Zukunft ist nach Hause zu kommen

Uns geht es so gut wie noch nie, die Säuglingssterblichkeit ist gering, wir werden immer älter, es gibt viel weniger Hunger und Armut auf der Welt, und trotzdem ist die Menschheit hochgradig unzufrieden. Soziologe Harald Welzer und Nachhaltigkeitsexperte Werner Lampert auf der Suche nach Ursachen und einem gangbaren Weg in die Zukunft.

Herr Welzer, Sie beschäftigten sich stark mit der Vergangenheit, aber auch mit den Menschen der Gegenwart und Zukunft. Was haben Sie von Ihren Recherchen gelernt?

Harald Welzer: Wir befinden uns inmitten eines großen globalen Experiments mit der zentralen Fragestellung, ob eine globale Wachstumswirtschaft möglich ist. Die Antwort ist ein klares Nein. Dieser Weg ist unzweifelhaft nicht zukunftsfähig.

Unser Bemühen ist es daher, Formen des Wirtschaftens und des Lebens zu experimentieren, wo der Ausgang nicht eindeutig negativ für die Menschheit ist. Interessant dabei ist, dass diese Projekte und Experimente, wie alternatives Wohnen oder Wirtschaften, immer unter Legitimationspflicht stehen – „wird das denn gehen“, „das funktioniert doch nicht“ – wohingegen das Großexperiment, wo jeder weiß, dass es nicht funktioniert, nicht debattiert wird.

Aber das Abendland ist doch eine Erfolgsgeschichte – wir leben länger, haben mehr Wohlstand, bessere Gesundheit.

Welzer: Richtig, aber es basiert auf einem nicht nachhaltigen Prinzip und wir konsumieren die Voraussetzungen des weiteren Funktionierens. Ich bin kein Apokalyptiker. Ein Wissenschaftler, der sieht, dass sein Experiment scheitert, wird schleunigst umsatteln.
Schauen wir uns an, was wir heute haben: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, gigantische Migrationszahlen in Folge von Umweltveränderungen, geopolitische Zuspitzungen, die mit Reaktionen auf Stress zu tun haben. Wir sind doch handlungsfähige Menschen, gehen wir mit diesem Szenario um!

Jedoch wollen wir nichts von unserem Luxus hergeben – können wir Konsumdenken nachhaltig gestalten?

Portrait eines bärtigen Mannes mit lockigem ergrauten Haar und HornbrilleWerner Lampert: Das wäre ein großes Missverständnis. Wirtschaft, und natürlich auch Landwirtschaft, wie sie heute betrieben wird, hat keine Zukunft, sie ist triebgesteuert. Leben ist immer im Zusammenhang mit anderen, ob das jetzt im persönlichen ist, ob es die Vernetzung in der Natur ist. Industrialisierte Landwirtschaft ebenso wie wachstumsorientierte Wirtschaft ist losgelöst vom Standort, losgelöst von der Umgebung, es ist ein Modell um maximale Erträge herauszuholen. Das ist für mich wie ein triebgesteuerter Mensch, der jetzt im Moment alle Bedürfnisse sofort befriedigen will, auf Kosten aller! Dieses Modell ist autistisch, in sich abgeschlossen und isoliert.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Lampert: Die biologische Landwirtschaft hat lange ausprobiert, spielerisch andere Wege zu gehen, heute hat sie die Aufgabe, uns in der Zukunft nachhaltig zu ernähren. Wir haben Hoffnung, Gestaltungskraft, Willen und das Wissen für neue Wege. In unserem Projekt für nachhaltige Lebensmittel arbeiten wir in allen Dimensionen der Nachhaltigkeit, an der ökologischen, sozialen sowie ökonomischen Resilienz.

Herr Welzer, wie denken Sie, schaffen wir den Wandel?

Welzer: Das klingt jetzt vielleicht tautologisch und banal, aber das erfolgreichste Mittel zur Veränderung ist die Veränderung. Die Impulse gehen von praktizierten Alternativen aus, wie hier beim Beispiel nachhaltiger Lebensmittel. Menschen brauchen attraktive Alternativen um zuzustimmen. Leider wird das in der Nachhaltigkeitsszenerie bisher nicht verstanden! Die gehen von der irrigen Annahme aus, dass Menschen, die kognitiv überzeugt wurden, sich dann entsprechend verhalten. Das tun sie aber nicht.
Wir müssen gute Geschichten erzählen, so dass Menschen sehen- „cool, es geht auch anders“! Schauen Sie sich Alternativen zu öffentlichem Verkehr in Kopenhagen an, oder zu städtischen Grünflächen in Andernach. Gute Praxis ist ansteckend, jede positive Bewegung der Vergangenheit hat genau so funktioniert. Veränderung von Welt kommt immer von unten, und gute Wirtschaft und Politik nimmt das auf und führt es in intelligente Verregelungen.

Kommen wir zur Resilienz zurück – wie bringen wir sie in die Wirtschaft?

Welzer: Im Sinne von Resilienz ist das stärkste die Dezentralität. Studenten von mir machten ein Gedankenexperiment: Kosten eines Betriebes durften nicht ausgelagert werden, dadurch wurden die Produkte teurer. Auf der Suche nach Einsparung liegen Potentiale ohne Externalisierung ganz woanders- in der Mobilität, in der regionalen Produktion – das heißt ich ändere eine Variable und plötzlich wird das Spiel ein ganz anderes.

Lampert: Wenn wir dieses Modell in der Landwirtschaft aufnehmen, hätten die Katastrophen in Südamerika, wie Regenwaldvernichtung bis hin zur Versklavung durch den Anbau von Soja, ein Ende. Dann bräuchte es keine ideologischen Gespräche, wie Lebensmittel erzeugt werden sollten, wie Wirtschaft geführt werden müsste, es fände in Europa augenblicklich eine Art Selbstregulation statt.

In Folge wäre das Wort Mäßigung nicht mehr nötig sein. Damit meine ich aber keine Verzichtsideologie, sondern im Sinne von Thomas von Aquin. Mäßigung ist eine der Kardinaltugenden der Menschheit, und wir sollten vernunftgemäße Schritte tun. So wie es die biologische Landwirtschaft tut, und wie Leben in Zukunft möglich ist. Statt „alles für uns“, wird gemäß Brundtland die Möglichkeit für jeden aufrechterhalten, auch in Zukunft ein selbstbestimmtes Leben in Fülle zu führen.

Im Vergleich zu den Sorgen der Wohnungs- und Jobsuche, der Angst vor Migration, betreffen uns Zukunftsfähigkeit oder Klimawandel nur gering.

Gestikulierender Mann mit Brille un halblangen HaarenWelzer: Und ob. Klimawandel ist für mich nicht abgebildet in einem Starkregen, sondern im gesellschaftlichen Stress, der Reaktionen nach sich zieht. Wir sind eine Gesellschaft mit einer ausgeprägt schlechten Laune, einer Kultur der Unzufriedenheit. Alle wollen sich niedermachen, weil alle schlecht gelaunt sind.

Uns fehlen die Utopien, denn die Utopien unserer Eltern wurden erfüllt, wir waren sogar schon am Mond, doch es sind keine neuen Utopien nachgewachsen. Was wünschen wir uns denn für die Zukunft außer einem noch größeren Flatscreen?

Und in so einer Welt versuchen Sie, Herr Lampert, Bio-Produkte zu verkaufen.

Lampert: Ich versuche nicht nur Lebensmittel zu verkaufen, sondern Modelle aufzuzeigen wie Landwirtschaft funktionieren, wie sie die Menschen freundlich stimmen kann. Denn Bio-Produkte können Menschen natürlich sozial befähigter machen, sie sind in gesunder Erde mit hoher Biodiversität entstanden, sodass sie dieses Potential in sich tragen.

Wie finden wir also das Glück?

Lampert: Es gibt das Bild des Philosophen Ernst Bloch- „Zukunft ist nach Hause zu kommen.“ Wenn wir die Entfremdung hinter uns gelassen, das Joch abgeworfen haben und wir in der Lage sind ein solidarisches Leben zu führen, dann sind wir nach Hause gekommen.

Dann habe nicht nur ich ein Leben, sondern alle mit denen ich zusammenlebe. Und das sind alle auf dieser Welt!


Über Werner Lampert

Portrait eines bärtigen Mannes mit lockigem ergrauten Haar und HornbrilleWerner Lampert (geboren 1946 in Vorarlberg/Österreich) zählt zu den Wegbereitern im Bereich nachhaltiger Produkte und deren Entwicklung in Europa. Der Biopionier beschäftigt sich seit den 1970er-Jahren intensiv mit biologischem Anbau. Mit Zurück zum Ursprung (Hofer) und Ja! Natürlich entwickelte er zwei der erfolgreichsten Bio-Marken im deutschen Sprachraum.


Titelblatt einer Zeitschrift namens FuturzweiÜber Harald Welzer

Prof. Dr. Harald Welzer (geboren 1958 in Bissendorf bei Hannover/Deutschland) ist Sozialpsychologe und Soziologe. Welzer ist Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfähigkeit und Mitinitiator der „Offenen Gesellschaft“. Er lehrt an der Universität St. Gallen und an der Europa-Universität Flensburg. Er ist Herausgeber von futurzwei. Magazin für Zukunft und Politik. Harald Welzers Bücher, unter anderem „Selbst denken: Eine Anleitung zum Widerstand“ (2014), „Die smarte Diktatur: Der Angriff auf unsere Freiheit“ (2016), wurden in 22 Sprachen übersetzt.

Quelle: Dieser Text ist die gekürzte Fassung eines Interviews mit Werner Lampert und Harald Welzer am 12.3.2018.
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