New York City ist im „Bio-Fieber“. Doch: Woher kommen eigentlich all die frischen und vor allem leckeren Produkte? Eine Frage, auf die wir im Hudson Valley gleich mehrere Antworten finden.
Es ist Montag und seit einigen Tagen laufen mein Mann und ich durch New York City: Es gibt so viel zu sehen, so viel zu bestaunen, so viel zu entdecken – und das obwohl wir nicht zum ersten Mal in dieser beeindruckenden, faszinierenden und nicht zuletzt mitreißenden Metropole an der Ostküste der USA sind. Diese Stadt, deren Skyline von Wolkenkratzern geprägt ist, und die nicht nur niemals schläft, sondern sich zudem fortlaufend verändert – auch umwelttechnisch: Neben dem Central Park und anderen Grünflächen, lockt etwa die zur Parkanlage umgestaltete High Line zahlreiche Besucher, eine über zwei km lange, ehemalige Hochbahntrasse im Westen von Manhattan. Darüber-hinaus forciert die Stadt unter anderem Car und Bike Sharing, Baumpflanzprogramme und „Zone Green“, eine Green Building Initiative. Last not least, wird die Auswahl an Bioprodukten fortwährend größer.
Schon seit Längerem ist organic (zu Deutsch Bio-) im wahrsten Sinne des Wortes in aller Munde, denn allen Vorurteilen zum Trotz, gibt es auch in den USA immer mehr Menschen, die sich gesund ernähren wollen und sich Gedanken darüber machen, wo die Lebensmittel, die sie konsumieren, herkommen, ob sie aus ökologisch kontrollierter Landwirtschaft stammen und somit ohne Einsatz von konventionellen Pestiziden, Kunstdüngern und Abwasserschlamm angebaut und nicht gentechnisch verändert wurden. Letzteres ist gerade in den USA ein großes Problem, schließlich sind die Vereinigten Staaten weltweit der größte Produzent von gentechnisch veränderten Pflanzen.
So gesehen ist es eigentlich wunderbar, dass organic in den USA gewissermaßen „in Mode“ ist. Übrigens: Wenngleich die Bio-Landwirtschaft eine im Vergleich zu Europa kleine Rolle spielt, haben die USA 2002 zumindest gesetzliche Produktionsstandards für die ökologische Erzeugung verabschiedet. Neben kleineren Lebensmittelgeschäften und größeren Bio-Supermärkten haben sich auch zahlreiche Cafés und Restaurants dem organic Trend verschrieben. Auf den Menükarten lesen wir sehr oft gluten-free oder whole wheat, veggie oder vegan und andere Begriffe, die deutlich machen, dass den New Yorkern ein gesunder Lebens- und Ernährungsstil am Herzen liegt. Genauso erfreulich ist, dass die Zahl der Biobauern und regionalen Produzenten, die auf biologische Erzeugung setzen, steigt und dass sie ihre Produkte mitunter sogar mehrmals wöchentlich auf einem der 54 (!) Bauernmärkte von New York City darreichen können.
Auf ins Hudson Valley
Der Großteil der inzwischen über 230 Farmer stammt aus dem Hudson Valley und der Blick in den Reiseführer macht deutlich: Das wäre durchaus ein netter Tagesausflug. Wir machen schlussendlich vier Tage daraus, denn das Hudson Valley beheimatet nicht nur zahlreiche (Bio-)Bauern, sondern ist zudem landschaftlich absolut eine Reise wert. Doch das Tal ist auch groß und so entscheiden wir uns letztlich für Ulster County, ein etwa 90 Minuten nördlich von New York City gelegener Bezirk. Und unser erstes Ziel lautet Woodstock: Dort, wo sich im August 1969 die Hippiegeneration ein musikalisches Stelldichein gab, treffen wir heute noch auf „Peace & Music“, auf Hippies (oder deren Nachkommen) und vor allem einmal mehr auf Bioproduzenten: Beim Woodstock Farm Festival bieten Bauern – darunter auch einige junge Farmer, die die Welt durch ihr Bio-Engagement ein klein wenig besser machen wollen – jeden Mittwochnachmittag (Mai bis Oktober) Gemüse und Früchte, frisches Brot und Gebäck, eingelegtes Gemüse, selbstgemachte Marmeladen und Früchtekompotts, Ahornsirup (eine weitere Spezialität dieser Region) sowie verschiedenste Kräuter und alte bzw. seltene Samen. Dass alles mit Liebe produziert und entsprechend auch aufgestellt bzw. aufgestapelt wird, versteht sich im Grunde von selbst – und lässt das Wasser im Mund noch mehr zusammenlaufen. Den Hunger können wir zum Glück mit Falafel, verschiedenen Salaten und weiteren Bio-Leckereien stillen, während sich das Woodstock Farm Festival inklusive Live-Musik bis in die Abenddämmerung zieht.
Hofladen
Nun hat uns das „organic fever“ endgültig gepackt: Wir wollen die Menschen hinter den Marktständen kennenlernen. Also machen wir uns am Tag darauf auf die Suche und es dauert nicht lang, bis wir am Straßenrand ein Schild sehen, das uns sozusagen zum Abbiegen einlädt: „Boice’s Farm & Garden Stand“ in Saugerties, etwas östlich von Woodstock, direkt am Hudson River gelegen. Von Mai bis Dezember werden hier zuerst Heu, dann Blumen, Samen und sogar Gartenzubehör verkauft, während der heißen Monate gibt es sommerliches Obst sowie Gemüse und im Herbst überwiegend Kürbisse. Kurz vor Weihnachten werden Kränze und Gestecke angeboten, die hier kissing balls genannt werden, in Anlehnung an den Brauch, sich unter einem Mistelzweig zu küssen. „Wir haben zwar kein Biozertifikat, weil das mit extrem hohen Kosten verbunden ist“, erklärt Mary Ellen, die ihren Bruder Jim unterstützt, die über 32 Hektar große Farm zu betreiben. „Trotzdem würden wir nie sprayen, schon alleine weil wir das selbst nicht essen möchten. Die Leute, die bei uns kaufen, wissen das.“ Und der Biss in eine der herrlich duftenden roten Erdbeeren überzeugt auch uns.
Ein paar Kilometer weiter sehen wir eine Tafel mit der Aufschrift „Grey Mouse Farm“ und wir biegen erneut ab. Auf der Veranda sitzt Kathy Kreda – als hätte sie uns erwartet, dabei ist sie gerade damit beschäftigt, die Marktstände der kommenden Woche zusammenzustellen. Vor ungefähr 30 Jahren hatte Kathy genug von Manhattan und entschied sich für das Leben auf dem Land, wie so manch andere Bewohner des Hudson Valley. Zusammen mit ihrer mittlerweile bald 85-jährigen Mutter übernahm sie den Hof, der bis in die Anfänge des 18. Jahrhunderts zurückdatiert. Dass sie sich dem organic farming verschreiben wollte, war von Beginn an klar: „Das bedeutete aber, dass wir das Land erst einmal sieben Jahre brachliegen lassen mussten – so sind die Vorschriften. Wir haben während dieser Zeit zwar für uns selbst Gemüse und Obst angepflanzt, verkaufen durften wir allerdings nichts“, erinnert sich Kathy, die allerdings bis heute keine Gurken, Äpfel, Pfirsiche oder Blaubeeren verkauft, sondern ausschließlich das, was sie daraus macht: Essiggurken, Chutneys, Apfelkraut (ein Brotaufstrich), Marmeladen und nicht zu vergessen marinierter Knoblauch, eine Spezialität der „Grey Mouse Farm“. Die Rezepte für diese sogenannten value added-Produkte stammen zum Teil noch von ihrer Großmutter.
Leicht sei es nicht, das mit der biologischen Landwirtschaft – insbesondere wenn es wetterbedingt zu Ernteausfällen komme: „Dann haben die kleinen Biofarmen nämlich durchaus das Nachsehen, gibt es doch nur in den wenigsten Fällen staatliche Unterstützung“, weiß Kathy, für die es aber ohnehin nicht nur um (finanziellen) Ertrag geht, sondern darum, dass die Menschen (wieder) anfangen sollten, ihr eigenes Obst und Gemüse anzupflanzen oder zumindest einen kleinen Kräutergarten auf dem Fensterbrett in der Küche anzulegen.
No Farms. No Food.
Als wir uns verabschieden, gibt uns Kathy noch den Tipp, Samstagvormittag den Farmers Market in Saugerties zu besuchen und dort nach Barry Benepe zu fragen. Ihm sei es zu verdanken, dass es in New York City überhaupt zu einem derartigen Boom an Biomärkten gekommen ist.
Das lassen wir uns freilich nicht zwei Mal sagen und so treffen wir am letzten Tag unseres Ausflugs quasi den „Urvater“ der greenmarkets. Barry Benepe ist ein „richtiger New Yorker“: Als Sohn eines Leinenimporteurs wuchs er in der Nähe des Gramercy Parks (Gramercy: Viertel in Manhattan – etwa von der 14th Street bis zur 23rd Street und von der 1st Avenue bis zur Park Avenue South) auf. Wenngleich der heute 85-Jährige eine Laufbahn als Architekt einschlug, gehörte seine wahre Leidenschaft dem Greenmarkets Program. Sein Ziel war es, die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Farmer im Hudson Valley mit den Wünschen der New Yorker nach frischem Obst und Gemüse zu vereinen. Im Sommer 1976 öffneten die ersten Bauernmärkte, darunter jener am Union Square Park (17th Street, Ecke Broadway) – der vielleicht bekannteste von allen. Beinahe 30 Jahre kümmerte sich Benepe um die Märkte in der City, bevor er sich die Frage stellte: Warum machen wir das eigentlich nicht auch dort, wo all die Produkte herkommen? Und so kam es, dass vor gut zwölf Jahren in Saugerties einer der ersten Bauernmärkte ins Leben gerufen wurde – und wieder war Barry Benepe maßgeblich daran beteiligt.
Nicht alles, was dort verkauft wird, ist 100 Prozent organic, aber darum gehe es gar nicht, erklärt uns Barry, während wir uns inmitten des Marktgeschehens mit ihm unterhalten: „Wir haben vorwiegend Kleinbauern hier im Hudson Valley und für die sind Pestizide oder andere Giftstoffe, aber auch so manche Düngemittel ohnehin viel zu teuer. Die Bauern bieten daher nahezu biologische oder, wie wir es nennen, ‚natürlich gewachsene’ Produkte an.“ Abgesehen davon ist Benepe sowieso der Meinung, dass sich die Menschen saisonal und regional ernähren sollten – von der Farm auf den Tisch sozusagen. Das habe übrigens einen weiteren Grund: Wem die Bauern bzw. die Geschäfte aus der eigenen Region am Herzen liegen, der sollte lieber ihre Produkte kaufen. Barry Benepe bringt es noch deutlicher auf den Punkt: „No Farms. No Food.“
Weiterführende Links
- Green Market
- Ulster County Alive
- Woodstock Farm Festival
- Saugerties Farmers‘ Market
- Fotos & Copyright: Roland Mähr
Über Christiane Mähr
1978 in Feldkirch geboren, gute zwei Jahrzehnte später IWW in Innsbruck und Maastricht (NL) studiert und 2003 wieder ins Ländle zurückgekehrt, wo ich seither lebe und schreibe: erst im Marketing- und Kommunikationsbereich, dann in der PR-Branche und seit 2011 als freie Journalistin und Texterin sowie Kommunikationsberaterin – kurz und gut: christianeschreibt. Mein Fokus liegt auf dem Gesundheits- und Medizinbereich (von „Gesünder Leben“ und „Gesundheit“ bis zu verschiedenen Fach- und Kundenmagazinen), unter anderem schreibe ich aber auch für das Onlineportal wirtschaftszeit.at und das Biomagazin. Und sonst? Ich liebe es, aus guten Lebensmitteln leckere Gerichte zu zaubern, Gemüse zu Suppen, Eintöpfen und Co. zu verarbeiten oder auch mal „sündhaft süße“ Cupcakes, Cookies und Kuchen zu backen. Außerdem liebe ich New York City, meine Yogamatte und meinen Mann.