„Das könnte Sprengkraft haben“ dachte ich mir, als im August vor einem Jahr ein schwedischer Freund ein Bild in den sozialen Medien postete. Das Bild zeigte ein zierliches Mädchen, das mit einem Protestschild vor dem schwedischen Parlament saß und sich wochenlang weigerte in die Schule zu gehen. Weil es ihr sinnlos erschien, solange die Politik den Klimakarren an die Wand fährt und damit auch die Zukunft junger Menschen. Blitzartig verbreitete sich das Bild von Greta Thunberg und ihre Botschaft rund um den Globus. Die Funken dieses Flächenbrands entfachten Klimastreiks auf allen Kontinenten in 181 Ländern der Welt. Gestreikt wird selbst in Ländern, die auch ohne Klimakrise genug andere Probleme hätten, wie Syrien oder Burkina Faso.
Und nicht nur Schüler streiken für das Klima. Auch Eltern, Wissenschaftler, Ärzte, Künstler marschieren im Schulterschluss mit. Manchmal rattern auch streikende Scheibtruhen im Demozug mit. In Österreich haben sich die streikenden Landwirte unter dem Namen ‚Farmers for Future‘ zusammengeschlossen. Gefordert werden bessere Rahmenbedingungen für gesunden Genuss durch eine klimafreundliche, biodiversitätsfördernde, regionale Landwirtschaft.
Die Bewegung ist also so breit wie nie. Das sieht man auch an den ‚traditionellen‘ Klimastreiks, die jährlich vor den internationalen Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen stattfinden. Waren es in Paris 2015 ‚nur‘ 50.000 Menschen, so gingen heuer vor den Verhandlungen in Madrid 500.000 Menschen auf die Straße. Der Unmut in der Bevölkerung hat sich quasi in kürzester Zeit verzehnfacht.
Die Fridays for Future Bewegung hat das Thema Klimaschutz politisch in den Druckkochtopf gesteckt. Es wird jetzt auf höchster Stufe gekocht. Und es gibt erste Reaktionen: der österreichische Nationalrat und das europäische Parlament haben den Klimanotstand ausgerufen. Man könnte sagen das verstopfte Ventil des Druckkochkopfes wurde dadurch repariert und das Pfeifen und Zischen der Klimakrise wird jetzt endlich überall gehört. Damit uns das Ganze nicht um die Ohren fliegt, müssen den Lippenbekenntnissen jetzt schleunigst auch Taten folgen.
Zugegeben, streikend auf die Straße zu gehen, ist nicht jedermanns Sache. Aber es ist ja auch nicht der einzige Weg, um Unmut in Mut zu verwandeln. Manchmal tut es auch eine Unterschrift. Vielleicht nicht irgendeine Unterschrift, sondern ‚die Unterschrift Deines Lebens‘. So der Slogan des derzeit laufenden Klimavolksbegehrens in Österreich. Die Forderungen des Klimavolksbegehrens sind kurz und knackig: Klimaschutz muss in die Verfassung und ein ordentliches CO2-Gesetz auf den Tisch. „Bitte wenden“ heißt es hingegen im Energie- und Mobilitätsbereich, um endgültig den Weg aus der fossilen Sackgasse zu finden. Damit das leichter fällt, soll klimafreundliches Handeln belohnt werden, ohne sozial Schwache zurückzulassen. Und das alles, damit Österreich bis 2040 klimaneutral werden kann (was 10 Jahre früher wäre als derzeit EU-weit geplant ist).
Doch wer ist das ‚Volk‘ hinter diesem Begehren? Katharina Rogenhofer ist das offizielle Gesicht zur Kampagne. Hinter ihr steht aber ein großes Team von über 400 Ehrenamtlichen, die sich österreichweit in Regionalgruppen organisieren, die Trommeln für das Volksbegehren rühren. Eindrucksvoll ist aber auch ein Blick in die Reihen der prominenten Unterstützer. Hier tummeln sich nicht die üblichen Verdächtigen aus der „Öko-Szene“. Hansi Hinterseher schmunzelt neben Hubert von Goisern von der Website. Aber auch der TV-Physiker Werner Gruber, die Schauspielerinnen Adele Neuhauser, Birgit Minichmayr, Kabarettisten wie Gunkl, Gerold Rudle, Weltklasseathleten wie Michaela Dorfmeister, Markus Rogan, prominente Autoren wie Franzobel, Friderike Mayröcker und etliche andere stellen sich, mit teilweise poetischen Liebeserklärungen an unsere gemeinsame Heimat, geschlossen hinter diese Forderungen. Schaut man sich die Vielzahl der unterstützenden Vereine und Vereinigungen an, bekommt man das Gefühl der Schulterschluss zieht sich durch weite Kreise der österreichischen Bevölkerung, sogar die Kirchen sind an Bord.
Divestment-Bewegung
Aber es gibt es noch einen interessanten Hebel, der es verdient hier auf die Bühne geholt zu werden: die Rede ist von „Divestment“. Das bedeutet, der Förderung von Kohle, Erdöl und Gas den Geldhahn abzudrehen. Aber schaffen sich fossile Firmen nicht irgendwann selbst ab? Das schon. Aber nicht schnell genug. Vorher könnte man mit den vorhandenen, fossilen Restbeständen ja noch Geld verdienen.
Eine Studie hat österreichische Anlage-Portfolios unter die Lupe genommen. Mit dem Schluss, dass der Großteil der unverdächtig klingenden Aktien und Fonds in die Förderung von Erdöl, Kohle und Gas verwickelt ist. Investiert man also 5.000€ in solche ‚fossilen‘ Geldanlagen, entstehen dadurch Treibhausgasemissionen im Ausmaß von 48 Fässern verbranntem Rohöl.
Das Problem ist: wenn wir das restlose Verbrennen aller fossilen Reserven finanzieren und fördern, schießen wir mit Anlauf und dramatischen Folgen weit über unsere Klimaziele hinaus. Daher lautet das Motto der internationalen Divestment-Bewegung: lasst es im Boden – keep it in the ground.
Die Klimaschutzorganisation 350.org stellt eine Art Gebrauchsanweisung zur Verfügung, die Menschen weltweit an der Hand nimmt, um eigene – und seien es noch so kleine – Divestment-Gruppen zu starten und z.B. die eigene Gemeinde, Stadt, Firma, Universität, Bank, Versicherung etc. zu bewegen, Geld nicht länger in fossilen Energien anzulegen. Und dazu braucht es anfangs nicht mehr als den Willen einer einzelnen Person. Dabei hilft es ein klares Ziel ins Visier zu nehmen, und starke Verbündete zu suchen. Und natürlich sollte man auch aufzeigen, in welche Anlagen Geld alternativ fließen könnte[1].
Die Erfahrung zeigt in vielen Fällen: man zielt, schießt…und Treffer! Manchmal geht es schnell, manchmal braucht es einen längeren Atem. Aber es lohnt sich. Weltweit wurden bereits über 12 Billionen US-Dollar desinvestiert. Und vor allem die Kohleindustrie scheint die Folgen der Divestment-Bewegung schon deutlich zu spüren[2]. Große Städte wie Paris, Berlin, Stuttgart, Kopenhagen, Stockholm, Sydney, Montreal, San Francisco, Christchurch, Bern etc. haben ihre Finanzanlagen bereits vollständig aus der fossilen Industrie abzogen. Irland geht überhaupt in die Vollen: man desinvestiert auf höchster Ebene als ganzes Land, per Gesetz.
Auf Österreich ist der Funke – warum eigentlich? – noch nicht so wirklich übergesprungen. Städte und Gemeinden halten sich bedeckt. Zumindest die katholische Kirche hat im März 2019 verkündet: „Kirchliche Finanzmittel dürfen keine zerstörerische Wirkung auf das Klima haben„. Getragen vom päpstlichen Appell Schöpfungsverantwortung zu übernehmen, entschied man sich alle Finanzmittel ethisch und ökologisch anzulegen. Und auch in so mancher Bank, Versicherung, Universität geraten die Räder langsam in Bewegung.
Streiken, unterschreiben oder das Geldbörserl anders in die Hand nehmen. Das wären nur einige Beispiele, die zeigen, wie hoch-ansteckend Mut in der Bevölkerung wirken kann. Mut greift schneller über als man denkt, und kann uns – katapultartig – ein ganzes Stück weiter in Richtung Klimaschutz befördern. In diesem Sinn – nur Mut!
Über die Autorin
Dr. Sybille Chiari ist Teil des Redaktionsteams von „Nachhaltigkeit. Neu denken“ und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den Themen Nachhaltigkeits- und Klimakommunikation – forschend und schreibend. Sie ist Teil der Bewegung Scientists for Future und Obfrau des Vereins Bele Co-Housing (Gemeinschaftswohnprojekt mit biologischer, regenerativer Landwirtschaft www.belehof.at).
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