Ernährungssouveränität ist ein Begriff, der noch nicht Einzug ins Allgemeinwissen gehalten hat. Selbst Personen, die täglich mit Lebensmitteln arbeiten, ist er nicht geläufig. Deswegen ist Ernährungssouveränität aber nicht minder wichtig. Wenn Ihnen die Bewahrung heimischer kleinstrukturierter Landwirtschaft am Herzen liegt, und sie auf hochwertige Lebensmittel wertlegen, dann schätzen auch Sie Ernährungssouveränität. Lassen Sie uns Ihnen also erklären, was es mit diesem Begriff auf sich hat.
Das Konzept der Ernährungssouveränität
Souveränität bedeutet Selbstbestimmung und geht diese in der Landwirtschaft verloren, hat es nicht nur Folgen für Bauern, sondern für die gesamte Bevölkerung, wie es das Beispiel Mexiko zeigt. Dort führte das Freihandelsabkommen NAFTA mit den USA im Jahr 1994 zu billigen Lebensmittelimporten, vor allem von Mais und anderen Getreiden aus den USA. Dadurch mussten viele Kleinbauern ihre Produktion aufgeben, was zu bäuerlichen Aufständen, bekannt geworden als Zapatismus, führte. Die Veränderungen in der Landwirtschaft beeinflusste langfristig die Ernährung der Mexikaner, und das Land wurde abhängiger von Lebensmittelimporten. Sogar die Gesundheit der Einwohner wurde negativ beeinflusst, durch die billigen hochkalorischen Lebensmittel, überwiegend aus Zucker und einfachen Kohlehydraten, stieg die Fettleibigkeit enorm. (Mehr zur Geschichte der Ernährungssouveränität)
Im selben Jahr wurde durch internationale Handelsregeln der WTO die Landwirtschaft weltweit beeinflusst und massiv in ihre Abläufe eingegriffen.
Definition von Ernährungssouveränität
Via Campesina erklärt das politische Konzept folgendermaßen:
„Ernährungssouveränität ist das Recht von Menschen auf eine gesunde und kulturell angepasste Ernährung, die nachhaltig produziert wurde und das Recht deren Ernährungs- und Landwirtschaftssysteme selbst zu bestimmen.
Sie setzt sich für eine kleinstrukturierte und nachhaltige Produktion ein, die der Gesellschaft und Umwelt zugutekommt. Ernährungssouveränität zieht lokale Lebensmittelproduktion und lokalen Konsum vor, um einem Land das Recht zu geben seine lokalen Produzenten vor billigen Importen zu schützen und die Lebensmittelproduktion zu kontrollieren.
Sie schließt den Kampf um Land und für eine echte Agrarreform ein, die die Verwaltungsrechte von Land, Territorien, Wasser, Saatgut, Vieh und Biodiversität in die Hand der Produzenten statt der Unternehmen legt.“
(Frei übersetzt von https://viacampesina.org/en/international-peasants-voice/)
Die FAO definiert Ernährungssouveränität folgendermaßen:
„Ernährungssouveränität basiert auf einer Erneuerung der traditionellen, agrarischen und indigenen Weisheit und umfasst die Notwendigkeit eines gerechteren, lokalen und nachhaltigen Ernährungssystems, das die grundlegenden Werte von Demokratie, Ermächtigung und Selbstbestimmung bestätigt. Ernährungssouveränität führt zu einem gerechten, ökologisch harmonischen und lokalen Ernährungs- und Landwirtschaftssystem, das auf dem Recht der Völker und Gemeinschaften basiert diese selbst zu definieren. Im Allgemeinen wird Ernährungssouveränität auf Gemeinschaftsebene diskutiert und umfasst alle Arten von Besitz- und Produktionsmodellen in Gemeinschaften jeder Ethnizität sowie in ländlichen und städtischen Gebieten.“ (FAO 2014, SAFA- Richtlinien S. 207)
Was war passiert?
Grundsätzlich ist dumping durch Regelungen der WTO verboten, das heißt Produkte dürfen nicht so stark subventioniert und dadurch billig exportiert werden, dass in Drittländern dadurch Preise unterboten werden. Doch im Jahr 1994 schafften es die USA und die EU eine eigene Kategorie von Subventionen (green box) zu erwirken, wodurch der Export von Lebensmitteln unter den Produktionskosten ermöglicht wurde, unter anderem durch den Abbau von Zöllen. Kritiker, wie der ehemalige Politikbeauftragte der Europäischen Koordination von Via Campesina, Gérard Choplin, bezeichnen dies als whitewashing of dumping, außerdem wird kritisiert, dass der Wegfall von Zöllen vor allem Kleinbauern in Entwicklungsländern träfe.
Nicht verwunderlich also, dass der Begriff der Ernährungssouveränität zum ersten Mal im Jahr 1996 am Welternährungsgipfel in Rom auftauchte und von der internationalen Kleinbauernorganisation La Via Campesina präsentiert wurde. Es war ein Protest gegen die Geschehnisse der Jahre zuvor.
Ernährungssouveränität Forum Nyéléni
2007 fand in Mali das erste Weltforum für Ernährungssouveränität statt, dazu wurde ein eigenes Dorf namens Nyéléni erbaut. An ihm nahmen 500 Delegierte aus über 80 Ländern teil und es entstand daraus eine eigene Bewegung, die Nyéléni-Bewegung. Weitere Foren fanden 2011 in Krems, Österreich und 2016 in Cluj, Rumänien statt.
Die Nyéléni-Bewegung setzt sich dafür ein, bestehende Initiativen zur Ernährungssouveränität zusammenzubringen, ein gemeinsames Verständnis von Ernährungssouveränität zu schaffen und Strategien und Aktionen zu entwickeln, wie Ernährungssouveränität erreicht werden kann. (nyeleni.de)
Nicht zu verwechseln ist die Ernährungssouveränität jedoch mit Ernährungssicherheit. Bei letzterer geht es allein darum, dass „alle Menschen jederzeit physischen und wirtschaftlichen Zugang zu ausreichender, sicherer und nahrhafter Ernährung haben, die ihre Bedürfnisse und Vorlieben befriedigt und ihnen ein aktives und gesundes Leben ermöglicht“ (Weltagrarbericht.de).
Warum ist Ernährungssouveränität wichtig?
Kleinbauern produzieren den größten Teil aller Lebensmittel (in Asien und Afrika rund 80%) und bewirtschaften etwa 60% der weltweiten Ackerflächen, häufig schlechtere, nicht bewässerte Böden (FAO 2014). Beachtlich ist, dass sie auch deutlich produktiver als die industrielle Landwirtschaft sind, wenn sie genügend notwendige Mittel wie Land, Wasser, Handwerkszeug etc. zur Verfügung haben. Gleichzeitig verursachen sie dabei geringere Umweltschäden (Weltagrarbericht 2008).
Harald Lemke, deutscher Ernährungsethiker und Gastrosoph, sieht in der Ernährungssouveränität ein Gegenkonzept zur „kapitalistischen“ Agrarindustrie im Dienste der Profitmaximierung einiger Großgrundbesitzer und Agromultis. Für ihn steht Ernährungssouveränität für ein „bäuerliches“ Modell einer lohnenswert arbeitsintensiven, kleinflächigen, für den Eigenbedarf und für überwiegend lokale (nur partiell globale) Märkte ausgerichteten ökologischen Agrikultur. (Politik des Essens: wovon die Welt von morgen lebt. Bielefeld: Transcript, 2012.)
Ernährungssouveränität zählt zu den wichtigsten und bekanntesten Bewegungen mit konkreten Wegen zur Bewahrung von Kleinbauern bei gleichzeitigem Schutz der Umwelt und steht mittlerweile weltweit im wissenschaftlichen Diskurs.
Über die Autorin
Dr. Isabell Riedl ist seit 2012 als Nachhaltigkeitsbeauftragte und in der Kommunikation der Werner Lampert GmbH tätig. Sie studierte Ökologie mit Schwerpunkt Natur- und Landschaftsschutz und Tropenökologie an der Universität Wien. Ihre Dissertation verfasste sie über die Bedeutung von Baumreihen in landwirtschaftlichen Gebieten für Waldvögel in Costa Rica. Zeit ihres Lebens hat sie sich insbesondere der ökologischen Nachhaltigkeit verschrieben. Sie ist Teil des Redaktionsteams des Online-Magazins „Nachhaltigkeit. Neu denken.“