreten Beispielen von Konsequenzen für Ökosysteme. Ein weiterer zentraler Punkt scheint mir jedoch eine neue Vorstellung von Lebensqualität zu entwickeln. Der Begriff der Suffizienz, also eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs auf das Notwendige, wird oft mit Konsumverzicht und Einschränkungen gleichgesetzt. Suffizienz kann jedoch mehr persönliche Freiheit bedeuten, wenn man sich von vermeintlichen Konsumzwängen befreit und sein Leben bewusst gestaltet.

Lächelnde ältere Frau mit kurzem schwarzen Haar im FreienÜber Claudia Pahl-Wostl

Claudia Pahl-Wostl ist Professorin für Ressourcenmanagement am interdisziplinären Institut für Umweltsystemforschung der Universität Osnabrück. Schwerpunkte ihrer Forschungstätigkeit sind Governance und Adaptives Management von Wasserressourcen, der Wasser-Energie-Nahrungsnexus und gesellschaftliche Lern- und Transformationsprozesse in Richtung Nachhaltigkeit. Frau Pahl-Wostl hat einige transdisziplinäre Forschungsprojekte gefördert durch die EU-Rahmenprogramme koordiniert. Sie ist Mitglied von zahlreichen nationalen und internationalen Steuerungs- und Beratungsgremien in Wissenschaft, Politik und Praxis.

Quelle: Interview mit Claudia Pahl-Wostl am 18. Dezember 2017.
Artikel der Redaktion

 

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