Lasst uns endlich denen zuhören, die die Natur am besten verstehen!
Jede Krise bringt ihre eigenen Helden hervor. In der gegenwärtigen Krise sind dies in erster Linie die Krankenpfleger, Rettungssanitäter und Ärzte, die unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit bis zur Erschöpfung arbeiten, um unser Gesundheitssystem aufrecht zu erhalten, aber auch die Supermarktverkäufer, Apotheker, Lastwagen- und Gabelstaplerfahrer, Postboten, bis zu den Lehrern und Pädagogen, die schnell auf digitalen Unterricht umstellen, um so auch in der Krise unseren Kindern den notwendigen Lernstoff zu vermitteln. Und noch eine Gruppe rehabilitiert sich in dieser Krise: die Wissenschaftler, die sich schon seit einigen Jahren mit einem Zeitgeist der «fake News», der politischen Lüge, des ideologischen Fundamentalismus, der pseudoreligiösen Machtlegitimationen und des dumpfen Weltvereinfachertum konfrontiert sehen.
In Deutschland gehören die Wissenschaftler und Virologen Christian Drosten und Alexander Kekulé unterdessen zu den populärsten öffentlichen Figuren und in den USA hat sich ein wahrer Fanclub um den Arzt, Immunologen und Präsidentschaftsberater Anthony Fauci gebildet, dessen Aussagen im Vergleich zu denen seines Chefs so ungewohnt ehrlich, faktenbezogen und wahrhaftig erscheinen. Das Corona-Virus hat etwas geschafft, was zuvor fast unmöglich erschien: die öffentliche Bloßstellung der intellektuellen Unredlichkeit der Rechtspopulisten.
Das Corona-Virus enthüllt Schwächen der vermeintlich Starken
Der Populismus der Lügen und Wissenschaftsfeindlichkeit Donald Trumps und Michael Pences, Jair Bolsonaros und Recep Tayyip Erdoğans, Scott Morrisons und Boris Johnsons und ihrer Propagandakanäle wie Fox News wird mit der erbarmungslosen Realität einer globalen Pandemie konfrontiert, die Trump und Co. so lange für nicht-existent erklärt haben, bis es einfach nicht mehr anders ging. Das Abweisen von Tatsachen («Das ist nicht weiter als eine Grippewelle», Trump, Bolsonaro), die Lügen («Wir haben Tests für alle», Trump), («Brasilianer können sich nicht anstecken», «Gott ist Brasilianer. Das Heilmittel ist gleich hier», Bolsonaro) und die bewusste Irreführung («Anti-Malaria-Pillen heilen die Corona-Kranken», Trump, Bolsonaro), («Das Virus wird eines Tages wie ein Wunder verschwinden», Trump), («Kölnisch Wasser hilft gegen Corona», Erdoğan) – all dies wird in seinem unwahren Kern durch die Dynamik der Corina-Krise gnadenlos aufgedeckt. Donald Trumps bisherige Vorliebe, die USA durch seine Ahnungen und sein von ihm als untrügliche angesehenes Bauchgefühl zu führen, anstatt durch die Anerkennung von Tatsachen und wissenschaftlicher Evidenz, wird durch das Corona-Virus in ihrer fundamentalen Schwäche enthüllt. Die Zerstörungskraft dieses Virus offenbart die Versäumnisse der populistischen Rechten ebenso wie ihre Vorurteile gegen wissenschaftliche Erkenntnisse in aller Deutlichkeit. Hätte Trump den Wissenschaftlern und Experten für öffentliche Gesundheit nur zugehört, hätte er die Katastrophe für sein Land abwenden oder zumindest sehr viel milder gestalten können.
Rechtspopulisten mit ihrer rücksichtslosen Missachtung wissenschaftlicher Beweise, z.B. über den Klimawandel oder die Gefahren der Umweltzerstörung, und generell wissenschaftlicher Erkenntnisse, die gegen ihr Glaubens- und Wertesystem sprechen, halten sich eben auch nicht an den wissenschaftlichen Rat, wenn es um die Dynamik einer Pandemie geht, auch wenn diese so einfach ist wie die Mathematik des exponentiellen Wachstums. Dabei war die Regierung insbesondere in den USA vorgewarnt: Nach der Ebola-Epidemie im Jahr 2014 hatte die Obama-Regierung so viel Angst vor den Gefahren einer weiteren Epidemie, dass sie mehrere Neuerungen einführte, um die Nation basierend auf den neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen auf eine mögliche Pandemie vorzubereiten. Doch wurde jedes Element dieser Bemühungen von der Trump-Administration missachtet, zurückgefahren oder gänzlich eingestellt. Dabei wussten die Wissenschaftler bereits erstaunlich früh erstaunlich viel über das Virus und seine Gefährlichkeit: Am 5. Januar hatten Wissenschaftler in Shanghai das vollständige Virusgenom von einem infizierten Patienten herausgefunden und es sofort an die GenBank, die Datenbank für genetische Sequenzierung der US National Institutes of Health (NIH), gemeldet. Anfang Februar wussten die Wissenschaftler, dass Covid-19 sowohl leicht zwischen Individuen übertragen werden konnte als auch, dass es mit einer relativ hohen Sterblichkeitsrate, insbesondere bei älteren und anfälligen Menschen, kommt. Anstatt auf die Wissenschaftler zu hören, entschieden sich Trump und seine Konsorten dazu, diese nicht ernst zu nehmen und vielmehr auf die bewährten Methoden der Vetternwirtschaft zurückzugreifen, indem er ihm nahestehende Laien mit der Ausarbeitung einer Reaktion auf die sich anbahnende Pandemie beauftragte: Vizepräsident Mike Pence, der immer noch an die Schöpfungsgeschichte glaubt und die Evolutionstheorie vehement ablehnt, und sein Schwiegersohn Jared Kushner, ein Immobilienspekulant, der keinerlei Wissen über medizinische und epidemiologische Fragen besitzt, sollen es nun richten.
Die wissenschaftliche Wahrheit
Nun holt also die harte Realität zuletzt all die Lügen, Dogmen und Wissenschaftsskepsis der Populisten ein. Haben China, Korea und viele Länder Europa weitaus früher reagiert (teils vielleicht immer noch nicht früh genug) und sehen langsam erste Erfolge ihres Handelns, so ist das Wachstum von Corona-Fällen gerade in den USA, der Türkei und Brasilien (wo die Fälle innerhalb der Länder der südlichen Hemisphäre am stärksten wachsen) besonders hoch, dies obwohl sie durch die früher einsetzende Dynamik in anderen Ländern relativ früh hätten gewarnt sein sollen. Man könnte sagen: Die wissenschaftliche Wahrheit hat auf brutale Art und Weise zurückgeschlagen.
Nun wird die Corona-Krise in absehbarer Zeit wieder vorüber sein. Doch wie steht es mit den langfristigen, noch viel weitreichenderen Problem, vor denen uns die Wissenschaftler warnen und die von Wissenschaftsskeptikern wie Trump und Bolsonaro ebenso in ihrer Dringlichkeit oder sogar Existenz zurückgewiesen werden? Die Reaktion von Trump, Bolsonaro und Konsorten auf die Corona-Krise entspricht ihrer Reaktion auf die noch viel größere Klimakrise. Auch dem allerletzten ihrer Wähler und Anhänger sollte mit der Corona-Krise nun klar sein, wie dünn das Fundament ihrer anti-wissenschaftlichen Ideologie ist. Zudem haben Wissenschaftler längst eine Verbindung zwischen dem Covid19-Virus und unserer Zerstörung der tropischen Regenwälder hergestellt. Das Covid19-Virus wie auch die ungleich gefährlicheren Viren von Ebola, HIV, Marburgfieber, Vogelgrippe, Mers, Zika oder Nipah sind Beispiele für Tierkrankheiten, sogenannte Zoonosen, die in den vergangenen Jahrzehnten von Wildtieren auf den Menschen übergesprungen sind. Durch den schrumpfenden Lebensraum der Tiere und die Umweltzerstörung wird dieser Übergang stark begünstigt. Insbesondere Fledermäuse treibt die Beschränkung ihres natürlichen Lebensraumes aus dem Urwald heraus, näher zum Menschen. Und Fledermäuse tragen einen Pool von mindestens 3200 verschiedenen Coronaviren in sich! Die Corona-Pandemie lässt sich nach derzeitigen Erkenntnissen zwar nicht direkt auf Abholzung des Regenwaldes zurückführen und auch ein direkter Zusammenhang zu Fledermäusen ist nicht eindeutig belegt (vermutlich sprang das Virus auf einem Wildtiermarkt in Wuhan über einen Zwischenwirt auf den Menschen über. Dieser Zwischenwirt, vielleicht ein kleines Säugetier, steckte sich womöglich bei einer Fledermaus an), aber für Virologen ist schon seit langem klar: Die Kombination aus einem weiten Spektrum an Wildtieren mit einer großen Häufigkeit (Prävalenz) von Viren und der rücksichtslosen Verringerung des Lebensraumes durch den Menschen macht insbesondere Südostasien zu einem Hotspot für das Überspringen von gefährlichen Viren auf den Menschen. Hier ist die Wissenschaft gefragt, das Gefahrenpotential dieser Viren genauer zu analysieren und sich auf mögliche Übersprünge auf den Menschen vorzubereiten. Verantwortung liegt aber auch bei Wirtschaft und Politik, dieser maßlosen Zerstörung der Umwelt Einhalt zu gebieten. Auch einfache Schritte sind notwendig, z.B. das Schließen von Wildtiermärkten, wie dies in China bereits passiert ist. Die Corona-Krise und die politische Reaktion darauf zeigen nur allzu klar, dass unsere Gesellschaften im Angesicht von Krisen handlungsfähig sind. Diese Einsicht sollte uns auch in der Klimakrise helfen.
Wir sollten die jetzige Corona-Krise daher auch als Chance erkennen: einerseits als Chance, die notwendigen Schritte zu erkennen, um auf zukünftige, potenziell noch weitaus gefährlichere Viren vorbereitet zu sein. Andererseits sollte wir uns das Bild der nackten Hilflosigkeit der Rechtpopulisten in der Corona-Krise bei der Debatte um die Klimakrise immer wieder deutlich vor Augen führen. Ihr Kampf gegen die Wissenschaft, ihre schamlosen Lügen und ihr stures Zurückweisen empirischer Evidenz haben ein unrühmliches Kapitel geschrieben. Wir sollten sie diesen Kampf nicht fortsetzen lassen, denn die Verlierer dieses Kampfes werden wir alle sein.
Über Lars Jaeger
Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Im September 2019 erschien sein neuestes Buch „Mehr Zukunft wagen!“ beim Gütersloher Verlagshaus.