Seit ich denken kann, war es immer selbstverständlich, dass die Lebensmittelgeschäfte geöffnet und die Regale gut gefüllt waren. Jedes Jahr steckte zuverlässig im Osternest ein Schokohase, immer gab es einen Geburtstagskuchen. Und auch im Alltag musste man sich nie um die Versorgung mit Lebensmitteln sorgen. Gut, vielleicht hat man nach Tschernobyl Pilze kurzfristig vom Speiseplan gestrichen. Aber sonst gab es keine nennenswerten Einschränkungen. Doch dann kommt Corona und plötzlich ist alles anders.
Lebensmittel erscheinen plötzlich in einem völlig neuen Licht. Wenn wir auf etwas wirklich nicht verzichten können, dann auf Lebensmittel – die heimlichen Stars der Corona-Krise. Bei Lebensmitteln ist es ein bisschen wie bei echten Stars. Einige sind bodenständig, unkompliziert und authentisch. Andere kommen mit Star-Allüren und jeder Menge Tam-Tam daher. Sie werden um die halbe Welt geflogen oder auf andere Art aufwändig verhätschelt (künstlich nachgereift, hochverarbeitet, spezialverpackt etc.). Kaum etwas an ihnen wirkt noch ‚echt‘. Corona gibt Anlass sich wieder einmal die Frage zu stellen: was liegt eigentlich auf unseren Tellern? Und wie ‚krisenfest‘ sind unsere Ernährungsgewohnheiten?
Wie ernähren wir uns nach Corona?
Fest steht, dass die Art wie wir uns aktuell ernähren, uns in absehbarer Zeit in eine gesundheitliche Krise (Zunahme von Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen etc.) und in eine ökologische Katastrophe (Rückgang der Artenvielfalt, Abholzung des Regenwaldes, Klimakrise etc.) führt [1]. Was bräuchte es um sich nach Corona eine krisenfeste, gesunde, geschmacksintensive, lebensfreundliche Agrarzukunft herbeizuwünschen bzw. herbei zu essen?
Welche Potentiale bieten heimische Regale?
Hätten wir in Österreich überhaupt genügend Flächen, um uns mit Lebensmitteln zu versorgen? Die Antwort lautet erfreulicherweise: ja, das haben wir. Wir haben sogar genug Flächen, um uns mit biologischen Lebensmitteln zu versorgen. Dafür müssten wir entweder ein Viertel weniger Lebensmittel verschwenden oder alternativ unseren Fleischkonsum um leicht machbare 10% reduzieren [2].
Wirft man einen Blick in den grünen Bericht 2019 (jährlicher Bericht des Bundes zur Lage der Landwirtschaft) wird auch klar, wo wir in Sachen Krisenfestigkeit und Selbstversorgung noch ein, zwei Schäufelchen nachlegen könnten. Nur 56% unseres Gemüsebedarfs und 40% unseres Obstbedarfs könnten durch die heimische Produktion abgedeckt werden [3]. Beim Getreide sind es immerhin 86%. Fleisch und Milchprodukte werden deutlich mehr produziert als im Inland konsumiert werden könnten (109% Fleisch, 162% Milch). Allerdings wird diese scheinbare Überversorgung durch Futtermittelimporte aus dem Ausland gestützt [4].
Quelle: BMLRT, Grüner Bericht 2019
Können wir uns das leisten?
Die Rahmenbedingungen stünden also nicht so schlecht. Womit wir dann zum Totschlagargument Nr. 1 kommen, dass in jeder Diskussion um nachhaltige Ernährung zuverlässig auftaucht: der Leistbarkeit. Können wir es uns leisten, uns so zu ernähren, wie es für uns gesund und für den Planeten gut wäre? Auch wenn es sich womöglich nicht immer so anfühlt: wir geben in Österreich historisch gesehen sehr wenig für Lebensmittel aus (12% vom Einkommen). In Amerika sind es gar nur 6,4%. Die Lohnniveaus haben weit stärker angezogen als die Lebensmittelpreise. Musste ein Arbeiter im Jahr 1970 satte 1,5 Stunden für ein Kilo Schweinskotelett arbeiten, so hat er sich dieses Kilo heute schon in ca. 20 Minuten verdient [5]. In den 1950er-Jahren war es notwendig fast die Hälfte des Budgets für Lebensmittel aufzubringen [6].
Quelle: BMLRT, Grüner Bericht 2019
Stehen wir an einem kulinarischen Wendepunkt?
Womöglich gibt uns die Corona Krise genau den Gedankenanstoß, den wir brauchen, um unsere Ernährungsgewohnheiten zu hinterfragen. Und zu erfahren und zu schmecken, wie wertvoll gutes und gesundes Essen ist. Zudem macht uns Genuss nachweislich glücklicher. Viele von uns haben sich in den letzten Wochen mehr Zeit genommen, um gut zu kochen, womöglich neue Rezepte ausprobiert. Das Brot-Backen – auch ohne Germ/ Hefe [6] – boomt wie nie zuvor. Womöglich lernen wir nicht nur wieder zu kochen, sondern auch das Essen als nicht selbstverständlich hinzunehmen. Vielleicht erschaffen wir gemeinsam dadurch einen neuen ‚Kult‘ rund um die Mittel, die wir zum Leben brauchen. Um sie zu würdigen und noch mehr zu genießen. Und gut drauf zu schauen, wo sie herkommen.
Über die Autorin
Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).